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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 06.12.2010 - 16 L 254.10 - asyl.net: M18153
https://www.asyl.net/rsdb/M18153
Leitsatz:

Wenn der Heimatstaat unklar ist, ist die Ausländerbehörde nicht verpflichtet, zur Identitätsfeststellung und Passersatzpapierbeschaffung für eine Botschaftsvorführung zunächst den Angaben des Ausländers zu folgen. Es ist auch nicht geboten, vor der Vorsprache stets zu klären, welchen Personen konkret er vorgestellt werden soll, durch wen diese autorisiert wurden und ob sie mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes nach Deutschland eingereist sind (hier: Vorführung vor einen Botschaftsvertreter der Republik Gambia in den Räumen der Ausländerbehörde in Halberstadt).

Schlagwörter: zwangsweise Vorführung bei Auslandsvertretung, Passbeschaffung, Identitätsfeststellung, vorläufiger Rechtsschutz, Guinea-Bissau, Gambia, Sprachanalyse, Ausländerbehörde, Ermessen
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AufenthG § 82 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 48 Abs. 3, AufenthG § 49 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag des ohne Ausweispapiere eingereisten, nach seinen Angaben am ... 1992 … geborenen und aus Guinea-Bissau stammenden Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage - VG 16 K 255.10 - gegen den Bescheid des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin vom 3. September 2010 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid, mit dem der Antragsteller aufgefordert wurde, zur Klärung seiner Identität und zur Erlangung eines Heimreisedokuments persönlich bei der Botschaft der Republik Gambia - Vorführungsort: Ausländerbehörde des Landkreises Halberstadt - zu erscheinen, wo er einem Botschaftsvertreter der Republik Gambia vorgeführt werden soll, ist bei der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig. Auch die Vollziehungsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist sachlich gerechtfertigt. Deshalb überwiegt das öffentliche Interesse an der unverzüglichen Durchführung der Maßnahme das Interesse des Antragstellers, davon vorerst verschont zu bleiben.

Nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist, angeordnet werden, dass ein Ausländer bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der nach illegaler Einreise vollziehbar ausreisepflichtige und notfalls abzuschiebende Antragsteller besitzt nach seinen Angaben kein Heimreisedokument. Dessen Beschaffung setzt unstreitig die persönliche Vorsprache bei der Vertretung seines Heimatstaates voraus, die der Antragsteller pflichtwidrig (vgl. §§ 48 Abs. 3, 49 Abs. 2 AufenthG) noch nicht unternommen hat. Welches der Heimatstaat des Antragstellers ist, ist indessen unklar. Zwar hat der Antragsteller Guinea-Bissau als das Land seiner Staatsangehörigkeit bezeichnet. Die vom Antragsgegner in Auftrag gegebene Sprachanalyse hat aber ergeben, dass Guinea-Bissau als Herkunftsland ausgeschlossen werden kann, der Antragsteller vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Gambia stammt. Damit ist ein hinreichend konkreter sachlicher Anhaltspunkt (vgl. zu diesem Erfordernis z.B.: Renner, AuslR, 8. Aufl., § 82 AufenthG Rn. 6; HK-AuslR/Hofmann, § 82 AufenthG Rn. 36) dafür gegeben, dass Gambia der Heimatstaat des Antragstellers ist, was die Anordnung zur Vorsprache vor Vertretern Gambias rechtfertigt. Eine Verpflichtung des Antragsgegners, in Fällen mehrerer in Betracht kommender Herkunftsländer zunächst den Angaben des Ausländers zu folgen, besteht nicht. Dass die Vorsprache nicht in einer gambischen Auslandsvertretung erfolgen soll, sondern in den Räumen der Ausländerbehörde in Halberstadt, hat nach Angaben des Antragsgegners allein organisatorische Gründe. Dass die Reise nach Halberstadt für den Antragsteller eine unverhältnismäßige Belastung darstellte, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, zumal die Fahrtkosten durch die öffentliche Hand getragen werden. Sonstige Ermessensfehler der Anordnung (vgl. § 114 VwGO) sind nicht ersichtlich.

Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers ist es nicht geboten, vor der Vorsprache zu klären, welchen Personen er konkret vorgestellt wird, durch wen diese Personen autorisiert wurden und ob sie mit Zustimmung des Auswärtigen Amts nach Deutschland eingereist sind. Eine solche Prüfung, die ohnehin nur auf diplomatischem Wege erfolgen könnte und mithin sehr aufwändig wäre, sieht das Gesetz nicht vor, das davon ausgeht, dass in diesen Fällen ermächtigte Bedienstete der jeweiligen Auslandsvertretung tätig werden. Konkrete oder gar gravierende Zweifel, ob wirklich die Mitarbeiter der gambischen Auslandsvertretung zur Vornahme von Amtshandlungen ermächtigt sind (vgl. dazu HK-AuslR/Hofmann, a.a.O., Rn. 35), hat der Antragsteller weder dargetan, noch sind sie sonst ersichtlich, wie es beispielsweise in dem seitens des Antragstellers angeführten Verfahren vor dem VG Bremen (Beschluss vom 08. Januar 2010, 4 V 1306/09, zit. n. Juris) der Fall war. [...]