VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 04.01.2011 - M 22 E 10.31257 - asyl.net: M18027
https://www.asyl.net/rsdb/M18027
Leitsatz:

Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Dublin-Überstellung nach Italien. Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe in Italien keinen Asylantrag gestellt, ist dies nicht glaubhaft, da ein entsprechender "Eurodac-Treffer" vorliegt. Unter Heranziehung der ärztlichen Stellungnahme spricht wenig dafür, dass der Antragsteller tatsächlich noch minderjährig ist. Im Übrigen ist der in Deutschland lebende Bruder kein Familienangehöriger im Sinne der engen Definition des Art. 2 i) Dublin II-VO, weshalb keine so gewichtigen humanitäre Gründe vorliegen, dass ein Selbsteintritt zwingend geboten wäre. Nicht glaubhaft gemacht wurde schließlich, dass in Italien wegen der dort bestehenden Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Asylbewerbern kein dem europäischen Standard entsprechendes ordnungsgemäßes Asylverfahren gewährleistet ist.

Schlagwörter: Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Dublin-Überstellung nach Italien. Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe in Italien keinen Asylantrag gestellt, ist dies nicht glaubhaft, da ein entsprechender "Eurodac-Treffer" vorliegt. Nach der ärztlichen Stellungnahme spricht wenig dafür, dass der Antragsteller tatsächlich noch minderjährig ist. Im Übrigen ist der in Deutschland lebende Bruder kein Familienangehöriger im Sinne der engen Definition des Art. 2 i) Dublin II-VO, weshalb keine so gewichtigen humanitäre Gründe vorliegen, dass ein Selbsteintritt zwingend geboten wäre. Nicht glaubhaft gemacht wurde schließlich, dass in Italien wegen der dort bestehenden Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Asylbewerbern kein dem europäischen Standard entsprechendes ordnungsgemäßes Asylverfahren gewährleistet ist.
Normen: VwGO § 123, AsylVfG § 18 Abs. 2, AsylVfG § 18 Abs. 3, VO 2725/2000 Art. 8, VO 2725/2000 Art. 11, VO 2725/2000 Art. 5 Abs. 1 Bst. d, VO 343/2003 Art. 6 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 2 Bst. i
Auszüge:

[...]

Der vom Antragsteller beim Bundesamt gestellte Asylantrag ist unzulässig. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nachdem das an Italien gerichtete Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin innerhalb der dafür vorgesehenen Frist unbeantwortet geblieben ist, ist von der Zuständigkeit und Aufnahmebereitschaft Italiens auszugehen (vgl. Art. 17, 18 und 20 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO).

Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe in Italien gar keinen Asylantrag gestellt, ist dies nicht glaubhaft. Die Erkenntnisse aus dem Eurodac-System erlauben nicht nur die Zuordnung der Daten zu einer bestimmten Person, sondern ermöglichen auch die Aussage, ob sich diese Daten auf einen Asylbewerber oder eine Person nach Art. 8 (Ausländer, die in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten einer Außengrenze aufgegriffen werden) oder Art. 11 (Ausländer, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten) der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens - Eurodac-VO beziehen. Die Eurodac-Kennnummer nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d) Eurodac-VO beginnt mit den oder dem Kennbuchstaben, mit dem oder denen gemäß der in Anhang 1 genannten Norm die die Daten übermittelnden Mitgliedstaaten bezeichnet werden. Dem oder den Kennbuchstaben folgt die Kennung für die Personenkategorien. Dabei werden Daten von Asylbewerbern mit "1", von Personen nach Art. 8 der Eurodac-VO mit "2" und von Personen nach Art. 11 der Eruodac-VO mit "3" gekennzeichnet (vgl. Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Eurodac-VO). Die Eurodac-Kennnummer des Antragstellers beginnt mit der Buchstabenkombination "IT" für Italien, der die Kennung "1" folgt. Dem ist zu entnehmen, dass der Antragsteller in Italien als Asylbewerber und nicht aus anderen Gründen erkennungsdienstlich behandelt wurde.

Der Überstellung des Antragstellers nach Italien steht weder Art. 6 Abs. 1 Dublin II-VO, der besondere Zuständigkeiten für unbegleitete Minderjährige vorsieht, noch Art. 16 Dublin II-VO (Humanitäre Klausel) entgegen. Unter Heranziehung der ärztlichen Stellungnahme des Klinikums Rosenheim vom 10. Dezember 2010 spricht wenig dafür, dass der Antragsteller tatsächlich noch minderjährig ist. Im Übrigen ist der im Bundesgebiet lebende Bruder kein Familienangehöriger im Sinne der engen Definition der Dublin II-VO, insbesondere nicht der Vormund des Antragstellers (vgl. Art. 2 Buchstabe i) Dublin II-VO). Die vorliegenden verwandtschaftlichen Beziehungen stellen damit keine so gewichtigen humanitären Gründe dar, dass ein Selbsteintritt der Antragsgegnerin zwingend geboten wäre. Deshalb kann auch offen bleiben, ob und inwieweit Vorschriften, die die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten betreffen, subjektive Rechte eines Asylbewerbers begründen können.

Soweit der Antragsteller ferner geltend macht, in Italien sei wegen der dort bestehenden Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Asylbewerbern kein dem europäischen Standard entsprechendes ordnungsgemäßes Asylverfahren gewährleistet, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg seines Antrags. Nach der Wertung des verfassungsgebenden Gesetzgebers handelt es sich bei Italien als Mitgliedstaat der Europäischen Union um einen sicheren Drittstaat i.S. des Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG. Aufgrund des diesen Vorschriften zu Grunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts ist davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer danach nur dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei in die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG vom 14.05.1996, BVerwGE 94,49).

Dass ein derartiger Sonderfall vorliegt, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Zur Glaubhaftmachung verweist er insoweit auf einschlägige Veröffentlichungen und auf einzelne verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, mit denen der Antragsgegnerin die Verbringung der dortigen Antragsteller nach Italien vorläufig untersagt wurde. Während aber den zitierten stattgebenden Entscheidungen individuelle Besonderheiten (VG Minden vom 22.6.2010 Az. 12 L 284/10.A - Überstellung würde zur Trennung vom Ehemann bzw. Vater führen; VG Weimar vom 15.12.2010 Az. 5 E 20190/10 WE - Fremdunterstützung erforderlich) oder zumindest substantiiertes und glaubhaftes Vorbringen (VG Darmstadt vom 9.11.2010, 4 L 1455/10.DA.A(1); VG Minden vom 28.9.2010, Az. 3 L 491/10.A) der jeweiligen Antragsteller zugrunde lag, hat der Antragsteller hier nicht ansatzweise dargelegt, dass ihm in Italien der Zugang zum Asylverfahren erschwert wurde oder er selbst dort von Obdachlosigkeit betroffen war. [...]