VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 26.01.2011 - 8 K 4156/09.GI.A - asyl.net: M18232
https://www.asyl.net/rsdb/M18232
Leitsatz:

Die Feststellung, dass ein sogenanntes Abschiebungshindernis vorliegt, kann asylrechtlich ohne die Fristenbeschränkung nach § 73 Abs. 7 AsylVfG widerrufen werden.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Widerruf, Widerrufsverfahren, Abschiebungshindernis, Abschiebungsverbot, Türkei, Christen (syrisch-orthodoxe), Asylverfahren, Asylantrag
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 7, AsylVfG § 73 Abs. 3, AuslG § 53 Abs. 4, AsylVfG § 73 Abs. 2a S. 1, AsylVfG § 13 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Soweit der Kläger vorträgt, die Prüfung der Einleitung eines Widerrufsverfahrens sei erst im Sommer 2009 und damit verspätet erfolgt, kann dieser Ansicht aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Insbesondere kann sich der Kläger insoweit nicht auf die Vorschrift des § 73 Abs. 7 AsylVfG berufen. Hiernach hat die Prüfung nach § 73 Abs. 2a S. 1 AsylVfG, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme vorliegen, spätestens bis zum 31.12.2008 zu erfolgen, wenn die Entscheidung über den Asylantrag vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist. Die Vorschrift des § 73 Abs. 7 AsylVfG verlangt für sogenannte Altanerkennungen, dass die Prüfung der Einleitung eines Verfahrens spätestens bis zum 31.12.2008 zu erfolgen hatte (vgl. VG Gießen, Urt. v. 1.9.2010 – 8 K 3155/09.GI.A -, AuAS 2010, 275, 276; VG München, Urt. v. 19.4.2010 – M 24 K 09.50425 -, juris, Rdnr. 30).

Diese Norm ist hier jedoch nicht anwendbar, da sie lediglich statusbegründende Entscheidungen über den Asylantrag betrifft. Ein Asylantrag liegt gemäß § 13 Abs. 1 AsylVfG vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm die in § 60 Abs. 1 AufenthaltsG bezeichneten Gefahren drohen. Mit jedem Asylantrag wird nach Abs. 2 dieser Norm sowohl die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch, wenn der Ausländer dies nicht ausdrücklich ablehnt, die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt.

Vorliegend geht es jedoch nicht darum, sondern ausschließlich um den Widerruf der mit Bescheid der Beklagten vom 23.10.2000 getroffenen Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliege. Ein solcher Widerruf ist ohne jede Beschränkung zulässig und geboten, wenn die Voraussetzungen für die Feststellung eines der genannten Abschiebungshindernisse des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthaltsG nicht mehr vorliegen (vgl. Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Auflage, 2005, AsylVfG, § 73 Rdnr. 20; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Ordner 4, Stand: Oktober 2010, AsylVfG, § 73 Rdnr. 77). War die ursprüngliche Entscheidung im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig, liegen aber die Voraussetzungen des Abschiebungshindernisses nicht mehr vor, ist die Entscheidung zu widerrufen, wobei es auf das Vorliegen von Vertrauensschutzbestimmungen nicht ankommt (vgl. Schäfer, in: GK – AsylVfG, Bd. II, Stand: Juni 2010, § 73 Rdnrn. 112 und 118; Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 77). [...]