LSG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B - asyl.net: M17952
https://www.asyl.net/rsdb/M17952
Leitsatz:

Die Leistungen des SGB II - auch das den Lebensunterhalt sichernde Arbeitslosengeld II - stellen keine reine Sozialhilfeleistung i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG dar. Die Zulässigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist an den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Gleichbehandlung im Zugang zu finanziellen Leistungen für Arbeitsuchende zu messen.

Es spricht viel dafür, dass die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht uneingeschränkt auf freizügige Unionsbürger anzuwenden ist. Denn sie erlaubt es dem Unionsbürger nicht, andere Umstände vorzutragen, die ohne eine bestimmte Dauer des Aufenthalts (Wohnorterfordernis) eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt dergestalt annehmen lassen, dass von einer ernsthaften Arbeitsuche und nicht von einem "Sozialtourismus" auszugehen ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: SGB II, Sozialhilfe, Unionsbürger, tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, vorläufiger Rechtsschutz,
Normen: RL 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2, SGB II § 7 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Nach dem derzeitigen Sachstand kann ein Anspruch der Antragsteller Ziff. 1, 2 und 4 im gesamten streitigen Zeitraum vom 2. Juni 2010 bis längstens 22. Januar 2011 sowie der Antragsteller Ziff. 3 und 5 für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2010 auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach §§ 19 bzw. 28 SGB II nicht ausgeschlossen werden. Sie erfüllen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Die 33jährige Antragstellerin Ziff. 1 ist erwerbsfähig, insbesondere ist ihr als italienischer Staatsangehöriger die Aufnahme einer Beschäftigung aufgrund europarechtlicher Vorgaben i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB II erlaubt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes). Im Übrigen nimmt der Senat nach eigener Prüfung auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG in entsprechender Anwendung), da dies auch vom Antragsgegner nicht in Frage gestellt wird. Hilfebedürftigkeit liegt bei allen Antragstellern vor. [...]

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind von den Leistungen des SGB II jedoch u.a. ausgeschlossen (1.) Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts sowie (2.) Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Keiner der Antragsteller ist Arbeitnehmer oder Selbständiger noch wird eine dieser Eigenschaften nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU aufrechterhalten; sie sind - mit Ausnahme des Antragstellers Ziff. 2 - auch keine Familienangehörigen einer solchen Person, so dass die Antragsteller Ziff. 1 und 3 bis 5 nach dem gesetzlichen Wortlaut für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes, also vom 22. April bis 21. Juli 2010 von den Leistungen ausgeschlossen wären. Keiner dieser Antragsteller hat in der anschließenden Zeit ein von der Arbeitsuche unabhängiges Aufenthaltsrecht aus dem einfachen Gesetzes- oder europäischen Sekundärrecht.

Der Antragsteller Ziff. 2 ist als minderjähriger Sohn seines nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a Abs. 1 FreizügG/EU in der Bundesrepublik Deutschland daueraufenthaltsberechtigten Vaters Ma. M. (im Folgenden MM) dessen Familienangehöriger i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Allein durch den Zuzug zu seinem Vater hat der Antragsteller Ziff. 2 allerdings noch kein eigenes Daueraufenthaltsrecht erworben, da er sich selbst noch nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig in der Bundesrepublik aufgehalten hat (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a Abs. 1 FreizügG/EU). Dies entspricht den Regelungen des Art. 16 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vom 29. April 2004 (RL 2004/38/EG). Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU unabhängig von den Voraussetzungen der wirtschaftlichen Autonomie i.S.d. § 4 FreizügG/EU ergibt sich nicht bereits aus der Stellung als Familienangehöriger eines daueraufenthaltsberechtigten Unionsbürgers. Denn die Daueraufenthaltsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 wird von dem Verweis in § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht erfasst. Da derzeit keine Anhaltspunkte vorliegen, dass es sich bei dem zum 1. Juli 2010 begründeten Arbeitsverhältnis des MM um keine ernsthafte und tatsächliche Arbeitsaufnahme gehandelt hat, ist dieser ab diesem Zeitpunkt bis zur Beendigung am 12. Juli 2010 Arbeitnehmer. Diese Eigenschaft und der damit verbundene Aufenthaltsstatus ist ihm nach derzeitigem Sachstand nach der Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bzw. Art. 7 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 3 lit. c RL 2004/38/EG nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, längstens bis 12. Januar 2011 erhalten geblieben. Vom 1. Juli 2010 bis längstens 12. Januar 2011 ist der Antragsteller Ziff. 2 mithin nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers und damit unabhängig von der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt i.S.d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Auf die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Selbständigkeit i.S.d. § 4 FreizügG/EU kommt es somit nicht an. Ab dem 1. Juli 2010 stehen daher die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 SGB II seinem Leistungsanspruch nicht entgegen.

