VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 18.05.2010 - 5 L 206/10.TR - asyl.net: M17968
https://www.asyl.net/rsdb/M17968
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Abänderungsantrag, Rechtsschutzinteresse, Rechtsweggarantie, Konzept der normativen Vergewisserung
Normen: VwGO § 80 Abs. 7, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Der so ausgelegte Antrag ist zulässig, insbesondere verfügt der Antragsteller nach zwischenzeitlichem Eintritt der Fiktionswirkung des Artikels 18 Abs. 7 der Verordnung EG Nr. 343/2003 nunmehr über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht nicht entgegen, dass ihm die Überstellung nach Griechenland bisher noch nicht mittels Bescheid konkret in Aussicht gestellt worden ist. Die Antragsgegnerin hat im Verfahren keine Erklärung dahingehend abgegeben, im Falle des Antragstellers von einer Überstellung nach Griechenland absehen zu wollen und von ihrer auf die Vorschriften der §§ 31 Abs. 1 Satz 4 und 5, § 34 a Abs. 1 AsylVfG gestützten Praxis, den Bescheid erst am Tage der Überstellung durch die Ausländerbehörde aushändigen zu lassen, abzusehen. Dem Antragsteller ist im Hinblick darauf, dass die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG auf diese Weise ggf. unzumutbar erschwert sein wird, nicht zuzumuten, mit einer Antragstellung bis zum Erlass des Bescheides abzuwarten.

Die Regelung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG steht einer gerichtlichen Eilentscheidung ebenfalls nicht im Wege. Der im Wortlaut des § 34 a Abs. 2 AsylVfG zum Ausdruck kommende generelle Ausschluss einstweiligen Rechtsschutzes ist verfassungsrechtlich zweifelhaft. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in Bezug auf die Drittstaatsregelung in § 26 a AsylVfG entschieden hat, bedarf die Regelung einer "sinnentsprechenden restriktiven Auslegung" (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -). Verfassungsrechtlich nicht unproblematisch ist der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG auch in dem hier maßgeblichen Anwendungsbereich des § 27 a AsylVfG. Auch in diesem Bereich besteht laut Bundesverfassungsgericht Anlass zur Untersuchung, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16 a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-VO zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2009 – 2 BvQ 56/09 –). Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb eine einstweilige Anordnung erlassen, durch die eine Vollziehung der Abschiebung in den Dublin II Staat Griechenland vorläufig untersagt wurde und damit gleichzeitig bestätigt, dass auch für die Fachgerichte im Rahmen des § 27 a AsylVfG der Ausschluss des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht absolut sein kann, sondern dort seine Grenzen findet, wo das dem § 34 a Abs. 2 AsylVfG zugrunde liegende Konzept im Einzelfall nicht greift.

In Anlehnung an die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtsschutz bei Drittstaatenfällen i.S.d. § 26 a AsylVfG, wonach wegen der grundsätzlich nach § 26 a AsylVfG bestehenden Bewertung des Gesetzgebers hohe Anforderungen an die Darlegung eines Sonderfalles zur Durchbrechung des Konzepts der normativen Vergewisserung zu stellen sind, (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -), sind auch im Bereich des § 27 a AsylVfG entsprechend hohe Anforderungen an die Darlegung einer Ausnahme zu stellen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hier vor. Die erkennende Kammer geht - ebenso wie bereits andere Kammern des Gerichts - (vgl. Beschluss der 2. Kammer vom 29. September 2009 – 2 L 530/09.TR – und Beschluss der 1. Kammer vom 09. Februar 2010 – 1 L 50/10.TR) davon aus, dass ein Ausnahmefall von der Anwendbarkeit des § 34 a Abs. 2 AsylVfG vorliegt und damit dem Antragsteller die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes zu eröffnen ist. Unter Verweis auf umfangreiche Erkenntnismittel ist dort zur Situation in Griechenland ausgeführt, dass vieles dafür spricht, dass der Antragsteller in Griechenland derzeit keinen Zugang zu einem Asylverfahren hat, das den Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der EMRK und (somit) auch den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen asylrechtlichen Vorschriften gerecht wird. Von daher ist vorläufiger Rechtsschutz entgegen dem Wortlaut des § 34a Abs. 2 AsylVfG zu gewähren.

Der Antrag führt vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland, die nicht zuletzt durch die momentane finanzielle Krise in Griechenland weiter verschärft werden (vgl. Urteil der 1. Kammer vom 11. Mai 2010 – 1 K 42/10.TR -), auch in der Sache zum Erfolg. Inwieweit die tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland einer Abschiebung entgegenstehen und der von § 27 a AsylVfG vorausgesetzte Schutz gewährt oder die auf gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gestützte Prognose widerlegt wird, ist im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu klären und bleibt einer Hauptsacheentscheidung vorbehalten. Bei einer Überstellung des Antragstellers nach Griechenland besteht jedenfalls die Gefahr, dass die Verwirklichung des Anspruchs des Antragstellers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Zur Rückgängigmachung eingetretener Rechtsbeeinträchtigungen nach einer durchgeführten Abschiebung nach Griechenland hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 8. September 2009 – 2 BvQ 56/09 –) ausgeführt, dass insoweit bereits die Erreichbarkeit des Antragstellers in Griechenland für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens nicht sichergestellt wäre, ihm in Griechenland eine Registrierung faktisch unmöglich sei und ihm die Obdachlosigkeit drohe. [...]