VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 24.01.2011 - A 9 K 2942/10 - asyl.net: M18254
https://www.asyl.net/rsdb/M18254
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Einstellung des Asylverfahrens wegen "unbrauchbarer Fingerabdrücke". Der Antragsteller ist der Betreibensaufforderung des BAMF nachgekommen, indem er mehrfach zur Abgabe seiner Fingerabdrücke erschienen ist. Dass er der weiteren Aufforderung nicht nachgekommen ist, schriftlich darzulegen, warum ihm die Abgabe von auswertbaren Fingerabdrücken nicht möglich ist, rechtfertigt nicht den Vorwurf unzureichender Mitwirkung mit der Folge einer Rücknahmefiktion. Es ist bereits nicht erkennbar, dass er über das Ergebnis der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung informiert worden war. Offengelassen wird, ob diese weitere Aufforderung zur schriftlichen Darlegung mit §§ 24 Abs. 1 S. 3, 25 Abs. 1 S. 2 AsylVfG zu vereinbaren ist, wonach das BAMF den Ausländer persönlich auch zu seinem Reiseweg anzuhören hat.

Schlagwörter: Asylverfahren, Einstellung, Mitwirkungspflicht, Identitätsfeststellung, Somalia, vorläufiger Rechtsschutz, Rechtsschutzinteresse, Fingerabdrücke, Betreibensaufforderung, Nichtbetreiben des Verfahrens, Rücknahmefiktion, Reiseweg, Italien, Dublin II-VO, Anhörung, Mitteilung,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 3, AsylVfG § 32, AsylVfG § 33 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 7, AsylVfG § 24 Abs. 1 S. 3, AsylVfG § 25 Abs. 1 S. 2, AsylVfG § 16 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.10.2010 ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylVfG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere verfügt der Antragsteller im Hinblick auf die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des ergangenen Bescheides - namentlich das Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG - über ein Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn in Ziffer 3 des Bescheides ein Abschiebezielstaat noch nicht konkretisiert ist.

Der Antrag ist auch begründet, denn der streitgegenständliche Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Dies erfordert bei Abwägung der gegenseitigen Interessen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zum Schutz des Aufenthaltsstatus des Antragstellers.

Die Einstellung des Verfahrens ist gemäß § 32 i.V.m. § 33 AsylVfG festzustellen, wenn der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG als zurückgenommen gilt. Nach dieser Norm gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. Diese Voraussetzungen sind aller Voraussicht vorliegend nicht gegeben.

Das Bundesamt hat den Antragsteller, dessen Fingerkuppen am 11.08.2010 und 31.08.2010 eine von ihm gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG zu duldende erkennungsdienstliche Behandlung in Form der Abnahme von Fingerabdrücken nicht zuließen, mit Schreiben vom 31.08.2010 unter Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 33 AsylVfG aufgefordert, binnen eines Monats erneut in der Außenstelle des Bundesamtes zu erscheinen und sich auswertbare Fingerabdrücke abnehmen zu lassen, andernfalls schriftlich darzulegen, warum dies innerhalb der gesetzten Frist aus von ihm nicht zu beeinflussenden Gründen nicht möglich ist. Weiter wurde er aufgefordert, schriftlich darzulegen, in welchen Staaten er sich in welchen Zeiträumen nach Verlassen seines Herkunftslandes aufgehalten und ob er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat und ob dieser ggf. bereits abgelehnt wurde.

Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass die in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normierte Pflicht des Ausländers, die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Behandlungen zu dulden, die Pflicht einschließt, Manipulationen zu unterlassen, die den Erfolg dieser Behandlungen vereiteln. Die Beschädigung der Fingerkuppen, aufgrund derer eine erkennungsdienstliche Behandlung keine verwertbaren Ergebnisse liefert, begründet den Verdacht der Manipulation zum Zwecke der Identitätsverschleierung nicht zuletzt vor denn Hintergrund, dass nach den Erkenntnissen des Bundesamtes in letzter Zeit zahlreiche Erstantragsteller mit der Herkunftslandangabe Somalia derartige Fingerkuppen aufweisen, und viele Somalier zuvor in Italien lebten und aus Unzufriedenheit mit den dortigen Lebensbedingungen versuchen, in anderen europäischen Staaten Fuß zu fassen (vgl. Einzelentscheiderbrief 9/2010, S. 8). Die am 31.08.2010 abgegebene Erklärung des Antragstellers für den Zustand seiner Fingerkuppen, dies komme vom Tellerspülen, räumt schon deshalb den Manipulationsverdacht nicht aus, weil die Angaben des Antragstellers zu seiner beruflichen Tätigkeit hiermit nicht in Übereinstimmung zu bringen sind und zudem durchs Spülen hervorgerufene Veränderungen der Fingerkuppen regelmäßig nur kurzfristig auftreten dürfen.

