OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 02.02.2011 - 11 ME 441/10 - asyl.net: M18265
https://www.asyl.net/rsdb/M18265
Leitsatz:

Zur Prüfung der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: eigenständiges Aufenthaltsrecht, Sicherung des Lebensunterhalts, Ausweisungsgrund, Fehlen eines Ausweisungsgrundes, Arbeitsverhältnis, befristetes Arbeitsverhältnis, befristet, Erwerbstätigkeit, Unterhaltsbedarf, familiäre Bedarfsgemeinschaft, familiäre Lebensgemeinschaft, volljährige Kinder, Achtung des Familienlebens, Verpflichtungserklärung, Kinder, Kind,
Normen: AufenthG § 31 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 2 Abs. 3, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, GG Art. 6 Abs. 1, EMRK Art. 8, AufenthG § 68,
Auszüge:

[...]

Während die Beschwerde der Antragstellerin gegen die von dem Verwaltungsgericht seiner Entscheidung beigefügten Bedingungen begründet ist, hat die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Übrigen keinen Erfolg.

Nach dem hier maßgeblichen § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis, die einem Ausländer nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt worden ist, verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nicht vorliegen. Während bei der erstmaligen Verlängerung einer solchen Erlaubnis die Inanspruchnahme von öffentlichen Sozialleistungen unbeachtlich ist (vgl. § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG), müssen bei der weiteren Verlängerung die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG erfüllt sein (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 8.2.2007 - 4 ME 49/07 -, AuAS 2007, 62; Huber, AufenthG, § 31 Rn. 21; Renner, AuslR, 9. Aufl., § 31 Rn. 58). Hieran bestehen im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Sicherung des Lebensunterhalts) und Nr. 2 AufenthG (Fehlen eines Ausweisungsgrundes) gewisse Zweifel, die aber im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht durchgreifen bzw. insoweit ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen könnte. Eine endgültige Klärung dieser Fragen muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die deshalb erforderliche (reine) Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus.

Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Allerdings bleiben insoweit das Kindergeld, der Kinderzuschlag und das Erziehungsgeld oder Elterngeld sowie öffentliche Mittel außer Betracht, die auf Beitragsleistungen beruhen (Satz 2). Die Befähigung zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen eigenen verfügbaren Mitteln erwachsen. Allerdings können auch freiwillige Leistungen Dritter ausnahmsweise zur Sicherung des Lebensunterhalts beitragen. Der Lebensunterhalt muss grundsätzlich für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts gesichert sein. Hierbei ist neben dem aktuellen Beschäftigungsverhältnis auch der Verlauf der bisherigen Erwerbstätigkeit des Ausländers in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Denn von einer Sicherung des Lebensunterhalts kann nur dann ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.4.2009 - 1 C 17.08 -, BVerwGE 133, 329; Senatsbeschl. v. 29.11.2006 - 11 LB 127/06 -, juris; Huber, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 8). Hieran gemessen lässt sich nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung nicht verlässlich beurteilen, ob die Antragstellerin tatsächlich in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt für die Dauer der erstrebten Aufenthaltserlaubnis zu sichern.

Die Antragstellerin befindet sich seit dem 2. November 2010 in einem befristeten Arbeitsverhältnis bei der G. GmbH (Niederlassung F.) und bezieht daraus einen monatlichen Bruttolohn von 1.117,20 € (= 874,15 € netto). Es könnte unsicher sein, ob dieses erst seit Kurzem bestehende Beschäftigungsverhältnis mit der ernsthaften Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz verbunden ist. Allerdings steht dem die Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht von vornherein entgegen. Denn in der heutigen Zeit ist eine solche Vertragsgestaltung vielfach üblich (vgl. Renner, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 21; Huber, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 8; Funke-Kaiser, in: GKAufenthG, § 2 Rn. 54). Bei der Antragstellerin kommt erschwerend hinzu, dass sie über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus, sondern lediglich über eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG verfügt. Andererseits ist zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass sie sich im Dezember 2010 mit ihrer Arbeitgeberin auf eine Weiterbeschäftigung bis zum 4. März 2011 entsprechend der Geltungsdauer ihrer Fiktionsbescheinigung geeinigt hat. Zweifel an einem längerfristigen Arbeitsverhältnis könnten sich aber aus ihrer bisherigen Erwerbsbiographie ergeben. So hat sie in der Vergangenheit längere Zeit Leistungen nach dem SGB II erhalten. Vor Aufnahme ihrer jetzigen Erwerbstätigkeit übte sie lediglich kurzfristige Beschäftigungen auf 400,- Euro-Basis aus. Es ist deshalb derzeit als offen anzusehen, ob es ihr gelingen wird, über einen längeren Zeitraum aus eigenem Einkommen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 2008 (- 1 C 32.07 -, BVerwGE 131, 70) sind im Rahmen der Ermittlung des berücksichtigungsfähigen Einkommens vom Nettoeinkommen der Antragstellerin 100,- € als Freibetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II sowie vom Bruttoeinkommen berechnete Freibeträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 Satz 1 Nr. 1 SGB II in Höhe von (20 % von 700,- € =) 140,- € und nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB II in Höhe von (10 % von 317,20 € =) 31,72 € abzuziehen. Das für die Antragstellerin zugrunde zu legende Einkommen beläuft sich somit auf 602,43 €.

