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Zitieren als:
BSG, Beschluss vom 26.10.2010 - B 8 AY 1/09 R - asyl.net: M17919
https://www.asyl.net/rsdb/M17919
Leitsatz:

Klagen gegen einen Erstattungsanspruch aus einer Verpflichtungserklärung sind nicht vor den Sozialgerichten, sondern vor den Verwaltungsgerichten zu erheben. Allein die inzidente Prüfung der Voraussetzungen (hier) nach dem AsylbLG und die Tatsache, dass der Erstattungsanspruch der öffentlichen Stelle zusteht, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine Prüfung und Auseinandersetzung mit Vorschriften eines Rechts, für das im Prinzip ein anderer Rechtsweg eröffnet ist, ist einem komplexen Rechtssystem immanent.

Schlagwörter: Kostenerstattung, Verpflichtungserklärung, sachliche Zuständigkeit, Zuständigkeit, Verwaltungsrecht, öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Normen: AufenthG § 68 Abs. 1 S. 1, GVG § 17a, SGG § 51 Abs. 1 Nr. 6a, VwGO § 40 Abs. 1, AufenthG § 68 Abs. 2 S. 3
Auszüge:

[...]

Die (weitere) Beschwerde (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG) gegen den Beschluss des LSG ist unbegründet; zu Recht haben SG und LSG entschieden, dass für die Klage der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gemäß § 40 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet ist.

Nach dieser Vorschrift ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Rechtsgrundlage für den hier geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach hat derjenige, der sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Die Klage gegen den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, weil insoweit ein Träger öffentlicher Gewalt auf Grund eines ihm eingeräumten oder auferlegten Sonderrechts gehandelt hat (vgl: Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 108, 284, 287 = SozR 1500 § 51 Nr. 53 S 108; BSGE 65, 133, 135 f = SozR 2100 § 76 Nr. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009, § 40 RdNr. 11). Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art, weil sie nicht auf Grund verfassungs- oder einfachgesetzlicher Rechtsvorschriften in die Kompetenz der Verfassungsgerichte fällt (Kopp/Schenke, aaO, § 40 RdNr. 32a). Schließlich ist der Verwaltungsrechtsweg auch nicht wegen Zuweisung an ein anderes Gericht ausgeschlossen. Zu Recht hat das LSG insoweit eine Sonderzuweisung durch § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG verneint.

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten des AsylbLG. Ausschlaggebend ist, ob die von dem Beklagten getroffene Entscheidung oder die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im AsylbLG hat; dies ist hier nicht der Fall. § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG regelt einen originären Aufwendungsersatzanspruch in der Form eines Erstattungsanspruchs, der seine Grundlage vielmehr in dem in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte fallenden Ausländer- und Aufenthaltsrecht hat (Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 9.7.1992 - 10 U 2/92 -, NVwZ 1993, 405 f; VG München, Urteil vom 24.11.2005 - M 10 K 05.3016; VG Sigmaringen, Urteil vom 12.4.1995 - 3 K 486/94 -, InfAuslR 1996, 70 ff; VG Gießen, Urteil vom 1.7.2010 - 7 K 1142/09.GI; aA zu Unrecht SG Stuttgart, Beschluss vom 9.8.2010 - S 24 AS 4043/08).

§ 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt grundsätzlich eine wirksam erteilte, im Erstattungsverfahren zu überprüfende Verpflichtungserklärung voraus. Sie ist eine einseitige, vom Verpflichtungsgeber - hier dem Kläger - unterzeichnete Willenserklärung gegenüber der Ausländerbehörde oder Auslandsvertretung (BVerwGE 108, 1 ff), die bestimmten formellen (dazu nur Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG (GK-AufenthG), II - § 68 RdNr. 11 ff, Stand August 2008) und materiellen Anforderungen unterliegt (Funke-Kaiser, aaO, RdNr. 16 ff) und nicht losgelöst auf die Erstattung öffentlicher Aufwendungen gerichtet ist (BVerwGE 108, 1 ff), sondern in unmittelbarem funktionalen Zusammenhang mit einer ausländerrechtlichen Entscheidung darüber steht, ob dem Ausländer ein Aufenthaltstitel (§ 4 AufenthG) zu erteilen ist. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 2 Abs. 3 AufenthG nämlich in der Regel Voraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels. Mit der Abgabe einer den Lebensunterhalt deckenden und absichernden Verpflichtungserklärung durch einen Dritten wird erreicht, dass diese bei Erteilung eines Aufenthaltstitels zu beachtende Voraussetzung erfüllt werden kann (Funke-Kaiser, aaO, RdNr. 3). Eine entsprechende Verpflichtungserklärung darf aber nicht gefordert werden, wenn auch bei mangelnder Sicherung des Lebensunterhalts ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis besteht (Funke-Kaiser, aaO, RdNr. 4 mwN), etwa aus humanitären Gründen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 iVm § 25 Abs. 1 bis 3 AufenthG) oder zum Zwecke des Familiennachzugs zu Deutschen (§ 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Dementsprechend verliert eine Verpflichtungserklärung auch ihre zunächst bestehende Wirksamkeit, wenn der Ausländer später ein von der Sicherung des Lebensunterhalts unabhängiges Aufenthaltsrecht erwirbt (Funke-Kaiser, aaO, RdNr. 5 mwN).

