OVG Schleswig-Holstein

Merkliste
Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.11.2009 - 4 MB 111/09 - asyl.net: M18260
https://www.asyl.net/rsdb/M18260
Leitsatz:

Eine Anordnung des persönlichen Erscheinens vor der Auslandsvertretung eines Staates ist nur dann zulässig, wenn der Ausländer vermutlich die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt. Gewissheit muss aber nicht gegeben sein.

Schlagwörter: zwangsweise Vorführung bei Auslandsvertretung, Georgien, Aserbaidschan, Identitätsfeststellung
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4 S. 1
Auszüge:

[...]

Fallbezogen macht die Beschwerde geltend, die sogenannte Botschaftsvorführung sei bereits deshalb unzulässig, weil es bisher in Bezug auf Aserbaidschan keinen Vollstreckungstitel gebe. Dies wäre lediglich eine Abschiebungsandrohung mit einer Zielstaatsbestimmung der "Republik Aserbaidschan". Eines solchen Titels bedarf es jedoch nicht. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist vielmehr vollstreckungsrechtlich als "Grundverwaltungsakt" zu betrachten (siehe Hailbronner, AuslR, § 82 Rdnr. 61). Auch der von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung des OVG Schleswig, vom 28. Januar 2002 (- 2 BS 381/01 -) ergibt sich nichts Abweichendes. Vielmehr führt das Gericht aus, es bedürfe keiner Beurteilung, ob die Antragsgegnerin ein Zusammentreffen mit Vertretern des georgischen Außenministeriums anordnen durfte, ohne dass dem Antragsteller zuvor eine Abschiebung nach Georgien angedroht worden und damit Gelegenheit zur Geltendmachung und einer etwaigen gerichtlichen Prüfung von Abschiebungshindernissen bezüglich dieses Staates gegeben worden ist.

Die Anordnung des persönlichen Erscheinens kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts auf schriftlichem Wege nur erschwert oder gar nicht möglich ist. Sachlich und damit erforderlich ist ein persönliches Erscheinen, wenn die Ausländerbehörde sich über die Identität des Ausländers Gewissheit verschaffen will (Bundestagsdrucksache 11/6321 S. 180). So liegt der Fall hier. Eine Anordnung des persönlichen Erscheinens vor einer Ausländervertretung ist allerdings nur zulässig, wenn der Ausländer vermutlich die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt. Gewissheit muss nicht gegeben sein, vielmehr kann es Sinn und Zweck der Botschaftsvorführung sein, die Staatsangehörigkeit zu klären. Lediglich die Vorführung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Bestehen der fraglichen Staatsangehörigkeit wird damit ausgeschlossen. Der Senat teilt nicht die Auffassung, dass deutlich mehr für als gegen die Annahme der Staatsangehörigkeit sprechen müsse (so aber Funke/Kaiser, GK/AufenthG, § 82 Rdnr. 68). Diese Auslegung wird weder dem Sinn und Zweck der Regelung noch ihrem Wortlaut gerecht. "Vermutlich" ist die Staatsangehörigkeit, wenn sie in Betracht kommt. Wie der vorliegende Fall zeigt, gibt es Fälle, in denen mehrere Staatsangehörigkeiten in Betracht kommen. Die Einschätzung des Maßes der Wahrscheinlichkeit ist bei Personen, deren Identität gerade nicht geklärt ist und die Angehörige einer ethnischen Minderheit seien können, kaum verlässlich.

Richtig ist schließlich, dass die Botschaftsvorführung zur Zweckerreichung geeignet sein muss, ansonsten wäre sie willkürlich. Die Geeignetheit ist im vorliegenden Fall aber nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Republik Aserbaidschan Einträge von armenischen Volkszugehörigen aus den amtlichen Registern gelöscht habe. Dieser Umstand mag gegebenenfalls dazu führen, dass die Angaben des Ausländers nicht anhand amtlicher Register verifiziert werden können, schließt aber die Möglichkeit der Identitätsfeststellung nicht von vornherein aus, zumal auch die persönliche Vorsprache als solche zu weiteren Erkenntnissen führen kann. [...]