OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.01.2011 - 11 LA 503/10 - asyl.net: M18269
https://www.asyl.net/rsdb/M18269
Leitsatz:

Die zukünftige Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich eines noch ungeborenen (deutschen) Kindes stellt grundsätzlich keinen ausreichenden Grund dar, von einer nach § 53 AufenthG zwingenden Ausweisung abzusehen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Vaterschaft, ungeborenes Kind, Kind, deutsches Kind, Ausweisung, zwingende Ausweisung, besonderer Ausweisungsschutz, Verhältnismäßigkeit, Ermessen, Geburt, bevorstehende Geburt, Ausweisungsschutz, Schutz von Ehe und Familie, familliäre Lebensgemeinschaft,
Normen: AufenthG § 53, AufenthG § 53 Nr. 1 1. Alt., EMRK Art. 8, GG Art. 6
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. [...]

Ausgehend von diesem rechtlichen, vorliegend nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen angegriffenen Maßstab hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen des demnach notwendigen "extremen Ausnahmefalles" unter drei einzelnen Gesichtspunkten geprüft. Vorliegend sei ein solcher extremer Ausnahmefall weder im Hinblick auf das nach Art. 8 EMRK geschützte Privatleben des Klägers noch im Hinblick auf die bevorstehende Geburt (s)eines Kindes oder ein extrem gemildertes öffentliches Ausweisungsinteresse gegeben. Auch gegen diesen rechtlichen Prüfungsansatz sowie die Verneinung eines besonderen Schutzes des Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK trägt der Kläger keine Zulassungsgründe i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor. Soweit er sich stattdessen gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den rechtlichen (Vor-)Wirkungen der geltend gemachten Geburt seines zukünftigen Kindes wendet, verfehlt er schon den o. a. rechtlichen Ausgangspunkt der Prüfung des Verwaltungsgerichts. Insoweit kommt es nicht - was der Kläger sinngemäß allein thematisiert - nur darauf an, ob eine (demnächst) bevorstehende Geburt eines (auch deutschen) Kindes überhaupt nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK geschützt und damit bei der Entscheidung über die Ausweisung des zukünftigen Vaters zu berücksichtigen ist. Da nicht jeder familienrechtliche Schutz der Ausweisung eines Ausländers entgegensteht, sich insbesondere auch gewichtige familiäre Belange nicht stets gegenüber dem gegenläufigen öffentlichen Interesse daran durchsetzen, den Ausländer durch die Ausweisung an der Begehung weiterer schwerer Straftaten im Bundesgebiet zu hindern, müsste vielmehr zur Bejahung der verfassungsrechtlichen Unverhältnismäßigkeit bzw. des "extremen Ausnahmefalles" hinzukommen, dass etwaigen schutzwürdigen familiären Belangen auch ein Vorrang gegenüber dem öffentliche Interesse daran zukommt, den Kläger an der Begehung weiterer Straftaten zu hindern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 13.5.2009 - 11 ME 426/08 -). Dies wird von ihm aber nicht dargelegt, ergibt sich nicht aus der bereits vom Verwaltungsgericht zitierten und vom Kläger wiederholten obergerichtlichen Rechtsprechung und ist auch sonst nicht zu erkennen. Die Tatsache, dass in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ein etwaiger ausländerrechtlicher Schutz des werdenden Vaters noch nicht abschließend geklärt ist (vgl. ergänzend Nds. OVG, Beschl. v. 29.6.2010 - 8 ME 159/10 -, juris, Rn. 5 , 8, m. w. N.), spricht vielmehr entschieden gegen die Annahme, einem solchen Schutz einer noch nicht bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind käme ein solches Gewicht zu, dass er schon von Verfassungs wegen auch entgegenstehenden schwerwiegenden sicherheitsrechtlichen Bedenken gegen den weiteren Aufenthalt des werdenden ausländischen Vaters im Bundesgebiet vorgehe. Die Annahme, eine noch nicht existente und deshalb dem Ausländer nicht nach § 56 Abs. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz vermittelnde etwaige zukünftige Lebensgemeinschaft schließe gleichwohl eine nach § 53 Nr. 1 AufenthG zwingende Ausweisung aus, stünde zudem mit der auch verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandenden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 -, InfAuslR 2007, 275 ff.) Systematik der §§ 53 ff. AufenthG nicht im Einklang.

Im Übrigen greifen auch die Einwände gegen die Würdigung des familiären Schutzgehalts durch das Verwaltungsgericht im vorliegenden Falle nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat (ergänzend) einzelfallbezogen geprüft, inwieweit überhaupt die tatsächliche und dauerhafte Übernahme einer elterlichen Verantwortung durch den Kläger sicher zu erwarten ist, und dies angesichts des von ihm in der Vergangenheit gezeigten, durch einen häufigen Partnerwechsel gekennzeichneten Verhaltens verneint. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Ausführungen ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Denn auch der Kläger legt nicht dar, warum anders als in seinen drei vorhergehenden, jeweils nach kurzer Dauer gescheiterten Ehen die nichteheliche Beziehung zu seiner gegenwärtigen Partnerin von längerer Dauer sein soll bzw. welche konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er ungeachtet des Fortbestandes der Beziehung zu der zukünftigen Kindesmutter jedenfalls eine dauerhafte emotionale elterliche Beziehung zu seinem erwarteten Kind, dessen Vaterschaft er - soweit ersichtlich - ohnehin (noch) nicht anerkannt hat, aufbauen und aufrechterhalten werde. Stattdessen verweist er lediglich darauf, dass es so sein könne. Sein weiterer Einwand, der häufige Partnerwechsel sei Ausdruck seiner persönlichen Gestaltungsfreiheit, geht insoweit ebenfalls fehl. Es geht nicht (vorrangig) um eine rechtliche Bewertung dieses Verhaltens, sondern um die von der rechtlichen Bewertung unabhängige Prognose seines zukünftigen Verhaltens; und insoweit stärkt das diesbezügliche, sein bisheriges Verhalten verteidigendes Zulassungsvorbringen eher die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger lege keinen besonderen Wert auf eine kontinuierliche familiäre Entwicklung.

Ebenso wenig dringt der Kläger mit seinen Einwänden gegen die Verneinung eines "extremen Ausnahmefalles" im Hinblick auf das öffentliche Ausweisungsinteresse durch. Dazu muss nach den insoweit nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht nur spezial-, sondern auch generalpräventiv eine Sondersituation zu Gunsten des Ausländers gegeben sein. Dass dies unter generalpräventiven Gesichtspunkten hier der Fall sei, macht der Kläger jedoch selbst nicht geltend und ist auch nicht zu erkennen. Ebenso wenig legt er dar, warum die vom Verwaltungsgericht unter spezialpräventiven Gesichtspunkten für erforderlich gehaltenen hohen Anforderungen, nämlich der nahezu sichere Ausschluss einer Rückfallgefahr, überzogen oder hier erfüllt sind. Vielmehr richten sich seine auch in der Sache nicht überzeugenden Einwände nur gegen die "überschießende" Begründung des Verwaltungsgerichts, die Rückfallgefahr sei vorliegend sogar noch höher als im Mai 2009 von dem Gutachter Dr. B. angenommen. [...]