VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 25.10.2010 - 11 K 2440/10 - asyl.net: M18042
https://www.asyl.net/rsdb/M18042
Leitsatz:

Anspruch für Minderjährigen auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit (Kosovo).

Schlagwörter: Einbürgerung, Staatsangehörigkeitsrecht, Hinnahme von Mehrstaatigkeit, Kosovo, Zumutbarkeit, minderjährig, Unmöglichkeit,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 4, StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat Anspruch auf seine Einbürgerung nach § 10 StAG. Dabei gehen die Beteiligten, wie sie in der mündlichen Verhandlung bekräftigt haben, übereinstimmend davon aus, dass der Kläger mit Ausnahme von Abs. 1 Nr. 4 sämtliche Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Einbürgerungsanspruch auch § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG (in beiden Fassungen) nicht entgegen.

Der Beklagte hat sich inzwischen darauf festgelegt, dass der Kläger unter Hinnahme seiner serbischen Staatsangehörigkeit einzubürgern wäre. Im Hinblick auf die gleichfalls bestehende kosovarische Staatsangehörigkeit hat er dies jedoch zu Unrecht abgelehnt.

Anders als der Kläger und entsprechend der ausführlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung geht das Gericht davon aus, dass der Kläger die kosovarische Staatsangehörigkeit durch Abstammung gemäß § 28, 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes des Kosovo - XKS - erworben hat. Dies hat der angefochtene Widerspruchsbescheid ausführlich und zutreffend dargelegt und das Gericht nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, insoweit hierauf Bezug (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Entgegen der Meinung des Beklagten ist dem Kläger jedoch die Verweisung auf die Regelungen über die Entlassung aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit nicht zuzumuten. Soweit sich die angefochtenen Bescheide mit dieser Frage befasst haben, ist dies auf einer abstrakten und nicht auf die vorliegenden Besonderheiten eingehenden Ebene erfolgt. Die Bescheide haben insbesondere außer acht gelassen, dass schon längere, unter Umständen mehrjährige Verfahrenszeiten für sich allein die Unzumutbarkeit iSd § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG begründen können.

Der Kläger könnte erst nach Vollendung des 14. Lebensjahres aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit entlassen werden. Denn er erfüllt die Voraussetzungen nach § 18 XKS nicht, wonach ein minderjähriges Kind von sorgeberechtigten kosovarischen Eltern vor Vollendung des 14. Lebensjahres nur auf deren beider Antrag und nur dann entlassen wird, wenn diese aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit entlassen wurden (vgl. die auch insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid). Da der Vater des Klägers - womöglich zu Unrecht - unter Hinnahme seiner bereits bestehenden kosovarischen Staatsangehörigkeit eingebürgert worden ist, wäre eine Verweisung des Klägers auf die Möglichkeit des Vaters, sich nachträglich noch aus diese Staatsangehörigkeit entlassen zu lassen, ihm gegenüber rechtsmissbräuchlich. Unklar ist auch, ob seine Mutter überhaupt die Voraussetzungen für eine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband erfüllt. Dies wäre notwendig, weil nach § 17 Nr. 1 a) XKS aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit nur entlassen wird, wer die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates oder eine hierauf gerichtete Einbürgerungszusicherung besitzt. Somit ist derzeit nicht absehbar, ob der Kläger vor Vollendung des 14. Lebensjahres überhaupt die Voraussetzung für eine Entlassung aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit wird erfüllen können.

Nach 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG ist die Mehrstaatigkeit dann hinzunehmen, wenn der ausländische Staat die Entlassung von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Das ist der Fall, wenn eine Entlassungsbedingung bei normativ geleiteter Betrachtung nicht mehr als sachgerecht anzuerkennen ist (vgl. dazu Berlit in GK-StAR, November 2005, Anm. 106 zu § 12). Zumutbare Entlassungsbedingungen müssen so beschaffen sein, dass der Einbürgerungsbewerber eine realistische Chance hat, auch erfüllen zu können (BVerwG, Urteil vom 03.05.2007, - 5 C 3/06 -, <Juris>). Dabei ist objektiv auf die persönlichen Verhältnisse des Einbürgerungsbewerbers abzustellen (Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, Anm. 18 zu § 12 StAG).