Somit bestand ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die dem Antragsteller am 31.08.2010 zugegangene Aufforderung, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass er erneut zur Abgabe auswertbarer Fingerabdrücke erscheint, die Gründe bei einem erneuten Scheitern erläutert und seinen Reiseweg, seine Aufenthaltsdauer in Drittländern und eventuelle frühere Asylverfahren darstellt.

Innerhalb der ihm gesetzten Frist ist der Antragsteller der Betreibensaufforderung insoweit nachgekommen, als er unstreitig zum Termin zu einer erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung erschien und die Abnahme von Fingerabdrücken duldete, die sich jedoch als nicht auswertbar erwiesen. Dass er der damit ggf. einschlägig gewordenen Aufforderung nicht nachgekommen ist, schriftlich darzulegen, warum ihm die Abgabe von auswertbaren Fingerabdrücken aus Gründen nicht möglich ist, auf die er keinen Einfluss hat, vermag eine an den Vorwurf unzureichender Mitwirkung knüpfende Rücknahmefiktion jedoch nicht zu rechtfertigen. Es ist bereits nicht erkennbar, dass der Antragsteller über das Ergebnis der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung informiert worden war. Eine solche Inkenntnissetzung, die es dem Betroffenen im Einzelfall überhaupt erst ermöglicht, seine weiteren Obliegenheiten in diesem Zusammenhang zu erkennen, kann hier schon deshalb nicht ohne weiteres unterstellt werden, weil zu dem Termin am 22.09.2010 allein ein am 29.09.2010 gefertigter Vermerk zur Akte gelangt ist, wonach auch die Ergebnisse der dritten erkennungsdienstlichen Behandlung nicht verwertbar waren und somit nicht einmal erkennbar ist, zu welchem Zeitpunkt die fehlende Eignung festgestellt wurde.

Ein aufgrund eines Nichtbetreibens des Verfahrens anzunehmendes Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses ist bei summarischer Prüfung auch nicht im Hinblick auf die erfolglos gebliebene Aufforderung an den Antragsteller anzunehmen, schriftlich darzulegen, in welchen Staaten er sich in welchen Zeiträumen nach Verlassen seines Herkunftslandes aufgehalten und ob er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat und ob dieser ggf. bereits angelehnt wurde. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese nur mittelbar mit dem Manipulationsverdacht im Zusammenhang stehende Aufforderung zur schriftlichen Darlegung mit §§ 24 Abs. 1 Satz 3, 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG zu vereinbaren ist, wonach das Bundesamt den Ausländer persönlich auch zu seinem Reiseweg anzuhören hat. Vorliegend knüpft die Betreibensaufforderung allein an den Verdacht der Manipulation der Fingerkuppen zum Zwecke der Identitätsverschleierung. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich bei sachgerechter Auslegung der Betreibensaufforderung eine schriftliche Darlegung zum Reiseweg und zu früheren Asylanträgen, sobald bei der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung auswertbare Fingerabdrücke gewonnen werden können. Ist aber - wie dargestellt - nicht festzustellen, dass der Antragsteller über das Ergebnis der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung informiert wurde, konnte er auch seine Obliegenheit, seinen Reiseweg und frühere Asylantragstellungen schriftlich darzulegen, nicht erkennen.

Nach alledem lässt das Verhalten des Antragstellers aller Voraussicht nach nicht den Schluss zu, er sei der Betreibensaufforderung in einer Weise nicht nachgekommen, die sein Rechtsschutzbedürfnis entfallen ließe. [...]