OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 10.11.2010 - 2 B 290/10 - asyl.net: M18235
https://www.asyl.net/rsdb/M18235
Leitsatz:

Eine Asylberechtigte, deren Asylanerkennung - nicht vollziehbar - widerrufen und die nicht ausgewiesen (vgl. § 25 Abs. 1 S. 2 AufenthG) worden ist, hat auch bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und kann sich auf die Erlaubnisfiktion des § 25 Abs. 1 S. 3 AufenthG berufen. § 25 Abs. 1 S. 2 AufenthG verdrängt als speziellere Vorschrift den allgemeinen Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Fiktionswirkung, rechtmäßiger Aufenthalt, vorläufiger Rechtsschutz, Widerruf, Asylanerkennung, Ausweisungsgrund, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AufenthG § 8 Abs. 1, AufenthG § 25 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 54 Nr. 5, AufenthG § 5 Abs. 4, GG Art. 16a Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Asylanerkennung der Antragstellerin vom 27.5.1998 ist zwar mit Bescheid vom 19.8.2009 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerrufen worden. Der beim Verwaltungsgericht anhängigen Klage gegen den gemäß § 75 S. 2 i.V.m. § 3 II 1 Nr. 2 AsylVfG sofort vollziehbaren Widerruf kommt indes aufschiebende Wirkung zu, nachdem das Verwaltungsgericht dem entsprechenden Aussetzungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 10.9.2009 - 6 L 829/10 - entsprochen hat. Die Antragstellerin ist daher weiterhin als – unanfechtbar anerkannte - Asylberechtigte anzusehen (vgl. hierzu etwa Burr in GK-AufenthG, § 25 Rdnr. 4; Huber, AufenthG, 2010, § 25 Rdnr. 2)

Der Antragstellerin als unanfechtbar anerkannter Asylberechtigter ist ihre bis 28.9.2009 gültige Aufenthaltserlaubnis somit gemäß den §§ 8 I, 25 I 1 AufenthG vorbehaltlich der Regelung des Satzes 2 der Vorschrift zu verlängern. Nach Satz 2 besteht dieser Anspruch nur dann nicht, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Dieser Ausnahmefall liegt bei der Antragstellerin jedoch nicht vor. Soweit der Antragsgegner, unter Berufung darauf, dass die Antragstellerin den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt, die Versagung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in seinem Ablehnungsbescheid vom 1.2.2010 auf § 5 IV AufenthG gestützt hat, kann ihm nicht gefolgt werden. Nach Auffassung des Senats darf bei der asylberechtigten Antragstellerin nicht auf diesen allgemeinen Versagungsgrund zurückgegriffen werden, denn dieser wird durch den spezielleren Versagungsgrund des § 25 I 2 AufenthG, dessen Tatbestand die Antragstellerin nicht erfüllt, verdrängt.

Zwar wird für Fälle, in denen das Verhalten eines Ausländers die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 oder 5a AufenthG erfüllt, eine deshalb verfügte Ausweisung jedoch nicht gerechtfertigt ist, die Auffassung vertreten, dass Wortlaut und Stellung des § 5 IV AufenthG im Gesetz klar für eine Anwendung auch im Fall des § 25 I 2 AufenthG sprächen. Der Gesetzgeber habe in § 5 III 1 AufenthG eine Ausnahme von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 I und II AufenthG auch im Falle des § 25 I und II AufenthG für erforderlich gehalten, während von § 5 IV 1 AufenthG nur nach Maßgabe der Sätze 2 und 3 abgewichen werden könne. Der Annahme der Spezialität stehe bezüglich der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründe insoweit auch die Tatsache entgegen, dass der Gesetzgeber deren Verhältnis zu den humanitären Aufenthaltsgründen mit der Verlagerung der §§ 68, 70 AsylVfG a.F. in das AufenthG durch die Regelung des § 5 III ausdrücklich in den Blick genommen habe. (Bäuerle in GK-AufenthG, § 5 Rdnr. 197) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz (BGBl. I 2002, 361, 3142) neu eingefügte Regelung des § 5 IV AufenthG habe nicht durch die damals bereits bestehende Regelung des § 68 II AsylVfG, die inhaltlich § 25 I 2 AufenthG entspreche und die politisch als unzureichend angesehen worden sei, verdrängt werden sollen. § 5 IV AufenthG sei vielmehr als das neuere und speziellere Instrument zur Terrorismusbekämpfung im Aufenthaltsgesetz anzusehen und anzuwenden, so dass es anders als nach § 25 I 2 AufenthG nicht darauf ankomme, ob eine Ausweisungsverfügung erlassen worden sei. (Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 Rdnr. 542) Diese Auffassung überzeugt nach Ansicht des Senats nicht.

