OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.01.2011 - 18 B 1662/10 - asyl.net: M18098
https://www.asyl.net/rsdb/M18098
Leitsatz:

Um sich auf § 39 Nr. 6 AufenthV (Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Heirat ohne vorheriges Visumsverfahren) berufen zu können, muss der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis spätestens am letzten Gültigkeitstag des von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Visums gestellt werden und der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis haben. Wird diese Frist versäumt, kann der Antrag zwar möglicherweise die Fiktion des allenfalls anwendbaren § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG auslösen, denn der in einem anderen Schengen-Staat ausgestellte Titel ist kein Titel im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG. Zu einer Befreiung von der Visumspflicht nach § 39 Nr. 6 AufenthV führt er jedoch nicht. Vorliegend verfügte der Antragsteller bei Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht über die erforderlichen Deutschkenntnisse.

Schlagwörter: Fiktionswirkung, rechtmäßiger Aufenthalt, Schengen-Visum, Ehegattennachzug, Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz, Deutschkenntnisse
Normen: AGVwGO § 5, AufenthG § 5 Abs. 2, AufenthG § 6 Abs. 4, AufenthV § 39 Nr. 6, AufenthV § 41 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 81 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Von diesen Grundsätzen ausgehend entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 5 K 5124/10 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. Juli 2010 zu Recht abgelehnt haben dürfte. Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug fehlte es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG. Der Antragsteller war nämlich ohne das für den beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt erforderliche Visum (§ 6 Abs. 4 AufenthG) in das Bundesgebiet eingereist. Er war auch nicht nach Maßgabe der auf Grund von § 99 AufenthG erlassenen Spezialregelung des § 39 Nr. 6 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise im Bundesgebiet einzuholen. Danach kann über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind. Diese Regelung schafft die Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel ohne vorheriges Visumverfahren in Fällen zu beantragen, in denen der Antragsteller einen Anspruch auf den beantragten Aufenthaltstitel hat und er bereits einen Aufenthaltstitel eines anderen Schengenstaates besitzt (vgl. BR-Drs. 659/05, S. 6 f.).

Insoweit zeigt die Präsensformulierung "besitzt" bzw. "berechtigt ist", dass der Ausländer sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt des Eintritts der letzten Anspruchsvoraussetzung für die Erteilung der von ihm begehrten Aufenthaltserlaubnis noch über die Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet auf Grund des von einem anderen Schengen-Staats ausgestellten Aufenthaltstitels verfügen muss.

Entsprechendes folgt aus § 39 Nr. 6 2. Halbsatz AufenthV, der auf § 41 Abs. 3 AufenthV verweist. Danach ist der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels innerhalb von drei Monaten nach der Einreise zu stellen. Zwar wollte der Verordnungsgeber insoweit in Abweichung von § 81 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lediglich klarstellen, dass der Antrag analog zu den Fällen des § 41 AufenthV nicht unverzüglich zu stellen ist (vgl. BR-Drs. 659/05, S. 7).

Der in § 41 Abs. 3 AufenthV benannte Zeitraum von drei Monaten entspricht aber dem Zeitraum, in welchem sich ein Drittausländer gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ i.V.m. § 15 AufenthV höchstens im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei frei bewegen darf, sofern er Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels ist. Allerdings verlängert die Antragstellung die Gültigkeit des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht. Der Antragsteller muss daher, um sich auf § 39 Nr. 6 AufenthV berufen zu können, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ungeachtet der insoweit missverständlichen Bezugnahme des § 39 Nr. 6 2. Halbsatz AufenthV auf § 41 Abs. 3 AufenthV spätestens am letzten Gültigkeitstag des von dem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitels stellen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand März 2010, § 81 Rdnr. 13; Hofmann, in HK-AuslR, 2008, § 81 Rdnr. 17).

Versäumt er diese Frist, kann der Antrag zwar möglicherweise die Fiktion des allenfalls anwendbaren § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auslösen, denn der in einem anderen Schengenstaat ausgestellte Titel ist kein Titel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Zu einer Befreiung von der Visumspflicht nach § 39 Nr. 6 AufenthV führt er jedoch nicht.

§ 39 Nr. 6 AufentV knüpft damit letztlich an einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an, der schon während des gemeinschaftsrechtlich zulässigen Aufenthalts im Bundesgebiet besteht. Er begünstigt denjenigen, der vor Beendigung seines rechtmäßigen Aufenthalts einen materiellen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hat. In dieser Konstellation würde sich eine Nachholung des Visumverfahrens aus der Sicht des Verordnungsgebers als bloße Förmelei darstellen.

Ausgehend hiervon erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen des § 39 Nr. 6 AufenthV nicht. Ungeachtet der Frage, wann dieser in das Bundesgebiet eingereist ist, war der slowenische Aufenthaltstitel jedenfalls am 11. Mai 2010 abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Antragsteller aber ersichtlich noch nicht über die nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Sprachkenntnisse. Soweit der Antragsteller auf die rechtzeitige Antragstellung und die hierdurch ausgelöste Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG verweist, vermittelt diese nicht den nach § 39 Nr. 6 AufenthV erforderlichen Aufenthaltsstatus. Dies gilt umso mehr, weil die Fiktionswirkung mit der ablehnenden Entscheidung der Behörde rückwirkend entfällt. [...]