Der notwendige Unterhaltsbedarf der Antragstellerin berechnet sich nach den entsprechenden Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2008, a.a.O.). Nach der Bekanntmachung vom 7. Juni 2010 (BGBl. I S. 820) beträgt der monatliche Regelsatz nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II ab dem 1. Juli 2010 für Haushaltsvorstände und für Alleinstehende 359,- €. Dieser Betrag ist im Falle der Antragstellerin um die monatlichen Mietkosten in Höhe von 265,- € zu erhöhen. Insgesamt ergibt sich damit für sie ein Bedarf von 624,- €, so dass eine Unterdeckung von 21,57 € besteht. Allerdings werden im Schrifttum erhebliche Bedenken gegen die bisherige Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) zum Abzug der Freibeträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II geäußert (vgl. etwa Renner, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 16; Huber, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 7; Funke-Kaiser, a.a.O.; § 2 AufenthG Rn. 46). Auch dieser Frage müsste gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren nachgegangen werden, zumal das Bundesverwaltungsgericht - wie aus der Pressemitteilung Nr. 103/2010 vom 16. November 2010 hervorgeht - seine bisherige Rechtsprechung in den Urteilen vom 16. November 2010 - 1 C 20.09 und 1 C 21.09 - einer Überprüfung unterzogen hat. Wie sich dies auf den vorliegenden Fall auswirken wird, kann gegenwärtig nicht beurteilt werden, da die vollständigen Urteilsgründe noch nicht bekannt sind.

Möglicherweise könnte man aber auch die Antragstellerin und ihre beiden Söhne als familiäre Bedarfsgemeinschaft ansehen. Das berücksichtigungsfähige Einkommen würde sich dann auf 1.270,43 € erhöhen, da das Kindergeld von 368,- € und die vermutlich aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma H. stammenden Einkünfte des ältesten Sohnes der Antragstellerin in Höhe von monatlich 300,- € netto (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) hinzukommen würden. Demgegenüber würde sich der Bedarf von 624,- € auf 1.198,- € erhöhen, da für die beiden Söhne die monatlichen Regelsätze 574,- € (287,- € x 2) betragen. Bei dieser Berechnungsweise würde sich ein Überschuss von 72,43 € ergeben. Eine abschließende Klärung muss aber insoweit ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Allerdings ist auch hier die Prognose unsicher, ob und gegebenenfalls wie lange der älteste Sohn der Antragstellerin, der Mitte 2011 die Reifeprüfung ablegen will, künftig zum Haushaltseinkommen beitragen kann.

Aber selbst wenn die Antragstellerin den Lebensunterhalt für sich bzw. für die Bedarfsgemeinschaft mit ihren Söhnen nur teilweise aus eigener Kraft bestreiten könnte, könnte möglicherweise entscheidungserheblich sein, ob das Angebot des Lebensgefährten der Antragstellerin, zu ihren Gunsten eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG für die Dauer von zwei Jahren abzugeben, geeignet ist, die Inanspruchnahme öffentlicher Sozialleistungen zu vermeiden. Dies hat die Antragsgegnerin bisher mit der Begründung abgelehnt, dass eine derartige Verpflichtung grundsätzlich dauerhaft, d.h. unbegrenzt eingegangen werden müsse, weil der Aufenthalt der Antragstellerin auf Dauer angelegt sei. Diese Auffassung ist im Falle eines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG, also eines unbefristeten Aufenthaltstitels, durchaus berechtigt. Anders könnte es sich aber unter Umständen bei einer befristeten Aufenthaltserlaubnis verhalten (vgl. dazu Huber, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 3). Allerdings setzt die Haftung für den Lebensunterhalt nach § 68 AufenthG voraus, dass der Erklärende in wirtschaftlicher Hinsicht leistungsfähig ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl.v. 26.5.2010 - 2 S 100.09 -, juris; Funke-Kaiser, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 54.5; Renner, a.a.O., § 2 AufenthG Rn. 21). Eine derartige Bonitätsprüfung des Lebensgefährten der Antragstellerin ist hier bisher nicht erfolgt und müsste gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren nachgeholt werden.

