VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 24.11.2010 - M 25 K 09.5509 - asyl.net: M18151
https://www.asyl.net/rsdb/M18151
Leitsatz:

Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Einbürgerungsverfahren (§ 10 StAG) ist nur eine formelle Voraussetzung. Jenseits innerer, nicht überprüfbarer mentaler Vorbehalte kann die Frage, ob ein Bekenntnis oder eine Loyalitätserklärung "wahrheitsgemäß" ist, nur anhand tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne von § 11 S. 1 Nr. 1 StAG sinnvoll geprüft und entschieden werden.

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Bekenntnis, freiheitliche demokratische Grundordnung, Loyalitätserklärung
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 3, StAG § 11 Abs. 1 Nr. 1, StAG § 40c, StAG § 10 Abs. 1 S. 2, StAG § 11 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

2. Der Beklagte darf nach Auffassung der Kammer der Klägerin die beantragte Einbürgerung jedenfalls nicht deshalb verweigern, weil ihre am 25. August 2005 abgegebene Bekenntniserklärung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. nicht wirksam sei.

a) Das Bekenntnis der Klägerin ist nicht deshalb unwirksam, weil die Klägerin zum Zeitpunkt dieser Erklärung nach Auffassung des Beklagten nicht annähernd gewusst habe, was unter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verstehen ist ("Lippenbekenntnis", vgl. S. 4 d. Bescheids vom 21.10.2009). Dieses Bekenntnis zur Grundordnung ist nach Auffassung des Gerichts, ebenso wie die sogenannte "Loyalitätserklärung", lediglich eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung.

Nach der Gesetzesbegründung zu § 85 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung soll das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers - zusammen mit der Loyalitätserklärung - die innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland "dokumentieren" (vgl. BT-Drs. 14/533, S. 18). Bereits die Entstehungsgeschichte der staatsangehörigkeitsgesetzlichen Konzeption, vom Einbürgerungsbewerber zu Dokumentationszwecken ein Bekenntnis und eine Loyalitätserklärung zu fordern, spricht dafür, darin lediglich eine formelle Voraussetzung zu sehen (hierzu näher Berlit in: GK-StAR [Stand: September 2010], § 10 StAG RdNr. 128). Doch auch die Systematik der Bestimmungen in den §§ 10 und 11 StAG weist in diese Richtung. Denn die in § 11 Satz 1 Nr. 2 a.F. bzw. seit 2007 in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG enthaltene Regelung erklärt die Einbürgerung dann für ausgeschlossen, wenn bestimmte Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer sich in einer Art verhalten hat bzw. noch verhält, hinsichtlich der er nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG im Rahmen der Loyalitätserklärung gehalten ist, zu erklären, dass er sich so nicht verhalten hat bzw. verhält. Hätte der Gesetzgeber eine Regelung beabsichtigt, wonach die Loyalitätserklärung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG von den Behörden auf ihre inhaltliche Richtigkeit - gemessen an der inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers - zu prüfen sei, dann wäre § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sinnlos (so auch Berlit, a.a.O., RdNr. 129), da dann bereits bei behördlich (aus welchen Gründen und nach welchen Maßstäben auch immer) festgestellter Unrichtigkeit der Loyalitätserklärung die Einbürgerung ausgeschlossen wäre. Auf ein behördlicherseits darzulegendes und gegebenenfalls zu beweisendes Vorliegen von Anhaltspunkten im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG käme es dann nicht mehr an.

(2) Im angefochtenen Bescheid hat der Beklagte (nur) die Wirksamkeit des Bekenntnisses bestritten, nicht aber die der Loyalitätserklärung. Im Rahmen der Loyalitätserklärunq erklärt der Einbürgerungsbewerber u. a., dass er Bestrebungen weder verfolgt noch unterstützt, die "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" gerichtet sind (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) StAG). Diese Erklärung korrespondiert daher mit der Formulierung des Ausschlussgrundes in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG. Müsste aber der Einbürgerungsbewerber, um diese Loyalitätserklärung in der vom Beklagten intendierten Hinsicht wirksam abgeben zu können, zumindest einfache Grundkenntnisse über die Grundordnung haben, so würde die behördliche Darlegungs- und Beweislast zum Nachweis des Vorliegens von einbürgerungshindernden Anhaltspunkten entfallen. Vielmehr sähe sich der Einbürgerungsbewerber dann der Anforderung ausgesetzt, in Zweifelsfällen im Rahmen der Loyalitätserklärung darzulegen und zu beweisen, dass er Grundkenntnisse über die Grundordnung habe, die in der Loyalitätserklärung unter Buchstabe a) genannt ist. Die Kammer ist der Auffassung, dass ein solches Verständnis der Loyalitätserklärung der damaligen gesetzgeberischen Konzeption zuwiderläuft.