Die Antragstellerin Ziff. 1 hat kein von dem des MM abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Sie ist nicht dessen Ehegattin oder eingetragene Lebenspartnerin und damit keine Familienangehörige i.S.d. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU bzw. Art. 2 Nr. 2 lit. a und b RL 2004/38/EG. Auch gemeinschaftsrechtlich steht der nichteheliche Lebenspartner nicht dem Ehegatten gleich (Europäischer Gerichtshof <EuGH> Slg. 1986, 1296 <Reed>). Die Antragstellerin Ziff. 2 kann zwar als personensorgeberechtigter Elternteil eines minderjährigen Unionsbürgers Familienangehörige i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU bzw. Art. 2 Nr. 2 lit. d RL 2004/38/EG des Antragstellers Ziff. 2 sein, auch wenn sie diesem keinen Unterhalt gewährt (EuGH, Urteile vom 23. Februar 2010 - C-310/08 und C-480/08 - <Ibrahim> und <Texeira> - <juris>). Das in diesen Entscheidungen angenommene Aufenthaltsrecht als Familienangehörige leitete sich aber jeweils von einem eigenen und selbständigen Aufenthaltsrecht des Kindes ab. Der Antragsteller Ziff. 2 hat jedoch gerade kein solches eigenständiges, sondern selbst nur ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Mit Ausnahme der in § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU genannten Familienangehörigen, die selbst daueraufenthaltsberechtigt sind, gibt es keinen "Kettennachzugsanspruch" von Familienangehörigen zu freizügigkeitsberechtigten Familienmitgliedern (Hailbronner, Ausländerrecht, FreizügG/EU, § 3 Rdnr. 13). [...]

Über das in § 2 Abs. 5 FreizügG/EU bzw. Art. 6 RL 2004/38/EG vorbehaltslos gewährte Recht zur Freizügigkeit in den ersten drei Monaten hinaus steht der Antragstellerin Ziff. 1 ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38/EG nur zu, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch nehmen müssen, und sie und ihre Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen. Dies ist gerade nicht der Fall. Allerdings darf nach Art. 14 Abs. 4 lit. b RL 2004/38/EG gegen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Nach der Systematik der RL 2004/38/EG können daher die für nicht erwerbstätige Unionsbürger geltenden Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38/EG erst ab dem Zeitpunkt Anwendung finden, ab dem feststeht, dass eine begründete Aussicht für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr besteht (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 2 Rdnr. 38, 51). Feste zeitliche Grenzen für eine solche Arbeitsuche können nicht gezogen werden. [...]

Damit wären die Antragsteller Ziff. 1 und 3 bis 5 nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, der Antragsteller Ziff. 2 jedoch nur in der Zeit vor Begründung des Arbeitsverhältnisses durch MM.

