OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2010 - 2 So 155/10 - asyl.net: M18148
https://www.asyl.net/rsdb/M18148
Leitsatz:

1. Gegen einen gerichtlichen Aussetzungsbeschluss gemäß § 94 VwGO ist die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaft.

2. Ob die Voraussetzungen des Anfechtungsrechts der Ausländerbehörde gegenüber Vaterschaftsanerkennung für ein Kind einer ausländischen Staatsangehörigen nach §§ 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 und 4 BGB vorliegen, ist grundsätzlich nicht vom Verwaltungsgericht, sondern vom sachlich zuständigen Familiengericht zu prüfen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Vaterschaftsanerkennung, Vaterschaftsanfechtung, deutsches Kind, Ausländerbehörde, Zuständigkeit, Familiengericht, Aussetzung des Verfahrens, Beschwerde, Eltern-Kind-Verhältnis
Normen: BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5, BGB § 1600 Abs. 3, BGB § 1600 Abs. 4, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, BGB § 1592 Nr. 2, VwGO § 94, VwGO § 146 Abs. 2, StAG § 4 Abs. 1, GVG § 17 Abs. 2 S. 1, BGB § 1600d Abs. 4, BGB § 1599 Abs. 1, BGB § 1592 Nr. 1
Auszüge:

[...]

1. Die Beschwerde der Klägerin ist gemäß § 146 Abs. 1 VwGO und § 173 VwGO i.V.m. § 252 ZPO statthaft Bei der Aussetzung des Verfahrens gemäß § 94 VwGO handelt es sich nicht lediglich um eine prozessleitende Verfügung, bei der gemäß § 146 Abs. 2 VwGO eine Beschwerde ausgeschlossen ist. Hierfür spricht bereits, dass mit der Aussetzung auch eine materielle Entscheidung über das Vorliegen eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses verbunden ist: Außerdem liegen Beschlüsse nach § 94 VwGO in ihrer Tragweite für den Fortgang des Verfahrens wesentlich über der Mehrzahl der neben den prozessleitenden Verfügungen von § 146 Abs. 2 VwGO erfassten Maßnahmen, so dass eine Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist (Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 94 Rn. 39; Schmid in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 94 Rn. 54; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 94 Rn. 7 m.w.N.). Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 147 VwGO).

2. Die Beschwerde der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg, da das Verwaltungsgericht seinen Beschluss, das Klageverfahren bis zu einer Entscheidung des Familiengerichts über die Anfechtung der Vaterschaft des J. S. auszusetzen, auf § 94 VwGO stützen kann, ohne dass dies einen Ermessensfehler erkennen lässt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.

Ob das Verwaltungsgericht die Aussetzung des Verfahrens auch auf die spezielle Vorschrift des § 75 Satz 3 VwGO hätte stützen können, kann offen bleiben, da § 94 VwGO jedenfalls in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (Rudisile, a.a.O., § 94 Rn. 12; Schmid, a.a.O., § 94 Rn. 3).

Die Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG hängt davon ab, ob ihre Tochter C. Deutsche ist. Dies wäre zu bejahen, wenn sie gemäß § 4 Abs. 1 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben hätte. Voraussetzung hierfür ist, dass der deutsche Staatsangehörige J. S. zu Recht gemäß § 1592 Nr. 2 BGB die Vaterschaft für das Kind anerkannt hat, weil es von ihm abstammt. Wegen dieser entscheidungserheblichen zivilrechtlichen Vorfrage für das Bestehen eines aufenthaltsrechtlichen Anspruchs der Klägerin nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG hat das Verwaltungsgericht nach seinem Ermessen das Verfahren ausgesetzt, damit das Familiengericht darüber in dem von der Beklagten nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB bereits anhängig gemachten Anfechtungsverfahren verbindlich entscheiden kann.

