BlueSky

OVG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 20.12.2010 - 2 B 323/10 - asyl.net: M18036
https://www.asyl.net/rsdb/M18036
Leitsatz:

Die Schutzpflichten des Art. 6 GG, die prinzipiell erst ab der Geburt eines Kindes einsetzen, können in besonders gelagerten Ausnahmefällen Vorwirkungen mit der Folge entfalten, dass die beabsichtigte Abschiebung auch eines werdenden Vaters unzumutbar sein kann. Eine solche Sondersituation ist aber nur dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind und/oder die werdende Mutter, zum Beispiel wegen einer Risikoschwangerschaft, besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den abzuschiebenden Ausländer zumindest überwiegend wahrscheinlich ist. Wollte man vorliegend eine solche Risikoschwangerschaft annehmen, so begründete diese angesichts der vorübergehenden Natur einer Schwangerschaft allenfalls eine zeitlich absehbare rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise und schon von daher keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Einer solchen vorübergehenden Not- oder Sondersituation ließe sich vielmehr nach der Rechtsprechung des Senats durch eine vorübergehende (weitere) Duldung des Aufenthalts angemessen Rechnung tragen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Sperrwirkung, Abschiebung, Ausweisung, unerlaubte Einreise, unerlaubter Aufenthalt, rechtliche Unmöglichkeit, Schutz von Ehe und Familie, Zumutbarkeit, Straftat, deutscher Ehegatte, Schwangerschaft, Krankheit, Ermessen,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2, GG Art. 6 Abs. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Danach darf ein Ausländer, der abgeschoben worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (Satz 1). Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller, der sogar bereits zweimal, nämlich im Februar 2000 sowie im April 2002 jeweils in sein Herkunftsland abgeschoben wurde. Das durch die Abschiebung begründete zwingende - im Übrigen vom Antragsteller bei der seinem jetzigen Aufenthalt in Deutschland zugrunde liegenden unerlaubten Wiedereinreise erneut missachtete - Einreiseverbot und das Aufenthaltsverbot haben nach dem Willen des Gesetzgebers zwingend zur Folge, dass die Ausländerbehörde einen solchen Aufenthalt nicht durch Erteilung eines Aufenthaltstitels legalisieren darf und das ausdrücklich auch dann, wenn der Ausländer mittlerweile aus einer Vorschrift des Aufenthaltsrechts (ansonsten) einen Anspruch auf Erteilung herleiten kann (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Abweichend davon besteht ein Ermessensspielraum des Antragsgegners als Ausländerbehörde - soweit hier von Bedeutung - nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG. Danach kann einem Ausländer - ausdrücklich - abweichend von der Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in "absehbarer Zeit" nicht gerechnet werden kann. Der unbestimmte Rechtsbegriff der "rechtlichen Unmöglichkeit" ist auch offen für eine Berücksichtigung des dem Art. 6 Abs. 1 GG zu entnehmenden Schutzauftrags des Staates gegenüber Gefährdungen der familiären Lebensgemeinschaft und der Ehe. Allerdings kann nach der allgemeinen Grundrechtsdogmatik nicht bereits aus jedem Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf dessen Verletzung und damit eine "rechtliche Unmöglichkeit" der Ausreise im Verständnis des § 25 Abs. 5 AufenthG geschlossen werden. Vielmehr sind bei der Anwendung der Vorschrift die einzelfallbezogen bestehenden familiären Bindungen des Ausländers entsprechend ihrem jeweiligen Gewicht zu berücksichtigen und vor allem mit den gegenläufigen, für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden öffentlichen Belangen abwägend ins Verhältnis zu setzen. Daher bedarf es der Darlegung besonderer Umstände, die selbst eine vorübergehende Trennung von Familienangehörigen als diesen unzumutbar erscheinen lassen (vgl. dazu Wenger in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, AufenthG § 60a Rn 6 mit Rechtsprechungsnachweisen).

Hinsichtlich der ganz gravierenden öffentlichen Interessen an einer dauerhaften Entfernung des Antragstellers aus der Bundesrepublik angesichts seines erheblichen mehrfachen - übrigens unbeeindruckt von der Geburt der Tochter ... im Jahre 1999 (vgl. dazu den sich unter anderem damit befassenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25.1.2002 - 2 F 86/01 -, durch den im Vorfeld der zweiten Abschiebung im April 2002 Abschiebungsschutz versagt worden ist) - Inerscheinungtretens im Bereich schwerer Betäubungsmittelkriminalität und der wiederholten illegalen Einreisen nach Deutschland jeweils nach seiner Abschiebung offenbar allein zum Zwecke der Einfuhr und des neuerlichen Handeltreibens mit gefährlichen Drogen hat das Verwaltungsgericht im Rahmen einer umfassenden Würdigung des Falles ausführlich dargestellt. Da die Beschwerde sich damit nicht auseinandersetzt, braucht das nicht wiederholt zu werden.

Eine trotzdem die (erneute) Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers in der Bundesrepublik dauerhaft hindernde rechtliche Ausreiseunmöglichkeit im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch sonst nicht aus dem Beschwerdevortrag. Hinsichtlich der am 30.9.2010 geschlossenen Ehe des Antragstellers mit der deutschen Staatsangehörigen ... als solcher hat das Verwaltungsgericht dies in seinem Beschluss vom 2.11.2010 bereits ausgeführt und insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass die Heirat erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung erfolgte, so dass die nunmehrige Ehefrau nicht habe davon ausgehen können, dass der Antragsteller in Deutschland bleiben und hier auf Dauer eine eheliche Lebensgemeinschaft mit ihr würde begründen können. Vielmehr mussten sowohl der Antragsteller als auch die Ehefrau bei der Eheschließung bereits sicher damit rechnen, dass sein Aufenthalt in Deutschland absehbar beendet werden würde. Dieser Einschätzung ist der Antragsteller mit der Beschwerde ebenfalls nicht entgegen getreten.