Es spricht jedoch viel dafür, dass diese bundesgesetzliche Regelung mit dem Recht der Europäischen Union in seiner Ausprägung durch die Rechtsprechung des EuGH nicht vereinbar und damit auf Unionsbürger zumindest nicht einschränkungslos anzuwenden ist. Mit der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II wollte der Gesetzgeber von der Möglichkeit nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG Gebrauch machen (BT-Drucks. 16/5065 S. 234). Dieser sieht ausdrücklich vor, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b RL 2004/38/EG (Arbeitsuche) einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 4. Juni 2009 (Slg. 2009, I-4585 <Vatsouras und Koupatantze>) die Vereinbarkeit dieser Richtlinienregelung mit dem speziellen Gleichbehandlungsgrundsatz für Arbeitsuchende gem. Art. 39 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 in der konsolidierten Fassung vom 24. Dezember 2002 (EGV) festgestellt. Diese Vereinbarkeit beruht auf einer Auslegung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, dass es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft (Art. 18 EGV) und der Ausprägung, die das Recht der Gleichbehandlung in der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat, nicht mehr möglich ist, vom Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EGV eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern soll (EuGH a.a.O. sowie Slg. 2004, I-2703 <Collins> und Slg. 2005, I-8275 <Ioannidis>). Allerdings hat es auch der EuGH für legitim angesehen, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde (EuGH a.a.O.). Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG wäre daher nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 39 Abs. 2 EGV vereinbar, wenn man hierin eine Ermächtigungsgrundlage für eine nationale Regelung sehen wollte, arbeitsuchende Unionsbürger für die gesamte Dauer der Arbeitsuche von Leistungen auszuschließen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Des Weiteren liefert die Richtlinienbestimmung kein starres Kriterium für die Feststellung der vom EuGH in der Collins- Entscheidung verlangten Verbindung des Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates (vgl. Schlussanträge des Generalanwaltes (Slg. 2009, I-4585 <Vatsouras und Koupatantze>). Ein Verstoß einer nationalen Ausschlussregelung gegen Art. 39 Abs. 2 EGV liegt somit nicht vor, wenn es sich bei der versagten Leistung um eine reine Sozialhilfeleistung handelt oder die Regelung eine zulässige Festlegung der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates trifft.

Nach Auffassung des Senats stellen die Leistungen des SGB II - auch das den Lebensunterhalt sichernde Arbeitslosengeld II (Alg II) - keine reine Sozialhilfeleistung in diesem Sinne dar. [...]

Zwar ist es allein Sache der nationalen Behörden und Gerichte, den Zweck und die Leistungsvoraussetzungen der fraglichen, nach nationalem Recht gewährten Leistung festzustellen. Die Bewertung, ob die Leistung mit dem festgestellten Zweck und den Tatbestandsmerkmalen Sozialhilfe i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG darstellt, mithin die Auslegung dieses Begriffes der Sozialhilfe, hat jedoch unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu erfolgen. Dabei ist der Zweck der Leistung nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand ihrer formalen Struktur zu untersuchen. Finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, können nicht als "Sozialhilfeleistungen" i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG angesehen werden (EuGH a.a.O. <Vatsouras und Koupatantze>). Der Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts und des Existenzminimums erlauben daher noch keine Zuordnung zur Sozialhilfe in diesem Sinne, wenn die Leistung zumindest auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert (vgl. a. Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., <Vatsouras und Koupatantze>: Sozialhilfeleistungen, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern).

Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt steht im Vordergrund der Leistungen nach dem SGB II (wie hier Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rdnr. 116 ff. m.w.N.; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 1 Rdnr. 9 ff.). Das ganze neue System der Grundsicherung in SGB II und XII durch die sog. Hartz IV-Gesetze beruht gerade auf der Unterscheidung von Hilfebedürftigen, die erwerbsfähig sind und noch einen Zugang zum Arbeitsmarkt haben und den nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. [...]

