VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 27.01.2011 - 20 K 73.10 [= ASYLMAGAZIN 2011, S. 173 f.] - asyl.net: M18292
https://www.asyl.net/rsdb/M18292
Leitsatz:

1. Landesrecht kann keine Regelung darüber treffen, dass die (Ausländer-) Behörde eines anderen Landes für die Entscheidung über die Wirkungen der Befristungen einer Abschiebung bundesweit sachentscheidungsbefugt ist. Eine derartige Regelung ist allein dem

Bundesgesetzgeber vorbehalten.

2. Aus Bundesrecht ergibt sich, dass für die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Abschiebung regelmäßig allein diejenige Behörde sachentscheidungsbefugt ist, die die Abschiebung veranlasst hat.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Befristung, Abschiebung, Ausweisung, örtliche Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Untätigkeitsklage, Sperrwirkung,
Normen: VwGO § 75, AufenthG § 71 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3, GG Art. 83, GG Art. 84 Abs. 1, VwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen ihrer Abschiebungen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO); sie hat auch keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Denn der Beklagte ist in Bezug auf die begehrte Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der vom Landrat des Hochsauerlandkreises veranlassten Abschiebungen nicht sachentscheidungsbefugt.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind für die dort genannten aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen, zu denen auch die Entscheidung über einen Befristungsantrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gehört, "die Ausländerbehörden" zuständig. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beantwortet allerdings nicht die Frage, welche konkrete Behörde als örtlich zuständige Ausländerbehörde anzusehen ist. Es verbleibt damit zwar im Bereich der ausländerrechtlichen Zuständigkeiten prinzipiell bei dem Grundsatz der Länderexekutive nach Art. 83, 84 Abs. 1 GG, wonach die Länder, soweit sie, wie hier, Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, grundsätzlich auch die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.12.2009 - OVG 3 S 120.08 -; Gutmann in GK-AufenthG, § 71, Rn. 6 ff., Stand September 2007). In diesem Rahmen können insbesondere Regelungen zur landesinternen örtlichen Zuständigkeit getroffen werden. Diese laufen jedoch leer, wenn – wie vorliegend – nur eine Landesbehörde sachlich zuständig ist. Anders als die Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises unter Berufung auf [die] Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Arnsberg und des Oberverwaltungsgerichts Münster meint, kann das jeweilige Landesrecht hingegen keine Regelung dazu treffen, dass die Behörde eines anderen Landes bundesweit sachentscheidungsbefugt ist. Eine derartige Regelung ist allein dem Bundesgesetzgeber vorbehalten.

Enthält das Bundesrecht, wie hier, keine ausdrückliche Regelung zu der Frage der unter mehreren Behörden verschiedener Länder zuständigen Behörde, muss diese Frage aus dem materiellen Bundesrecht beantwortet werden. Aus den insofern maßgeblichen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes ergibt sich, dass für die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Abschiebung regelmäßig – wie auch hier – allein diejenige Behörde sachentscheidungsbefugt ist, die die Abschiebung veranlasst hat. Denn diese hat durch die Veranlassung der Abschiebung die alleinige Regelungsbefugnis in Bezug auf die Wirkungen der Abschiebung erlangt.

§ 11 Abs. 1 AufenthG regelt als grundsätzliche Wirkung jeder Abschiebung, dass sie die Einreise des abgeschobenen Ausländers dauerhaft verhindert. Die Befristung dieser Wirkungen einer Abschiebung stellt eine Beschränkung dieser Wirkungen der Abschiebung dar. Wird diese Beschränkung zusammen mit der Abschiebung verfügt, so ergibt sich schon aus der Natur der Sache und unter Berücksichtigung der Regelung des § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, dass die Beschränkung stets durch die Behörde zu erfolgen hat, die die Abschiebung veranlasst. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG macht allerdings keinen Unterschied zwischen einer sofortigen und einer nachträglichen Befristung der Wirkungen der Abschiebung. Bereits dies spricht dafür, dass nach den Wertungen des Aufenthaltsgesetzes für jegliche Befristungsentscheidung die Behörde allein sachentscheidungsbefugt ist und bleibt, die die Ausweisung verfügt beziehungsweise die Abschiebung veranlasst (hat). Dass auch bei einer nachträglichen Befristung die Behörde allein sachentscheidungsbefugt ist, die die Abschiebung veranlasst hat, ergibt sich zudem aus allgemeinen bundesrechtlichen Grundsätzen. Wird eine Beschränkung nachträglich verfügt, handelt es sich materiell um eine teilweise Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) der ursprünglichen Abschiebungsentscheidung, weil die Wirkungen der Abschiebung eingeschränkt werden (vgl. auch Stelkens in: Stelkens-Bonk-Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 36 Rn. 38 mit Nachweisen). Für Rücknahme und Widerruf gilt allerdings der bundesrechtliche Grundsatz, dass diese nur diejenige Behörde verfügen kann, die die zurückzunehmende oder zu widerrufende Entscheidung erlassen hat (vgl. im Rahmen des § 48 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 28.2.2002 - 7 C 17/01 -, NVwZ 2002, 1252). Dies ist nur anders, wenn Bundesrecht ausdrücklich die Sachentscheidungskompetenz einer anderen Behörde zuweist, was, wie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG unterstreicht, im Falle der nachträglichen Befristung der Ausweisung gerade nicht der Fall ist.

Dem hier gefundenen Auslegungsergebnis entspricht im Übrigen Ziffer 11.1.3.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundes zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 (GMBl. 2009 S. 877), in der es heißt: "Für die Entscheidung über die Befristung ist grundsätzlich diejenige Behörde zuständig, die die Maßnahme getroffen hat, die zur Wiedereinreisesperre führte." [...]