VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 24.08.2009 - A 6 K 165/06 - asyl.net: M18276
https://www.asyl.net/rsdb/M18276
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender Misshandlung und Folter im türkischen Polizeigewahrsam.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Türkei, Folter, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Kurden
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger ist aber vor erneuter Verfolgung im Falle einer Rückkehr in Anbetracht des ihm unmittelbar nach der Einreise drohenden Polizeigewahrsams nicht hinreichend sicher im Sinne des herabgeminderten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Auch die in der Türkei in den letzten Jahren eingetretenen Verbesserungen der allgemeinen Menschenrechtslage lassen eine Rückkehr dem Kläger nicht zumutbar erscheinen (vgl. hierzu auch OVG Sachsen, Urteil vom 23.43.2007 - A 3 B 372/05 -). [...]

Es kann danach derzeit angesichts der dargelegten aktuellen - uneinheitlichen - Erkenntnislage nicht davon ausgegangen werden, dass die eingeleiteten positiven Veränderungen in der Türkei dem Kläger bereits hinreichende Verfolgungssicherheit bieten (vgl. dazu etwa auch in einem Widerrufsverfahren VG Minden, Urteil vom 28.07.2006 - 8 K 275/06.A -, Asylmagazin 10/2006, S. 16). Nach der Auskunftslage ist es zumindest gesicherte Erkenntnis, dass aus politischen Gründen in Haft genommene Personen im türkischen Polizeigewahrsam in stärkerem Maße als gewöhnliche Straftäter mit erheblichen körperlichen Misshandlungen - bis hin zur Folter - rechnen müssen; ein energisches Vorgehen des türkischen Staates gegen die immer noch nicht vollständig eingestellte Folterpraxis ist bislang nicht festzustellen (VG Aachen, Urteil vom 26.03.2007 - 6 K 180/06.A - unter Bezugnahme auf OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.04.2005 - 8 A 273/04.A -; VG Darmstadt, Urteil vorn 31.05.2007 - 7 E 1844/05.A(1) -). Bei der anzustellenden Prognose ist dazuhin zu berücksichtigen, dass der Kläger aus einer kurdischen Familie stammt, die bereits vielfach und intensiv in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten ist, der Kläger aus einem gewährten Hafturlaub untergetaucht und ins Ausland geflohen ist, nach wie vor gesucht wird und - wie vom Auswärtigen Amt bestätigt - nach Einreise unmittelbar wieder inhaftiert würde. Die dem Kläger im Zusammenhang mit einer Festnahme erneut drohenden Misshandlungen wären auch gezielte und ihrer voraussichtlichen Intensität nach flüchtlingsrechtlich erhebliche Rechtsgutsverletzungen, die an die Volkszugehörigkeit des Klägers und seine vermutete politische Meinung anknüpfen würden. Erreichbarer innerstaatlicher Schutz steht dem landesweit gesuchten Kläger nicht offen. [...]