OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.01.2011 - 2 S 100.10 - asyl.net: M18291
https://www.asyl.net/rsdb/M18291
Leitsatz:

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Regelung des § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG mit der Familienzusammenführungsrichtlinie in Fällen des Familiennachzugs von Eltern zu ihren Kindern (hier: zu der erwachsenen Tochter) vereinbar ist, da die Antragstellerin nicht die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 Bst. a der Richtlinie erfüllt - es wurde nicht dargetan, dass sie in Bolivien keine sonstigen familiären Bindungen mehr hat.

Schlagwörter: Familiennachzug, Familienzusammenführung, Sonstige Familienangehörige, Eltern-Kind-Verhältnis, außergewöhnliche Härte, Ermessen
Normen: AufenthG § 36 Abs. 2 S. 1, RL 2003/86/EG Art. 4 Abs. 2 Bst. a
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (VG 16 K 292.10) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25. Oktober 2010 anzuordnen, mit der Begründung abgelehnt, es fehle für den von der Antragstellerin begehrten Nachzug zu ihrer in Berlin lebenden erwachsenen Tochter nach den von Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Maßstäben an der tatbestandlichen Voraussetzung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte i.S.v. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. In diesem Zusammenhang hat es sich der im Schrifttum vertretenen Auffassung, der Nachzug von Eltern zu ihren ausländischen Kindern diene stets der Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte, weil sich aus Art. 4 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung – Familiennachzugsrichtlinie – (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 251 vom 3. Oktober 2003, S. 0012 – 0018) eine Privilegierung dieser besonderen Gruppe als schutzbedürftig ergebe (vgl. Oberhäuser, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2008, § 36 Rn. 19), ausdrücklich nicht angeschlossen und auf das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse an einer Beschränkung des Familiennachzugs auf Ehegatten und minderjährige Kinder hingewiesen. Des Weiteren fehle es mangels substantiierter Darlegungen der Antragstellerin bereits an der tatbestandlichen Voraussetzung der genannten Richtlinienbestimmung, dass die Betroffenen in ihrem Heimatland "keinerlei sonstige familiäre Bindungen mehr haben".

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragstellerin allein gegen den gemeinschaftsrechtlichen Teil der Begründung des angefochtenen Beschlusses. Die hiergegen erhobenen Einwände verhelfen der Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg. Der Hinweis auf die 4. Begründungserwägung führt nicht weiter, da darin lediglich Zweck und Bedeutung der Familienzusammenführung für die gewünschte Integration Drittstaatsangehöriger in die einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft beschrieben werden. Einschlägig ist vielmehr die 10. Begründungserwägung, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist zu entscheiden, ob sie die Familienzusammenführung von Verwandten in gerader aufsteigender Linie und weiteren - ausdrücklich genannten - Personengruppen zulassen möchten. Entsprechend bestimmt Art. 4 Abs. 2 lit. a) der Familiennachzugsrichtlinie, die Mitgliedstaaten können in ihren nationalen Rechtsvorschriften den Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades des Zusammenführenden oder seines Ehegatten die Einreise und den Aufenthalt gemäß dieser Richtlinie gestatten, wenn Letztere für ihren Unterhalt aufkommen und Erstere in ihrem Herkunftsland keinerlei sonstige familiäre Bindungen mehr haben. Ob diese Regelung mit § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der den Nachzug sonstiger Familienangehöriger, also auch von Verwandten in gerader aufsteigender Linie, nur nach Ermessen und lediglich bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte zulässt, hinreichend umgesetzt ist, oder ob, wenn sich der Gesetzgeber für die Möglichkeit eines Nachzugs dieser Personengruppe entscheidet, dieser - wie die Antragstellerin meint - nur von den in der Familiennachzugsrichtlinie genannten Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die Antragstellerin erfüllt nicht die in Art. 4 Abs. 2 lit. a) der Familiennachzugsrichtlinie genannten Anforderungen. Auch im Beschwerdeverfahren hat sie nicht dargetan, in Bolivien keinerlei sonstige familiäre Bindungen mehr zu haben. Aus ihrem eigenen Vorbringen wie auch der eingereichten eidesstattlichen Versicherung ihrer Tochter geht vielmehr hervor, dass sie in ihrem Heimatland über Bindungen zu ihrem von ihr getrennt lebenden Ehemann, ihrem Enkelkind, ihrer Schwiegertochter und den drei Kindern ihrer verstorbenen Schwester verfügt. Auf die Qualität oder Häufigkeit des tatsächlichen Kontakts kommt es in diesem Zusammenhang ausweislich des Wortlauts der Vorschrift nicht an. Angesichts dessen kam die von der Antragstellerin beantragte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof mangels Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht in Betracht. [...]