(3) Nichts anderes kann dann aber für das ebenfalls in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG geforderte Bekenntnis gelten, denn die Kammer kann dem Gesetz keinen Hinweis dafür entnehmen, dass ein Einbürgerungsbewerber ohne Grundkenntnisse von der Grundordnung zwar eine Loyalitätserklärung, nicht aber ein Bekenntnis wirksam abgeben kann. Das Gericht ist der Auffassung, dass jenseits innerer, nicht überprüfbarer mentaler Vorbehalte die Frage, ob ein Bekenntnis oder eine Loyalitätserklärung "wahrheitsgemäß" ist, sinnvoll nur anhand tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG geprüft und entschieden werden kann. Die vom Beklagten im angefochtenen Bescheid verwendete Bezeichnung "Lippenbekenntnis" vernachlässigt den symbolischen, selbstverpflichtenden Gehalt solcher Bekenntnisse und Erklärungen und unterstellt Einbürgerungsbewerbern pauschal ein taktisches Verhalten (so auch Berlit, a.a.O., RdNr. 130). Anders als etwa im Beamtenrecht, wo der Gesetzgeber als Voraussetzung für eine Berufung in das Beamtenverhältnis fordert, dass die entsprechende Person dafür Gewähr bietet, jederzeit für die Grundordnung einzutreten (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG), belässt es der Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht beim Erfordernis des Bekenntnisses, das eben auch in einer bloß verbalen Bejahung der Grundprinzipien der geltenden Verfassungsordnung liegen kann. Es ist dem Staatsangehörigkeitsgesetz nach Auffassung der Kammer nicht zu entnehmen, dass jedenfalls bis zur Einführung der Voraussetzung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG im Jahr 2007 (in Kraft getreten nach Art. 10 Abs. 4 des Gesetzes vom 19.8.2007, BGBl. I, S. 1970, am 1.9.2008) ein Einbürgerungsbewerber auch nur einfache Grundkenntnisse zur Grundordnung nachweisen musste. Da die Klägerin jedoch bereits im Jahre 2005 (und damit bis zum 31.3.2007) ihre Einbürgerung beantragt hatte, gilt nach § 40 c StAG die frühere, für sie insoweit günstigere Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Im Übrigen spricht gerade auch die Aufnahme der Verpflichtung eines Einbürgerungsbewerbers, Kenntnisse der bundesdeutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung nachzuweisen, im Jahr 2007 in das Staatsangehörigkeitsgesetz dafür, anzunehmen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls vorher solche Kenntnisse vom Einbürgerungsbewerber nicht nachzuweisen waren.

(4) Im Übrigen spricht auch § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG für die Auffassung, dass der Gesetzgeber nur die formelle Abgabe eines Bekenntnisses fordert, nicht aber die Wirksamkeit in Form einer "inhaltlichen Richtigkeit" dieses Bekenntnisses. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG müssen Ausländer, die nicht handlungsfähigkeit nach Maßgabe des § 80 Abs. 1 AufenthG sind, die also das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, u.a. die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG nicht erfüllen. Personen unter 16 Jahren müssen demnach weder ein Bekenntnis noch eine Loyalitätserklärung im genannten Sinn abgeben. Der Gesetzgeber wollte hierbei erklärtermaßen an die Handlungsfähigkeit ("Verfahrensfähigkeit") des Einbürgerungsbewerbers anknüpfen (vgl. BT-Drs. 14/533, S. 18). Wäre es ihm jedoch auf "inhaltlich wahrheitsgemäße" Erklärungen bzw. Bekenntnisse nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG angekommen, so hätte es nahe gelegen, nicht nur die Regelung zum Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG auch auf Minderjährige unter 16 Jahren, sondern auch die Bestimmungen zum Bekenntnis und zur Loyalitätserklärung auf diesen Personenkreis anzuwenden (ähnlich Berlit, a.a.O., RdNr. 138). Gerade das aber hat der Gesetzgeber bewusst unterschiedlich geregelt.

