OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 17.06.2010 - 3 A 439/09 - asyl.net: M17962
https://www.asyl.net/rsdb/M17962
Leitsatz:

Die günstige Prognose im Einbürgerungsverfahren hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts scheitert nicht daran, dass der Kläger nach dem derzeitigen Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung kaum Aussicht darauf hat, Anwartschaften in einer Höhe zu erwerben, die ihn bei Erreichen des Rentenalters in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme aufstockender Leistungen von Grundsicherung im Alter zu bestreiten.

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Einbürgerungszusicherung, Sicherung des Lebensunterhalts, Prognose, Altersvorsorge, gewöhnlicher Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Hinzuziehung eines Bevollmächtigten
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

b) Die dem Kläger günstige Prognose scheitert entgegen der Auffassung des Beklagten nicht daran, dass er nach dem derzeitigen Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung kaum Aussicht darauf hat, Anwartschaften in einer Höhe zu erwerben, die ihn bei Erreichen des Rentenalters in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme aufstockender Leistungen von Grundsicherung im Alter zu bestreiten.

Allerdings gehört der Aufbau einer Altersvorsorge zu den wesentlichen Bestandteilen des sozialen Sicherungssystems in Deutschland und die Teilnahme hieran zur wirtschaftlichen Integration des Einbürgerungsbewerbers. Der Auffassung des Beklagten, es müsse mindestens Altersvorsorge in einem Maße betrieben werden, dass bei Erreichen des Rentenalters aufstockende Leistungen von Grundsicherung voraussichtlich nicht benötigt würden, vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Sie liefe darauf hinaus, Ausländer, die - wie der damals 25 Jahre alte Kläger - erst im Erwachsenenalter, vermögenslos und ohne Berufsausbildung in die Bundesrepublik eingereist sind und deshalb nur in Berufen mit niedrigen Löhnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden können, per se von einer Einbürgerung auszunehmen, weil sie davon ihren Lebensunterhalt zwar während der Erwerbsphase, mangels des Erwerbs ausreichender Rentenanwartschaften aber nicht mehr im Alter ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen decken können. Das entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers, der den Rechtsanspruch auf Einbürgerung weder an eine bestimmte, zu höherem Einkommen befähigende berufliche Qualifikation noch an ein bestimmtes, die ausreichende Altersvorsorge sicherndes Vermögen geknüpft hat (vgl. näher VGH BW, Urt. v. 6.3.2009, a.a.O.).

Zwar ist die Einbürgerungsbehörde grundsätzlich befugt, zu prüfen, ob ein Einbürgerungsbewerber in der Vergangenheit in einem solchen Maße gegen die Obliegenheit, durch Einsatz seiner Arbeitskraft für seine Altersversorgung vorzusorgen, verstoßen hat, dass ihm Fernwirkungen auf die spätere Altersversorgung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG auch zuzurechnen sind. Diese strenge Auslegung der Norm gebietet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber keine unbegrenzte Zurechnung. Vielmehr ist der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StAG genannten Mindestdauer des rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalts zu entnehmen, dass der Zeitraum, der zur Auflösung des Zurechnungszusammenhangs seit dem zu vertretenden Verhalten verstrichen sein muss, acht Jahre beträgt. Da der Gesetzgeber den fiskalischen Interessen, die mit dem Erfordernis der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt werden, bei der Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG insoweit geringere Bedeutung beigemessen hat als im Aufenthaltsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG), als er nicht jeglichen Bezug von Sozialleistungen als einbürgerungsschädlich behandelt, sondern den nicht zu vertretenden Bezug von Sozialleistungen nach dem SGB II und SGB XII ausgenommen hat, verliert in dieser Hinsicht für das Staatsangehörigkeitsrecht der Gesichtspunkt an Gewicht, dass einer "Zuwanderung in die Sozialsysteme" vorgebeugt werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.2.2009, BVerwGE 133, 153). Wenn der Einbürgerungsbewerber dementsprechend nach Ablauf von acht Jahren nicht mehr für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialleistungen mitursächliches Verhalten einzustehen hat, dann muss dies erst recht im vorliegenden Fall gelten, in dem der Beklagte dem jetzt 43-jährigen Kläger u.a. vorhält, zugunsten seiner Lebensgefährtin von November 2003 bis Februar 2007 auf die Hälfte seines Lohns verzichtet zu haben, da sich das auf die Höhe seines Rentenanspruchs bei regelmäßigem Rentenantrittsalter allenfalls in mehr als 20 Jahren wird auswirken können. [...]