Auszugehen ist davon, dass das Grundgesetz in Art. 16a I GG (zuvor Art. 16 II 2 GG) politisch verfolgten Ausländern einen Rechtsanspruch auf Aufenthaltsgewährung verbürgt. (BVerfG, Beschluss vom 26.9.1978, BVerfGE 49, 168) Diesen verfassungsrechtlichen Auftrag, Asylberechtigten ein sachlich gesichertes Aufenthaltsrecht zu gewährleisten, erfüllt der Gesetzgeber durch § 25 I 1 AufenthG. Diese Vorschrift sieht ebenso wie die bis zum 1.1.2005 geltende Vorgängerregelung (§ 68 I AsylVfG a.F.) einen Rechtsanspruch des Asylberechtigten auf Erteilung einer – nunmehr allerdings nicht mehr unbefristeten - Aufenthaltserlaubnis vor. Eine Aufenthaltserlaubnis ist auch nach dem geltenden § 25 I 2 AufenthG – ebenso wie zuvor nach § 68 II AsylVfG a.F. - nur ausgeschlossen, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Damit knüpft die Vorschrift des § 25 I 2 AufenthG an § 56 AufenthG an. Nach § 56 I 1 Nr. 5 AufenthG genießt ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, besonderen Ausweisungsschutz. Nach Satz 2 der Vorschrift wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen, die gemäß Satz 3 in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vorliegen. Liegen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG indes vor, so wird nach § 56 I AufenthG Satz 5 über die Ausweisung – wie auch zuvor gemäß §§ 48 I 1 Nr. 5, 47 II Nr. 4, 8 I Nr. 5, 47 III AuslG - nach Ermessen entschieden. Daraus ergibt sich, dass sich der Gesetzgeber bei der Schaffung der Regelungen des § 25 I und des § 56 I AufenthG weiterhin zum einen der Schutzbedürftigkeit des in § 25 I 1 AufenthG aufgeführten Personenkreises, zum anderen aber auch der Erfordernisse u.a. der Terrorismusbekämpfung nach § 54 Nr. 5 AufenthG bewusst war und somit – ebenso wie bei der Vorgängerregelung, für die anerkannt war, dass sie die allgemeinen Versagungsgründe verdrängte (Vgl. Hailbronner, AuslR, § 25 AufenthG, Rdnr. 13; Burr in GK-AufenthaltG, § 25 Rdnr. 18; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländerund Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 498; Huber, AufenthG, 2010, § 25 Rdnr. 3 mit Blick auf § 54 Nr. 5a AufenthG) - eine Ermessensausübung für eine eine Aufenthaltserlaubnis ausschließende Ausweisung eines Asylberechtigten im Rahmen des § 25 I AufenthG für erforderlich hielt. Damit ist unvereinbar, bei Asylberechtigten den allgemeinen Versagungsgrund des § 5 IV AufenthG in den Fällen des § 54 Nr. 5 AufenthG für anwendbar zu halten, denn dieser Versagungsgrund sieht eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis zwingend vor, sofern keine - mit einer Ermessensausübung nicht vergleichbare - Ausnahme nach den Sätzen 2 und 3 eingreift. Daher spricht trotz des Wortlauts des allgemeinen zwingenden Versagungsgrunds des § 5 IV 1 AufenthG die Übernahme des wesentlichen Inhalts der Vorgängerregelung des § 68 AsylVfG a.F. in § 25 I AufenthG in Verbindung mit § 56 I AufenthG mit Gewicht für eine Entscheidung des Gesetzgebers für die Schaffung bzw. Beibehaltung einer höheren Hürde für die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis bei Asylberechtigten und damit dafür, dass § 25 I 2 AufenthG als lex specialis (vgl. Hailbronner, AuslR, § 25 AufenthG, Rdnr. 13; Burr in GK-AufenthaltG, § 25 Rdnr. 18; Huber/Göbel- Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 498; Huber, AufenthG, 2010, § 25 Rdnr. 3 mit Blick auf § 54 Nr. 5a AufenthG; vgl. auch VG Hamburg, Urteile vom 31.1.2006 – 10 K 2710/05 und 2988/05 -, zitiert nach juris) die allgemeinen, zwingenden Versagungsgründe des § 5 IV 1 AufenthG verdrängt.

Steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die asylberechtigte Antragstellerin somit kein Versagungsgrund entgegen, so gilt ihr Aufenthalt bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 I 3 AufenthG – oder ohne Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zu einem eventuellen rechtskräftigen Widerruf ihrer Asylanerkennung - als erlaubt. Eine Vorwegnahme der Hauptsache durch Erlass der mit dem Hauptantrag beantragten einstweiligen Anordnung ist daher nicht erforderlich.

2) Der Hilfsantrag der Antragstellerin hat dagegen Erfolg. Zwar kann die Antragstellerin, deren Aufenthalt ungeachtet der dargestellten Rechtslage vom Antragsgegner als illegal angesehen wird und die nur noch im Besitz einer Duldung ist, nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung zum Nachweis der bestrittenen Rechtsposition verlangen. Für die gesetzliche Erlaubnisfiktion des § 25 I 3 AufenthG ist - anders als für die in § 81 III und IV AufenthG geregelten Wirkungen der Antragstellung eines Ausländers gemäß § 81 V AufenthG - die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nicht vorgesehen. Da die Antragstellerin an der Wahrnehmung ihrer bestrittenen derzeitigen Rechtsposition ohne einen entsprechenden diese bestätigenden Nachweis jedoch gehindert wird, erscheint eine einstweilige Feststellung nach Maßgabe des Tenors nötig. [...]