(5) Außer der vom Beklagten zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. Februar 2008 (13 S 1169/07) und der dort zitierten Entscheidung dieses Obergerichts vom 12. Dezember 2005 (13 S 2948/04; dort allerdings bedurfte die Frage, ob ein Bekenntnis nur eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung ist, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs noch keiner abschließenden Klärung; vgl. a.a.O. [juris] RdNr. 10) liegen der Kammer keine obergerichtlichen Entscheidungen vor, die die Sichtweise des Beklagten vom Bekenntnis als nicht nur formelle Einbürgerungsvoraussetzung stützen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Beschluss vom 8. Dezember 2008 (5 B 58/08) diese Frage offen gelassen und ausgeführt, mit der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 und Abs. 5 StAG mit Wirkung zum 1. September 2008 zum Nachweis von Kenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland erübrige sich für die Zukunft diese Frage (a.a.O., juris] RdNr. 3). Dem Fall des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aus dem Jahr 2008 hingegen lag ein Sachverhalt zugrunde, wonach der Kläger selbst nach den gerichtlichen Feststellungen eingeräumt hatte, den Inhalt und die Bedeutung der Loyalitätserklärung nicht verstanden zu haben. Die Frage des Vorsitzenden, was in politischer Hinsicht der Unterschied zwischen Deutschland und Sri Lanka sei, konnte der Kläger in diesem Verfahren nicht beantworten. Auf die weitere Frage, ob er Grundrechte oder Menschenrechte kenne, hatte er darauf verwiesen, dass man machen müsse, was einem die Gerichte, das Gesetz oder die Polizei sagten. Damit hatte er nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg indes die Bedeutung der Grundrechte grundlegend missverstanden und sogar eher in ihr Gegenteil verkehrt. Lediglich soweit er weiter angegeben hatte, Mann und Frau seien gleich, hatte er nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ansatzweise den Inhalt eines Grundrechts wiedergegeben. Der Verwaltungsgerichtshof war der Auffassung, dass dies eine für eine Einbürgerung ausreichende Kenntnis offenkundig nicht darstelle.

(6) Schon darin unterscheidet sich der vorliegende Fall erheblich. Die Klägerin hatte auf die Frage zur Demokratie mit ihrer Begeisterung vor allem für die Freiheit geantwortet. Auf die Frage, wie sie dazu stehe, dass bei einer Demokratie alle Macht vom Volk her ausgehe, antwortete sie, das sei für sie das Wesen der Demokratie. [...] Ob ein Einbürgerungsbewerber darüber hinaus den Namen des bayerischen Ministerpräsidenten wissen muss, um in den deutschen Staatsverband eingebürgert zu werden, lässt das Gericht offen. Dies gilt gleichermaßen für die Namen der Ministerpräsidenten und Regierenden Bürgermeister der übrigen 15 Bundesländer.

b) Das Bekenntnis der Klägerin ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Klägerin (angeblich) eine grundordnungswidrige innere Einstellung hat (vgl. S. 6 d. Bescheids). Hierzu wird, insbesondere in Hinblick auf die Beweislastverteilung zum Vorliegen einbürgerungswidriger Anhaltspunkte, entsprechend auf die oben dargestellten Ausführungen verwiesen. Anzumerken ist jedoch, dass der Vortrag des Beklagten im Bescheid, die Klägerin selbst sehe keinen Widerspruch zwischen Scharia und den deutschen Gesetzen, insofern unschlüssig ist, als der Beklagte zuvor sinngemäß behauptet hatte, der Klägerin fehlten zumindest einfache Grundkenntnisse zur Grundordnung. Dies würde dann auch die "deutschen Gesetze" betreffen. Einen Widerspruch zwischen diesen deutschen Gesetzen und der Scharia könnte die Klägerin dann jedoch schon aufgrund fehlender Kenntnis von diesen Gesetzen nicht erkennen. Widersprüchlich ist nach Auffassung der Kammer ferner die im Bescheid wiedergegebene Ansicht des Beklagten, die Klägerin habe das Gedankengut, die Werteordnung und die Ziele der En-Nahda "zutiefst verinnerlicht", wenn er in diesem Bescheid ausführt, für diese Ideologie der En-Nahda sei das westliche Freiheitsverständnis als Bestandteil der Demokratie inakzeptabel, zugleich aber darin feststellt, dass die Klägerin mit dem Begriff der Demokratie (immerhin) soviel habe anfangen können, als sie das "toll finde, vor allem die Freiheit". [...]