OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 21.10.2010 - 3 A 52/10 - asyl.net: M17958
https://www.asyl.net/rsdb/M17958
Leitsatz:

Allein die freiwillige Ausreise hat auf die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützten Ermessenserwägungen für eine Ausweisung nach § 55 Abs. 3 AufenthG keine Auswirkungen.

Schlagwörter: Ausweisung, Täuschung über Identität, vorsätzliche Täuschung, Staatsangehörigkeit, Armenien, Straftat, Ermessen, freiwillige Ausreise, Sachaufklärungspflicht, Mitwirkungspflicht
Normen: AufenthG § 55 Abs. 1, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 55 Abs. 3, VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Angesichts dieser Umstände und insbesondere auch wegen des immer noch aktuellen Wohnsitzes der Klägerin und ihrer Familie in Eriwan sei - so das Gericht - davon auszugehen, dass hier kein bloßer Rechtsirrtum über Staatsangehörigkeitsrecht vorliege, sondern dass der Klägerin immer bewusst gewesen sei, dass sie keine iranische Staatsangehörige sei. In der Behauptung, iranische Staatsangehörige zu sein, habe bereits vor In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes eine Straftat gelegen. Dass bei einer 14 Jahre lang anhaltenden, strafrechtlich relevanten Irreführung der zuständigen Behörden durch die Klägerin der generalpräventive Zweck der Ausweisung allein wegen ihrer freiwilligen Ausreise entfallen sein sollte, erschließe sich nicht.

Hiergegen hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung vom 4.1.2010 angeführt, das Gericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob sie nicht darüber hinaus auch die iranische Staatsangehörigkeit besitze. Der vom Gericht herangezogene Reisepass der ehemaligen Sowjetunion sei seinerzeit von der Staatsanwaltschaft als "offensichtliche Fälschung" eingeschätzt worden; sofern durch diese Fehleinschätzung die entsprechenden Personendaten in den Ausländer- und Asylakten nicht korrigiert worden seien, läge dieser Umstand nicht in ihrem Verantwortungsbereich. Nachdem sie die Bundesrepublik Deutschland freiwillig verlassen habe, sei nicht erkennbar, welchem Zweck die Ausweisung noch dienen solle. Schließlich treffe die Einschätzung des Gerichts nicht zu, ihr Verhalten habe 14-jährige strafrechtliche Relevanz, da in den streitgegenständlichen Bescheiden auf eine strafrechtliche Relevanz ihres Verhaltens (erst) ab Antragstellung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis seit 14.11.2006 abgestellt worden sei. Letztlich sei sie bislang nicht verurteilt worden.

Mit diesem Vorbringen dringt die Klägerin nicht durch. Soweit sie in der Sache einen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz rügt, weil es das Verwaltungsgericht Leipzig unterlassen habe, Ermittlungen im Hinblick auf eine mögliche iranische Staatsangehörigkeit aufzunehmen, verkennt sie, dass hierzu für das Gericht nur Anlass gewesen wäre, wenn die Notwendigkeit weiterer Aufklärung bestanden hätte. Abgesehen davon, dass die Klägerin für ihre Behauptung, (auch) iranische Staatsangehörige zu sein, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Hbs. VwGO nichts vorgetragen hat, ist es angesichts der vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Belege, dass die Klägerin die armenische Staatsangehörigkeit besitzt, nicht nachvollziehbar, warum sie (auch) die iranische Staatsangehörigkeit besitzen soll. [...]

In Bezug auf die erste Frage ergibt sich bereits aus den vorgehenden Feststellungen, dass allein die freiwillige Ausreise keine Auswirkungen auf die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützten Ermessenserwägungen für eine Ausweisung gemäß § 55 Abs. 3 AufenthG hat. Die Frage lässt sich damit ohne weiteres auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen beantworten. Auch die weiteren Fragen können ohne weiteres anhand der Gesetzeslage beantwortet werden. Denn allein die Tatsache, dass die zuständige Strafverfolgungsbehörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, bei dem armenischen Reisepass handele es sich um eine Fälschung, hat nicht zur Folge, dass die mit der Angabe der falschen Staatsangehörigkeit gegenüber den zuständigen Behörden einhergehende Verwirklichung des Tatbestands des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verneint werden müsste. Denn die unzutreffende Qualifizierung des armenischen Reisepasses als Fälschung konnte bislang nur die strafrechtliche Verfolgung der Tat verhindern, ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Klägerin wissentlich unrichtige Angaben gemacht hat, um für sich eine Aufenthaltserlaubnis bzw. eine Duldung zu erlangen. Die unrichtigen Angaben der Klägerin zu ihrer Staatsangehörigkeit verlieren ihre strafrechtliche Relevanz nicht dadurch, dass sie für einen längeren Zeitraum nicht aufgedeckt worden sind. Strafrechtliche Relevanz könnte allenfalls die - hier allerdings nicht gegebene - gegenteilige Konstellation haben, wenn die Klägerin unrichtige Angaben gemacht hatte, der zuständigen Behörde aber gleichzeitig bekannt war, dass der armenische Reisepass der Klägerin echt ist; denn in diesem Fall könnte an der Eignung der Angaben für die Erlangung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung gezweifelt werden (vgl. hierzu Huber, AufenthG, 1. Auflage 2010, § 95 Rn. 303 m.w.N. zum Streitstand). [...]