Da das Alg II keine reine Sozialhilfeleistung i.S.d. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG darstellt, ist die Zulässigkeit der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II an den oben bereits dargestellten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Gleichbehandlung im Zugang zu finanziellen Leistungen für Arbeitsuchende zu messen, wie sie in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt wurden. Danach ist es auch gemeinschaftsrechtlich zulässig, für den Zugang zu finanziellen Leistungen für Arbeitsuchende danach zu differenzieren, ob eine ausreichende Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaates besteht, die z.B. an ein Wohnorterfordernis anknüpft (EuGH, a.a.O., <Collins>). Dieses Kriterium der Verbindung zum Arbeitsmarkt dient dem Ausgleich der Ansprüche aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 39 Abs. 2 EGV mit den Gefahren des sog. "Sozialtourismus" (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., <Vatsouras und Koupatantze>). Die Ausgestaltung erfolgt durch nationales Recht, das sich aber in den Grenzen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben halten und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren muss. Unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht ist danach ein unbefristeter Leistungsausschluss für die gesamte Zeit der Arbeitsuche des Unionsbürgers (vgl. a. Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., <Vatsouras und Koupatantze>), wie in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorgesehen. Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II über den Ausschluss in den ersten drei Monaten könnte als Bestimmung des eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt herstellenden Wohnorterfordernisses angesehen werden. Als solche dürfte sie jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerecht werden. Denn sie erlaubt es dem Unionsbürger nicht, andere Umstände vorzutragen, die ohne eine bestimmte Dauer des Aufenthalts (Wohnorterfordernis) eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt dergestalt annehmen lassen, dass von einer ernsthaften Arbeitsuche und nicht von einem "Sozialtourismus" auszugehen ist (vgl. a. Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., <Vatsouras und Koupatantze>; Valgolio, a.a.O., Rdnr. 121). Vorliegend kann offenbleiben, ob dies zur völligen Nichtanwendung der Ausschlussnorm auf Unionsbürger oder nur zu einer gemeinschaftsrechtlichen Reduktion dahingehend führt, dass eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt auch vor Ablauf der drei Monate im Einzelfall zu prüfen ist.

Bei der Antragstellerin Ziff. 1 ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bereits ab Einreise, zumindest aber seit Beginn des hier streitigen Zeitraums eine Verbindung zum Arbeitsmarkt vorliegt, die für eine ernsthafte Arbeitsuche spricht. Soweit bislang ersichtlich, wurde der Lebensmittelpunkt der gesamten Familie (der Antragstellerin Ziff. 1 und aller ihrer Kinder) in die Bundesrepublik verlegt, um ein Zusammenleben der Familie mit dem Vater des Antragstellers Ziff. 2 zu ermöglichen. Diese Verlegung des Lebensmittelpunktes erfolgte daher nicht zwingend zur Inanspruchnahme günstigerer Fürsorgeleistungen. Vielmehr kann der Zuzug zu einem hier daueraufenthaltsberechtigten Familienangehörigen im weiteren Sinn ein Indiz dafür darstellen, dass hier nun eine Beschäftigung zur Sicherung des Lebensunterhalts gesucht werden soll, weil ein dauerhafter Aufenthalt angestrebt wird. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist anhand einer eingehenden Prüfung aller Umstände der Umsiedlung zu prüfen, was dem Hauptsacheverfahren überlassen werden muss. Entscheidend ist hier zunächst nur, dass die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II der Antragstellerin Ziff. 1 die Möglichkeit nimmt, eine gemeinschaftsrechtlich nicht evident unzureichende Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt geltend zu machen.

Die Antragsteller Ziffer 2 bis 5 können sich selbst nicht auf den für Arbeitsuchende geltenden speziellen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 39 Abs. 2 EGV stützen. Ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch für die Familienangehörigen eines arbeitsuchenden Unionsbürgers dennoch aus denselben Gründen mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein könnte, kann hier offen bleiben. Wie die Antragstellerin Ziff. 1 dürfen jedoch auch ihre Familienangehörigen, die Antragsteller Ziff. 2 bis 5, nach Art. 14 Abs. 4 RL 2004/38/EG nicht ausgewiesen werden, da eine berechtigte Aussicht der Antragstellerin Ziff. 1 auf Einstellung nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung nicht ausgeschlossen ist. Gerade an einen seitens des Mitgliedstaates nicht beendeten Aufenthalt hat der EuGH jedoch i.V.m. der Unionsbürgerschaft die Geltung des grundlegenden Prinzips der Gleichbehandlung nach Art. 12 EGV geknüpft. Danach ist unbeschadet besonderer Bestimmungen des Vertrages in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Hierbei hatte er es für die Anwendung des Diskriminierungsverbots bereits ausreichen lassen, dass trotz des Wegfalls des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts durch den Mitgliedstaat "Ausweisungsmaßnahmen" nicht vorgenommen worden oder eine Aufenthaltserlaubnis erteilt war (EuGH Slg. 2004, I-7573, <Trojani>). Der an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Ausschluss von nichterwerbsfähigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft eines arbeitsuchenden Unionsbürgers kann daher eine gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßende Ungleichbehandlung darstellen.