Hingegen vermag der Senat dem Verwaltungsgericht voraussichtlich nicht darin zu folgen, dass jedenfalls eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Hinblick auf die durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützte familiäre Situation der Antragstellerin in Betracht kommen könnte. Zwar ist es richtig, dass auch die Beziehungen von jungen ledigen Erwachsenen zu ihren Eltern (bzw. einem Elternteil), mit dem sie - wie hier die beiden Söhne der Antragstellerin mit ihrer Mutter - in häuslicher Gemeinschaft leben, in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens fallen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 5.2.2009 - 11 S 3244/08 -, InfAuslR 2009, 178; EGMR, Urt. v. 23.6.2008 - Nr. 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333). Auch wenn die nunmehr 23- und 22-jährigen Söhne der Antragstellerin noch die Schule besuchen und nach dem Eindruck des Verwaltungsgerichts noch nicht selbständig sind, fehlen bisher tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass sie - wie erforderlich - auf die Gewährung von persönlicher Lebenshilfe durch ihre Mutter zwingend angewiesen wären (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 15.6.2010 - 8 LB 117/08 -, juris m. Nachw.). Ebenso wenig ist erkennbar, dass die Antragstellerin ohne ihre Söhne im Bundesgebiet kein eigenständiges Leben führen könnte. Aus diesem Grund dürfte es auch - wie vom Verwaltungsgericht zusätzlich erwogen - an einer außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 36 AufenthG fehlen (vgl. dazu etwa Senatsbeschl. v. 2.11.2006 - 11 ME 197/06 -, InfAuslR 2007, 67).

Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin sind auch insoweit offen, als es um die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geht. Danach darf in der Regel kein Ausweisungsgrund vorliegen. Dabei genügt allein das Vorliegen eines abstrakten Ausweisungstatbestandes nach §§ 53 bis 55 AufenthG; es ist nicht erforderlich, dass der Ausländer ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Ebenso unerheblich ist, ob der Ausländer sich auf einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG berufen kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 31.1.2008 - 10 ME 274/07 -, juris m. Nachw.). Die Antragstellerin hat mehrere Straftaten begangen. Sie wurde innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr (2006/2007) dreimal wegen "Schwarzfahrens" mit der Stadtbahn in F. jeweils zu einer Geldstrafe (in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 10,- € und von 22 Tagessätzen zu je 10,- €) verurteilt. Damit hat sie nicht nur vereinzelt gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verstoßen. Außerdem wurde sie im August 2008 wegen einer am 29. Januar 2007 begangenen Beleidigung ihres damaligen Ehemanns zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieses Delikt kann möglicherweise als geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG angesehen werden, da lediglich eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 10,- € verhängt worden ist (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, § 55 Rn. 527). Ferner dürfte es sich um eine (einmalige) Beziehungstat gehandelt haben, für die eine Wiederholungsgefahr fraglich ist, da sie mittlerweile von ihrem Ehemann geschieden ist. Eine derartige Gefährdungsprognose ist grundsätzlich bei jedem Ausweisungstatbestand anzustellen, und zwar bei der Frage, ob eine von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abweichende Atypik besteht (vgl. Renner, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 35). Es können nämlich nur solche Ausweisungsgründe beachtlich sein, die noch aktuell vorliegen. Denn die Prüfung von Ausweisungsgründen in Verfahren um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dient dem Zweck, gegenwärtig bzw. in absehbarer Zukunft ernsthaft zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 55 Abs. 1 AufenthG abzuwenden (vgl. BayVGH, Beschl. v. 2.11.2010 - 19 B 10.1941 -, juris; OVG NRW, Beschl. v. 10.12.2010 - 18 B 1598/10 -, juris; Bäuerle, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 104). In die Gefährdungsprognose sind als Beurteilungskriterien das Gewicht des Ausweisungsgrundes, die Schwere der strafrechtlichen Verurteilung, das Fortbestehen der Gefährdungslage, die Dauer des straffreien Aufenthalts im Verhältnis zur Gesamtaufenthaltsdauer, das Bestehen schutzwürdiger Bindungen zum Bundesgebiet, die Dauer des bisherigen rechtmäßigen Aufenthalts und die aktuelle persönliche Situation des Betroffenen einzustellen (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 31). Hieran gemessen könnten möglicherweise auch die strafrechtlichen Verurteilungen der Antragstellerin wegen "Schwarzfahrens" als Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bewertet werden. Dieses Fehlverhalten der Antragstellerin, das grundsätzlich - wie auch die Verurteilung zu 15 bzw. 22 Tagessätzen zum Ausdruck bringt - als Bagatellkriminalität anzusehen ist, liegt längere Zeit zurück. Auch ist die Antragstellerin seitdem nicht mehr straffällig geworden. Verglichen mit der Gesamtaufenthaltsdauer im Bundesgebiet von etwa zehn Jahren sind die genannten Rechtsverstöße in der relativ kurzen Zeitspanne von Oktober 2006 bis September 2007 erfolgt. Die lediglich entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten kann die Annahme der erforderlichen aktuellen Gefährdung nicht rechtfertigen. Ob daneben auch die persönliche und familiäre Situation der Antragstellerin einen Ausnahmefall begründen könnte, wovon das Verwaltungsgericht ausgeht, kann unter diesen Umständen dahinstehen.

