OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 20.12.2010 - 3 A 711/08 - asyl.net: M18034
https://www.asyl.net/rsdb/M18034
Leitsatz:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich, dass bei Bezug von Sozialleistungen eine Gebührenermäßigung (hier der Einbürgerungsgebühr) in Betracht zu ziehen ist, wenn es in absehbarer Zeit bei der Sozialleistungsbedürftigkeit bleibt. Dies schließt eine Verpflichtung zum Ansparen von Leistungen jedenfalls dann aus, wenn lediglich eine Ermäßigung der Gebühren begehrt wird. Offen bleibt, ob dies in gleicher Weise gilt, wenn eine vollständige Gebührenbefreiung begehrt wird.

Schlagwörter: Einbürgerung, Gebühr, Gebührenermäßigung, Billigkeit, Ermessen, Sozialleistungen, Verfahrensmündigkeit, Unterhaltsanspruch, SGB II, SGB XII, Bedarf
Normen: StAG § 38 Abs. 2 S. 1, StAG § 38 Abs. 2 S. 5, StAG § 10 Abs. 1 S. 1, SächsVwKG § 2 Abs. 1 S. 1, StAG § 37 Abs. 1, AufenthG § 80 Abs. 1, BGB § 1610 Abs. 1, EGBGB Art. 18 Abs. 1 S. 2, SGB II § 23 Abs. 1, SGB XII § 37, SGB XII § 38, SGB XII § 91, PAuswG § 1 Abs. 1 S. 1, PassV § 15 Abs. 1, StAG § 38 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Diese Rügen greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die in § 38 Abs. 2 Satz 1 StAG vorgesehene Einbürgerungsgebühr zur Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit nach § 38 Abs. 2 Satz 4 StAG a.F. bei Vorliegen von persönlichen Billigkeitsgründen nach Ermessen (vgl. zur Zweistufigkeit der Prüfung Marx, in: GK-StAR, Stand Juli 2010, § 38 StAG Rn. 28) ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden kann. Solche Gründe zu prüfen liegt nahe, wenn die Einbürgerung bei Bezug von Sozialleistungen durch den Einbürgerungsbewerber erfolgt, ohne dass dies nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 StAG i.d.F. von Art. 6 Nr. 9 Buchst. c des Gesetzes v. 14.3.2005, BGBl. I 2005, 721) die Einbürgerung hindert und absehbar ist, dass sich hieran in einem überschaubaren Zeitraum nichts ändern wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2006 - 5 C 26.05 -, InfAuslR 2007, 203; - 5 C 27.05 -, NVwZ-RR 2007, 205). Die Klägerin hat im Erlasszeitpunkt des Gebührenbescheids wegen des gleichzeitigen Bezugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz geminderte Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sowie anteilig Kosten der Unterkunft und Heizung gemeinsam mit den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bezogen, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Daraus hat das Verwaltungsgericht geschlossen, die Klägerin und alle anderen Personen, von denen sie sich Unterstützung erhoffen könne, lebten vom sozialhilferechtlichen Mindestbedarf. Soweit die Beklagte dem entgegen hält, das Verwaltungsgericht habe anrechenbares Einkommen der Mutter der Klägerin außer Betracht gelassen, trifft dies zwar zu. Ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vermag die Beklagte damit jedoch nicht zu begründen. Denn bei der Beurteilung, ob aus persönlichen Gründen eine Ermäßigung der Einbürgerungsgebühr beansprucht werden kann, hat außer Betracht zu bleiben, ob sich der Einbürgerungsbewerber durch Leistungen Dritter die Mittel zur Zahlung der Gebühren verschaffen kann. Es kommt vielmehr darauf an, wer Gebührenschuldner ist. Dies ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SächsVwKG die Klägerin, weil sie als Verfahrensmündige gemäß § 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 80 Abs. 1 AufenthG die Amtshandlung durch ihre Antragstellung veranlasst hat und sie in ihrem Interesse vorgenommen worden ist.