Die mit der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs zu prüfenden formellen und materiellrechtlichen Anforderungen an die Verpflichtungserklärung, die allein im Zusammenhang mit aufenthalts- und ausländerrechtlichen Fragen stehen, zeigen somit, dass der Anspruch nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG systemgerecht im AufenthG geregelt ist. Wäre der Rechtsstreit über einen solchen Erstattungsanspruch eine Angelegenheit des Rechts der jeweils zu erstattenden Leistung, hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich zu regeln. Der sachliche Schwerpunkt einer Streitigkeit über die Erstattung derartiger Kosten verbleibt im Aufenthaltsrecht.

Bestätigt wird dies durch die historische Entwicklung der Norm. Vorgängervorschrift des § 68 AufenthG war § 84 Ausländergesetz (idF des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9.7.1990 - BGBl I 1354). Die Einführung dieses öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs beruhte auf der Erkenntnis, dass Ansprüche aus - entsprechend der früheren ausländerrechtlichen Praxis - abgegebenen Verpflichtungserklärungen, für den Unterhalt eines Ausländers aufzukommen, unabhängig von der Art der erbrachten öffentlichen Mittel allenfalls eine (einheitliche) zivilrechtliche Regressmöglichkeit (etwa aus einem Schuldversprechen iS von § 780 Bürgerliches Gesetzbuch) eröffneten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich in der Tat um eine zivilrechtliche und nicht vielmehr um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit handelte. Um den Bedürfnissen der Verwaltungspraxis gerecht zu werden, sollte jedenfalls ein eigenständiger öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch begründet werden (vgl dazu BT-Drucks 11/6321, S 84); es kann nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen haben, nunmehr abhängig von der jeweils erbrachten Leistung ggf unterschiedliche Rechtswege zu eröffnen und damit zusammenhängend auch die Anwendung unterschiedlicher Verwaltungsverfahrensgesetze (Verwaltungsverfahrensgesetz bzw entsprechende Ländergesetze oder Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)) zur Anwendung kommen zu lassen.

Allein die Notwendigkeit einer inzidenten Prüfung der Voraussetzungen (hier) nach dem AsylbLG und die Tatsache, dass der Erstattungsanspruch der öffentlichen Stelle zusteht, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Rechtmäßigkeit der erbrachten Leistung (dazu BVerwGE 108, 1 ff) ist neben oben aufgezeigter aufenthaltsrechtlicher Problematik nur eine der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgende, in der Natur der Sache liegende (selbstverständliche) Voraussetzung für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs, die keinen außerhalb des Aufenthaltsrechts liegenden Schwerpunkt zu begründen vermag. Eine Prüfung und Auseinandersetzung mit Vorschriften eines Rechts, für das im Prinzip ein anderer Rechtsweg eröffnet ist, ist einem komplexen Rechtssystem immanent.

Aus der Entscheidung des 14. Senats vom 1.4.2009 (SozR 4-1500 § 51 Nr. 6: Gesichtspunkt der Sachnähe) ergibt sich, worauf das LSG zu Recht hinweist, nichts Anderes. Dort hat das Bundessozialgericht (BSG) auf die Sachnähe nur für die Fälle abgestellt, in denen die Beteiligten um Rechtsfolgen streiten, die keine unmittelbare normative Grundlage in einer konkreten gesetzlichen Regelung haben, die entweder den Rechtsweg zu den Sozialgerichten (§ 51 SGG) oder den Verwaltungsgerichten (§ 40 Abs. 1 VwGO) eröffnet; die Entscheidung betraf Ordnungsmaßnahmen gegen Personen (Hausverbot), die im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an einem Verwaltungsverfahren ergehen. Hier - so der 14. Senat des BSG - leite sich die Kompetenz des Sozialleistungsträgers aus dem Sachzusammenhang mit den von ihnen wahrgenommenen Sachaufgaben her. Die Befugnis, das Hausverbot zu erteilen, folge aus einer anerkannten internen Ordnungsgewalt. Vorliegend hat die Entscheidung des Beklagten aber seine normative Grundlage im Ausländer- bzw Aufenthaltsrecht. Der Erstattungsanspruch ist auch keineswegs die "Kehrseite" des dem Dritten bewilligten Leistungsanspruchs, weil dieser (anders als bei einer Erstattung nach §§ 45 ff iVm § 50 Abs. 1 SGB X) von dem Erstattungsanspruch überhaupt nicht betroffen ist (so aber zu Unrecht SG Stuttgart, Beschluss vom 9.8.2010 - S 24 AS 4043/08). [...]