Dies gilt namentlich in Fällen der sog. altersbedingten Unmöglichkeit. Schon nach der Gesetzesbegründung zum StAG 2004 (BT-DrS 14/533 S. 19) sollte der Umstand, "dass der Ausländer aus Altersgründen die ausländische Staatsangehörigkeit (noch) nicht aufgeben kann", (wenngleich gesetzessystematisch unzutreffend, vgl. dazu Hofmann/Hoffmann, aaO., Anm. 10 zu § 12 StAG mit weiteren Nachweisen) unter § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StAG fallen. Inzwischen ist geklärt, dass diese Konstellation zwar nicht § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StAG (vgl. schon Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 15.01.2003, - 7 K 3145/02 -, <Juris>) fällt, sondern dem § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 2. Alt. zuzurechnen ist (vgl. Hofmann/Hoffmann, aaO., Anm. 17).

In diesem Sinne kann sich die Bedingung, eine bestimmte Altersgrenze erreicht zu haben, um aus der bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, als unzumutbar erweisen. Das wird etwa bei einem minderjährigen Einbürgerungsbewerber angenommen, der noch weit von der erforderlichen Altersgrenze entfernt ist, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und der kaum Bindungen an den Herkunftsstaat seiner Eltern hat, bzw. der nicht bereits Deutscher durch Geburt nach § 4 Abs. 3 StAG ist (vgl. Hofmann/Hoffmann, aaO.; Berlit, aaO., Anm. 166).; vgl. unter Bezugnahme auf BVerwG, aaO., auch Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 21.09.2009, - 11 K 3612/09 -, <Juris>, im Fall einer minderjährigen Türkin, die frühestens als 18-Jährige aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen werden kann).

Vorliegend sind derartige Besonderheiten gegeben. Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt musste beim Kläger schon deshalb ausscheiden, weil zu diesem Zeitpunkt der Erwerbstatbestand nach § 4 Abs. 3 StAG noch nicht existierte (vgl. Marx in GK-StAR, aaO., Anm. 10 zu § 4). Zudem hat sein Vater erst am 05.12.2002 eine (unbefristete) Aufenthaltsberechtigung (als Vorläufer der Niederlassungserlaubnis) erworben. Dagegen konnte der jüngere, am 24.01.2007 geborene, Bruder des Klägers schon von der Neuregelung profitieren und ist als Deutscher geboren worden. Auch sein Vater wurde inzwischen eingebürgert, so dass lediglich die Mutter noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat. Der in Deutschland geborene Kläger weist keinerlei erkennbare Bindungen an den Kosovo auf und dürfte hier altersgemäß in die Lebensverhältnisse voll eingefügt sein. Da er das 14. Lebensjahr erst am 09.02.2015 vollenden wird, so würden seit der Beantragung seiner Einbürgerung bereits 9 Jahre vergangen sein, wollte man ihn zwingen, bis dahin auf seine Einbürgerung zu warten. Nach Auffassung des Gerichts kann dies dem Kläger nicht zugemutet werden.

Unter diesen Voraussetzungen brauchte der Kläger auch keinen Entlassungsantrag im Kosovo zu stellen. Im Rahmen von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG muss der Einbürgerungsbewerber kein Entlassungsverfahren betreiben, wenn absehbar ist, dass er erfolglos bleiben wird, weil der Herkunftsstaat die Entlassung generell und unabhängig von einem bestimmten Antrag von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Dem Einbürgerungsbewerber ist in einem solchen Fall nicht abzuverlangen, das mitunter aufwändige Entlassungsverfahren nur der Form halber zu betreiben (BVerwG, aaO.; vgl auch Hofmann/Hoffmann, aaO., Anm. 17; Berlit, aaO.; Anm. 79). [...]