Die Zuckererkrankung der Ehefrau allein lässt nach dem dazu - nunmehr - vorgelegten ärztlichen Attest vom 15.11.2010 nicht auf eine dauerhafte zwingende Angewiesenheit ihrerseits auf eine Betreuung und Unterstützung durch den Antragsteller schließen. Sie wurde bereits vor Jahren (2007) diagnostiziert und die mehrmals täglich notwendigen Kontrollen des Blutzuckerwertes erfordern keine ständige Hilfestellung durch den Antragsteller. Hinsichtlich akuter Unterzuckerungen (Hypoglycämien), wie sie nach dem vorgelegten Attest in einem Fall zu einem stationären Krankenhausaufenthalt infolge "massiver Insulinsekretionsstörungen" führten, lässt sich dem Attest zum einen nicht entnehmen, wie hoch das Risiko eines erneuten entsprechenden Vorfalls ist. Nach dem Sachvortrag ist es bisher erst einmal im Sommer 2010 zu einem solchen Vorfall gekommen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass insoweit ohne die Anwesenheit des Antragstellers keine Hilfe zu erreichen wäre. Wie der Hinweis der Ärztin, weitere Verwandte "gebe es nicht", deutlich macht, ist in diesen Fällen durchaus auch eine Hilfe durch andere Personen als den Ehemann möglich und zielführend. Legt man den Vortrag des Antragstellers zugrunde, der nunmehr die Aufnahme einer - legalen - Erwerbstätigkeit anstrebt, so dürfte sich eine ständige Kontrolle und Überwachung der Ehefrau durch ihn ohnehin nicht sicherstellen lassen.

Dass bei der Ehefrau zusätzlich Ende November eine Schwangerschaft in der fünften Woche festgestellt wurde (vgl. die Bescheinigung der Fachärztin für Frauenheilkunde Dr. med. ... in Saarbrücken vom 29.11.2010, Blatt 112 der Gerichtsakte), rechtfertigt für sich genommen ebenfalls keine andere Beurteilung im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Schutzpflichten aus Art. 6 GG, die prinzipiell erst ab der Geburt eines Kindes einsetzen, können zwar in besonders gelagerten Ausnahmefällen Vorwirkungen mit der Folge entfalten, dass die beabsichtigte Abschiebung auch eines werdenden Vaters unzumutbar sein kann. Eine solche Sondersituation ist aber nur dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind und/oder die werdende Mutter, zum Beispiel wegen einer Risikoschwangerschaft, besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den abzuschiebenden Ausländer zumindest überwiegend wahrscheinlich ist. Die behandelnde Frauenärztin hat zwar insoweit keine Beziehung zu der bei der Ehefrau des Antragstellers festgestellten Zuckerkrankheit hergestellt. Wollte man mit Blick auf die Zuckererkrankung der werdenden Mutter - obgleich das im Sachvortrag des Antragstellers nicht explizit geltend gemacht wird - hier von einer solchen Risikoschwangerschaft ausgehen, so begründete diese angesichts der vorübergehenden Natur einer Schwangerschaft allenfalls eine zeitlich absehbare rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise des Antragstellers und schon von daher keinen Anspruch seinerseits auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Einer solchen vorübergehenden Not- oder Sondersituation ließe sich vielmehr nach der Rechtsprechung des Senats durch eine vorübergehende (weitere) Duldung des Aufenthalts des Antragstellers angemessen Rechnung tragen (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.2.2010 - 2 B 511/09 -, SKZ 2010, 220, Leitsatz Nr. 40, wonach auch in diesen Ausnahmefällen die wegen einer Risikoschwangerschaft der Ehefrau des abzuschiebenden Ausländers gebotene einstweilige Verpflichtung der Behörde, von der zwangsweisen Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet abzusehen, auf die Zeit der Schwangerschaft seiner Ehefrau zuzüglich eines in Anlehnung an § 6 Abs. 1 MuSchG bestimmten Zeitraumes von acht Wochen nach einer Geburt zu begrenzen ist). Für die Beurteilung des den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Aussetzungsbegehrens muss dem nicht nachgegangen werden.

Da bei dem Antragsteller unstreitig aufgrund der Verurteilung im August 2005 wegen gemeinschaftlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ohne Aussetzung zur Bewährung der Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 2 AufenthG vorliegt, stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aus denselben Gründen ferner § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, wobei ein Erteilungsanspruch des Antragstellers in diesem Fall eine Reduzierung des ausländerbehördlichen Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null erfordern würde. Auch das muss nicht vertieft werden.

Die nach Maßgabe der §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 20 AGVwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung (§ 59 AufenthG) im Bescheid vom 25.6.2010 begegnet keinen durchgreifenden Bedenken (§§ 58, 59 AufenthG). Hier nach dem zuvor Gesagten allenfalls in Betracht kommende Duldungsgründe (§ 60a Abs. 2 AufenthG) stehen dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen (vgl. dazu Wenger in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, AufenthG § 59 Rn 7 a.E.). [...]