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht eine Verpflichtung zur Vorlage im Wege der Vorabentscheidung durch den EuGH gem. Art. 234 EGV nicht; dem stünde bereits die Eilbedürftigkeit entgegen. Des Weiteren wird eine endgültige Entscheidung gerade nicht getroffen, sondern nur eine solche über einen vorläufigen Zustand. Dabei ist es möglich, aufgrund einer Interessen- und Folgenabwägung zu entscheiden, so dass die fragliche Norm nicht allein entscheidungserheblich wird. Grundsätzlich muss zwar eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift auch bei Zweifeln an deren Verfassungsmäßigkeit oder Vereinbarkeit mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht Beachtung finden, damit eine parlamentarische Entscheidung nicht durch eine Entscheidung eines Fachgerichts quasi außer Kraft gesetzt wird. Gleichwohl ist auch dem Gewicht der Interessen und Rechte der Antragsteller ausreichend Rechnung zu tragen. Dabei ist zu beachten, dass die begehrten Leistungen der Grundsicherung der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, was bereits nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland Pflicht des Staates ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG; BVerfG, NVwZ 2005, 927). Auf Seiten des Grundsicherungsträgers ist das Interesse zu beachten, dass nun gewährte Leistungen angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller voraussichtlich nicht erstattet werden können, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass ein Anspruch tatsächlich nicht bestanden hat. Den Antragstellern ihrerseits würden für einen nicht absehbaren Zeitraum die Leistungen vorenthalten, die sie zur Aufrechterhaltung ihres Existenzminimums und damit für ein der Menschenwürde entsprechendes Leben benötigen. Diese damit verbundenen Einschränkungen während des Zeitraumes ohne Leistungen sind auch im Falle einer Nachzahlung bei Erfolg in der Hauptsache nicht mehr zu beseitigen. Die Antragsteller wären darauf verwiesen, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in ihr Heimatland zurückzukehren, was aus o.g. Gründen gerade eine Verletzung ihrer Grundrechte aus europäischem Gemeinschaftsrecht darstellen könnte. Darüber hinaus ist der sowohl in Art. 6 GG als auch in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Schutz der Familie zu beachten. Eine Rückkehr der Antragstellers Ziff. 2 würde bedeuten, dass ein Zusammenleben mit seinem Vater (MM) ausscheidet, der nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland daueraufenthaltsberechtigt ist, sondern darüber hinaus neben dem Antragsteller Ziff. 1 weitere in der Bundesrepublik lebende Kinder hat. Ein Verbleiben allein des Antragstellers Ziff. 2 hätte zur Folge, dass dieser von seiner sorgeberechtigten Mutter, der Antragstellerin Ziff. 1, getrennt wäre. Gleiches gälte für die Antragsteller Ziff. 3 bis 5, wenn allein diese nach Italien zurückkehrten. Angesichts der Minderjährigkeit der Antragsteller Ziff. 2 bis 5 erscheinen diese Interessen gegenüber den finanziellen Interessen des Antragsgegners, die für den hier allein streitigen begrenzten Zeitraum nicht unverhältnismäßig sind, gewichtiger. Der Senat verweist im Übrigen insoweit nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG in entsprechender Anwendung). Gegen die Dauer der vorläufigen Regelung bestehen ebenfalls keine Bedenken. [...]