Eine andere Entscheidung ist nicht wegen des der Klägerin von ihren Eltern geschuldeten Unterhalts gemäß § 1610 Abs. 1 BGB, der hier gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 2 EGBGB anzuwenden ist, geboten. Selbst wenn die Klägerin danach von ihrer Mutter die Zahlung der Einbürgerungsgebühr als Unterhaltsleistung begehren könnte (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.2.2001, InfAuslR 2003, 112), stünde hierfür nur der monatlich anrechenbare Teil ihres Erwerbseinkommens von 46,30 Euro zur Verfügung. Da die Mutter nicht nur der Klägerin, sondern auch ihren beiden Geschwistern und ihrem Vater zum Unterhalt verpflichtet ist, stünde bei einer gleichmäßigen Aufteilung des Einkommens der Mutter auf die Unterhaltsberechtigten eine für die zur Zahlung der Einbürgerungsgebühr zu verwendenden Unterhaltsleistung von 11,58 E monatlich zur Verfügung. Diesen Betrag müsste die Klägerin über einen Zeitraum von 22 Monaten ansparen, um daraus die Einbürgerungsgebühr zahlen zu können. Es liegt auf der Hand, dass in dieser Situation die Gründe, die die Prüfung einer Ermäßigung der Einbürgerungsgebühr nahe legen, nicht ernstlich in Frage gestellt werden können.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich auch nicht aus der weiteren Überlegung der Beklagten, die Klägerin könne den Betrag für die Einbürgerungsgebühr aus den Sozialhilfeleistungen ansparen, weil ein Anteil von acht Prozent des sozialhilferechtlichen Regelsatzes auf andere Waren und Dienstleistungen entfalle. Es ist zwar nicht zu beanstanden, wenn dem Bezieher von Sozialleistungen grundsätzlich zugemutet wird, einen einmaligen Bedarf anzusparen. Dem dient auch die in § 23 Abs. 1 SGB II, §§ 37, 38, 91 SGB XII vorgesehene Möglichkeit, einen unvermutet auftretenden und unabweisbaren einmaligen Bedarf, der durch angesparte Mittel nicht gedeckt werden kann, durch ein Darlehen des Sozialhilfeträgers zu decken (vgl. BVerfG, Urt. v. 9.2.2010, NJW 2010, 505, Rn. 150, zitiert nach juris). Derartige besondere Bedarfe können sich jedoch nur auf Waren und Dienstleistungen beziehen, die ein Hilfsbedürftiger nicht aus eigener Kraft bezahlen kann und die deshalb durch Sozialleistungen gedeckt werden müssen. Dies sind insbesondere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (Ernährung, Kleidung, Unterkunft usw., vgl. § 20 Abs. 1 SGB II, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Ein besonderer Bedarf kann sich deshalb nur auf Waren und Dienstleistungen beziehen, die zwar wie z.B. Kleidung grundsätzlich vom Leistungsumfang erfasst sind, aber nur unregelmäßig oder ausnahmsweise anfallen, wie z.B. ein Wintermantel (vgl. BVerfG, a.a.O.). Demgegenüber kann der Gedanke des Ansparens nicht für solche Ausgaben fruchtbar gemacht werden, die wie die hier streitigen Gebühren ausnahmsweise oder einmalig anfallen, aber schon deshalb nicht zu den Bedürfnissen des täglichen Lebens zu zählen sind, weil sondergesetzliche Ermäßigungs- oder Befreiungsvorschriften bestehen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 16.11.2006 - 5 C 26.05 -, InfAuslR 2007, 203; - 5 C 27.05 -, NVwZ-RR 2007, 205), das allein den Bezug von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch als Anlass zur Prüfung einer Ermäßigung oder Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Einbürgerungsgebühr aus Billigkeitsgründen genügen lässt, ohne hierbei im Einzelnen die Art und Weise der Ermittlung des Regelsatzes in den Blick zu nehmen. Nicht anderes ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, der Gebührenermäßigungen aus persönlichen Gründen nicht geprüft (Urt. v. 13.8.2003, AuAS 2003, 251) bzw. diese bei Sozialhilfebezug (Beschl. v. 21.2.2001, InfAuslR 2003, 112) bejaht hat. Zutreffend ist allerdings der Hinweis der Beklagten, dass Billigkeitserwägungen aufgrund von § 38 Abs. 2 Satz 4 StAG a.F. nur beim Vorliegen einzelfallbezogener Härten angezeigt sind und nicht dazu führen dürfen, allgemeine Regelungen des Gesetzgebers zu ersetzen (vgl. auch Marx, a.a.O., Rn. 32). Dies schließt allerdings Billigkeitserwägungen nicht schon deshalb von vornherein aus, weil ein Einbürgerungsbewerber - nur - Sozialhilfeleistungen bezieht, ohne dass das Vorliegen eines besonderen Härtegrundes erkennbar wäre; vielmehr gibt der Bezug von Sozialleistungen regelmäßig Anlass, Ermessenserwägungen zur Gebührenermäßigung oder -befreiung anzustellen (Marx, a.a.O., Rn. 37; ebenso Geyer, in: Hofmann/Hoffnann, AuslR, § 38 StAG Rn. 3). Liegen wegen des Bezugs von Sozialleistungen Billigkeitsgründe i.S.v. § 38 Abs. 2 Satz 4 StAG a.F. vor, sind Ermessenserwägungen anzustellen, die zur teilweise oder vollständigen Befreiung von den Einbürgerungsgebühren fuhren können. Wenn im Rahmen der anzustellenden Ermessenserwägungen eine vollständige Befreiung von den Gebühren erlangt werden kann, ist erst recht Raum für eine Ermessensausübung, die lediglich die hier verfolgte Reduktion der Einbürgerungsgebühr zum Ziel hat.

Im Übrigen hat die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Einbürgerungsbewerbern eine schlechtere finanzielle Situation als beim Bezug von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, die deshalb eine Billigkeitsentscheidung nahelegt, schon nicht vorliegen kann. Dieser Leistungsbezug markiert das sozialhilferechtliche Existenzminimum. Wer die geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht, scheidet allein wegen seines ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus als Einbürgerungsbewerber aus, weil kein Aufenthaltstitel vorliegt, der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG Voraussetzung für eine Einbürgerung ist.

Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht in zulässiger Weise unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Bundesministerium des Innern vom 13.6.2007 an die Innenministerien und -senatsverwaltungen der Länder, wonach bei der Ermittlung der Regelleistungen und Regelsätze nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch keine Ausgaben für Verwaltungsgebühren bei der Ausstellung von Personaldokumenten erfasst seien, weshalb bei Bedürftigen von der Gebührenerhebung bei derartigen Dokumenten abgesehen werden solle, geschlossen, dass dies bei der Erhebung von Einbürgerungsgebühren in gleicher Weise gelten müsse. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, eine gleiche Behandlung dieser Sachverhalte scheide aus, weil § 1 Abs. 1 Satz 1 PAuswG bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zum Besitz eines Personalausweises verpflichte, während es im Belieben eines Einbürgerungsbewerbers stehe, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Denn die Empfehlung des Bundesministeriums des Innern bezieht sich auch auf Reisepässe, die innezuhaben bei Aufenthalt im Inland niemand gesetzlich verpflichtet ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PaßG). Ferner kann aus der unterschiedlichen Gebührenhöhe für die Ausstellung eines Personalausweises (von bis zu 8,00 Euro, § 1 Abs. 6 PAuswG i. d. bis zum 30.10.2010 geltenden Fassung) und eines Reisepasses (von bis zu 59,00 Euro, § 15 Abs. 1 PassV) einerseits und der hier in Rede stehenden Einbürgerungsgebühr von 255,00 Euro (§ 38 Abs. 1 Satz 1 StAG) geschlossen werden, dass bei gleicher Sachlage - Sozialhilfebedürftigkeit - erst recht bei der Erhebung der höheren Einbürgerungsgebühr deren Reduktion aus Billigkeitsgründen in Betracht zu ziehen ist.

Schließlich können ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auch nicht aus der Zahlung der streitigen Gebühr hergeleitet werden. Der Umstand, dass die Klägerin sich die Mittel zur Begleichung der Gebührenforderung nach ihren von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben von ihren Eltern geliehen hat, sagt nichts darüber aus, dass sie selbst über ausreichende eigene Mittel hat verfügen können und deshalb eine Ermäßigung aus Billigkeitsgründen nicht hätte in Betracht gezogen werden müssen. [...]

3. Schließlich hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 10.4.2008 - 3 B 758/05 -; std. Rspr.).

Das Darlegungserfordernis erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, als auch für das Berufungsverfahren erheblich sein würde, und muss im Einzelnen aufzeigen, inwiefern das Verwaltungsgericht die Frage nach Auffassung des Antragstellers nicht zutreffend beantwortet hat. Das Oberverwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Berufung darauf beschränkt, das Vorliegen der von dem Antragsteller bezeichneten Zulassungsgründe anhand der von ihm vorgetragenen Gesichtspunkte zu prüfen.

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 15.12.2008 nicht. Die Frage, ob es Einbürgerungsbewerbern, die Leistungsempfänger nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch sind, zuzumuten ist, einen Teil der Leistungen zur Zahlung der Einbürgerungsgebühr anzusparen, wird in dieser Form durch den vorliegenden Rechtsstreit schon deshalb nicht aufgeworfen, weil die Klägerin bereit ist, die Einbürgerungsgebühr im Umfang von 100,00 € zu zahlen. Soweit die Frage dahin zu verstehen ist, ob die Ansparung der vollen Gebühr i. H. v. 255,00 € aus den Sozialleistungen zuzumuten sei, bedarf es keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens. Vielmehr ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei Bezug von Sozialleistungen eine Gebührenermäßigung in Betracht zu ziehen ist, wenn es in absehbarer Zeit bei der Sozialleistungsbedürftigkeit bleibt. Dies schließt eine Verpflichtung zum Ansparen von Leistungen jedenfalls dann aus, wenn lediglich eine Ermäßigung der Gebühren begehrt wird. Ob dies in gleicher Weise zu gelten hat, wenn eine vollständige Befreiung von der Gebühr begehrt wird, bedarf hier keiner Entscheidung.

Auch die weitere Frage, ob bei sofortiger Bezahlung der Einbürgerungsgebühr in voller Höhe im Einzelfall ein persönlicher Billigkeitsgrund außer Betracht bleiben müsse, wenn der Einbürgerungsbewerber die volle Gebühr aus den Mitteln eines Privatdarlehens beglichen hat, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage ist mit dem Verwaltungsgericht ohne weiteres zu verneinen, so dass es ebenfalls nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Denn die Frage, woher der Einbürgerungsbewerber sich die Mittel zur Zahlung der vollen Gebühr beschafft hat, weist keinen Zusammenhang zur Frage auf, ob aus persönlichen Billigkeitsgründen die Gebühr zu ermäßigen oder von ihrer Zahlung befreit werden kann. [...]