Diese Entscheidung ist in aller Regel sachgerecht, weil das Verwaltungsgericht über die Vaterschaft eines Mannes nicht rechtskräftig entscheiden kann, da diese Frage in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fällt (§ 13 GVG). Daran ändert auch § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nichts (siehe dazu VGH München, Beschl. v. 9.4.2003, NVwZ-RR 2003, 542). Durch die Aussetzung des Verfahrens werden im Interesse der Rechtssicherheit möglicherweise divergierende Entscheidungen vermieden. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber der zuständigen (Ausländer-) Behörde gerade in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB das Anfechtungsrecht (durch das Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft v. 18.3.2008 (BGBl. I S. 313) und BT-Drs. 16/3291) eingeräumt hat, damit die Frage, ob die Anerkennung der Vaterschaft zu Recht oder lediglich rechtsmissbräuchlich zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis erfolgt ist, vor dem sachnäheren Familiengericht rechtskräftig geklärt werden kann.

Der Hinweis der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe § 1600d Abs. 4 BGB übersehen, ist ungeeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Durch diese Vorschrift wird die Berufung auf die Wirkung einer noch nicht (gerichtlich) festgestellten Vaterschaft ausgeschlossen und auf gesetzlich geregelte Ausnahmen beschränkt (sog. Rechtsausübungssperre). An einem Feststellungsurteil zu Gunsten des J. S. fehlt es jedoch gerade. Andererseits folgt aus § 1599 Abs.1 BGB, dass Vaterschaftstatbestände mit Wirkung für und gegen alle gelten und man sich nur und erst dann auf deren Nichtgeltung bzw. die Vaterschaft eines anderen Mannes berufen kann, wenn die Tatbestände des § 1592 Nr. 1 oder 2 BGB auf Grund einer wirksamen Anfechtung beseitigt sind (Wellenhofer in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2008, § 1599 Rn. 2). Daran hat sich aber das Verwaltungsgericht gehalten, indem es keine Inzidentfeststellung zur Vaterschaft getroffen und stattdessen das Verfahren ausgesetzt hat. Davon abgesehen dient die sog. Sperrwirkung einer bestehenden Vaterschaft dem Schutz des Vater-Kind-Verhältnisses, so dass sich die Klägerin als Mutter darauf wird kaum berufen können, wenn sie nur für sich ein Aufenthaltsrecht zu erstreiten sucht.

Ob die Voraussetzungen des Anfechtungsrechtes der Beklagten nach § 1600 Abs. 3 und 4 BGB vorliegen oder nicht, ist grundsätzlich nicht vom Beschwerdegericht, sondern von dem insoweit sachlich zuständigen Familiengericht zu prüfen. Dass die Anfechtungsvoraussetzungen offensichtlich nicht gegeben sind, legt die Klägerin weder dar noch drängt sich dies nach Aktenlage sonst wie auf.

Schließlich ist der Klägerin nicht darin zu folgen, dass die Dauer der Aussetzung für sie unzumutbar lang sei, weil das Hanseatische Oberlandesgericht im Beschwerdeverfahren wegen der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft () für ihre Tochter erwäge, dieses Verfahren auszusetzen, da Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB bestünden und das Amtsgericht Hamburg-Altona, Familiengericht, bereits mit Beschluss vom 15. April 2010 (350 F 118/09, juris) dem Bundesverfassungsgericht diese Frage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorgelegt habe. Zum einen betrifft das Verfahren beim Hanseatischen Oberlandesgericht die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft und nicht die Anfechtung der Vaterschaft. Zum anderen entstehen der Klägerin durch die Verfahrensdauer des Anfechtungsverfahrens jedenfalls so lange keine unzumutbaren Nachteile, wie sie über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG verfügt. Im Übrigen ist es ihr unbenommen, den Fortgang des Verfahrens dadurch zu fördern, dass sie J. S. veranlasst, ein Sachverständigengutachten über die Abstammung ihrer Tochter vorzulegen. [...]