Im Unterschied zum Verwaltungsgericht hält es der Senat nicht für zweifelhaft, dass der Antragstellerin gegenwärtig ausreichender Wohnraum im Sinne von § 2 Abs. 4 AufenthG zur Verfügung steht. Nach der hier zu berücksichtigenden Nr. 2.4.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 - AVV-AufenthG - ist ausreichender Wohnraum stets vorhanden, wenn für jedes Familienmitglied über sechs Jahren 12 m² Wohnfläche zur Verfügung stehen und Nebenräume (Küche, Bad, WC) in angemessenem Umfang mitbenutzt werden können. Eine Unterschreitung dieser Wohnungsgröße um etwa 10 % ist unschädlich. Die Antragstellerin bewohnt mit ihren beiden Söhnen seit dem 1. März 2010 in Hannover eine Wohnung mit zwei Zimmern, Flur, Küche und Bad, die eine Wohnfläche von insgesamt 32,47 m² hat. Zwar ist diese Wohnfläche für drei Personen knapp bemessen, doch reicht sie angesichts der zulässigen Unterschreitung um 10 % gerade noch aus (3 x 12 m² = 36 m² - 10 % = 32,40 m²).

Erscheinen nach alledem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen, so haben im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Auffassung des Senats die privaten Belange der Antragstellerin einen höheren Rang als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides. Müsste die Antragstellerin das Bundesgebiet verlassen, wären die mit der Ausreise verbundenen schwerwiegenden Folgen (wie Trennung von ihren Söhnen, Verlust von Arbeitsstelle, Wohnung und sozialem Umfeld) nicht mehr ohne Weiteres und auch nicht in vollem Umfang selbst bei einem Obsiegen im Klageverfahren wieder gut zu machen. Es wäre deshalb im jetzigen Zeitpunkt unverhältnismäßig, die Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin zwangsweise durchzusetzen. Demgegenüber sind gewichtige öffentliche Interessen, die eine sofortige Ausreise der Antragstellerin gebieten könnten, nicht ersichtlich. Insbesondere liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sie in absehbarer Zeit der öffentlichen Hand zur Last fallen wird. Denn sie ist erwerbstätig und bezieht keine öffentlichen Sozialleistungen. Sollte sich aber vor einer Entscheidung in der Hauptsache die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin verschlechtern und sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen oder sollte sie erneut straffällig werden, bliebe es der Antragsgegnerin unbenommen, einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen. Angesichts dessen sieht der Senat auch keinen Anlass, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beigefügten auflösenden Bedingungen zu bestätigen. Es war deshalb nicht auf die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage einzugehen, ob ein stattgebender Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO überhaupt unter einer derartigen Bedingung erlassen werden darf (vgl. zum Streitstand Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 80 Rn. 108). [...]