VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 24.02.2011 - 34 L 38.11 A - asyl.net: M18296
https://www.asyl.net/rsdb/M18296
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz gegen eine Dublin-Überstellung nach Italien.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Italien, Konzept der normativen Vergewisserung, Obdachlosigkeit, Aufnahmebedingungen
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Nach der Rechtsprechung der Kammer ist ein weiterer - vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1996 noch nicht berücksichtigungsfähiger - Sonderfall im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung gegeben, wenn in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder einem anderen kraft Gesetzes sicheren Drittstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Rechts zum Flüchtlingsschutz stattfindet, die mit einer Gefährdung des Betroffenen insbesondere in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einhergeht (Beschluss vom 27. Februar 2009 - VG 34 L 57.09 A - zu Griechenland). Dass ein solcher Fall, an dessen Darlegung strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, a.a.O. 706>), vorliegend angesichts der Verhältnisse in Italien anzunehmen ist, lässt sich nicht feststellen (so im Ergebnis auch: VG Düsseldorf, Urteil vom 30. Juli 2010 - 13 K 3075/10.A -, Juris und Beschluss vom 7. Januar 2011 - 21 L 2286/10.A -, Juris; VG Regensburg, Beschluss vom 14. Januar 2011 - RO 7 S 11.30018 -, Juris; a.A. VG Frankfurt, Beschluss vom 7. Februar 2011 - 7 L 329/11.F.A -, Juris; VG Köln, Beschluss vom 10. Januar 2011 - 20 L 1920/10.A -, Juris; VG Minden, Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 3 L 625/10.A - und vom 28. September 2010 - 3 L 491/10.A -, Juris; VG Darmstadt, Beschluss vom 9. November 2010 - 4 L 1455/10.DA.A(1) -, Juris). Die zu Griechenland ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, so auch das in der Antragsschrift in Bezug genommene Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Beschwerde-Nr. 30696/09), sind nicht auf Italien übertragbar.

Stellungnahmen des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), die Anlass zu der Annahme bieten könnten, Italien verletze generell und ständig die Kernanforderungen des europäischen Rechts zum Flüchtlingsschutz, sind dem Gericht ebenso wenig bekannt wie entsprechende Stellungnahmen weltweit tätiger Flüchtlingsorganisationen wie amnesty international, Human Rights Watch oder Pro Asyl. Insbesondere hat der UNHCR nicht, wie er dies in Bezug auf Griechenland getan hat, die Empfehlung ausgesprochen, Asylsuchende nicht an Italien zu überstellen.

Die in der Antragsschrift unter der Angabe von Fundstellen im Internet benannten Berichte in deutscher bzw. englischer Sprache lassen nicht den Schluss zu, Italien sei generell nicht willens und in der Lage, Flüchtlingen und Asylsuchenden die vereinbarten europaweiten Mindeststandards zu gewährleisten, so dass bei einer Abschiebung des Antragstellers dorthin dessen Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit als ernsthaft gefährdet angesehen werden mussten. Dies gilt insbesondere auch für den Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht von November 2009, der den Fokus eigenen Angaben zufolge auf die Situation in Rom und Turin legt und weder gesicherte Rückschlüsse auf die aktuelle Lage noch auf die Lage in anderer Regionen Italiens zulässt. Laut Erklärung vom 8. Februar 2011, mit der Italien der Übernahme des Antragstellers zugestimmt hat, soll sich dieser in Bari melden.

Die Schilderung des Antragstellers gegenüber dem Evangelischen Seelsorger im Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick F., er sei von der Cestura in Bari ohne Unterkunft und Versorgung weggeschickt worden und habe im Park übernachten müssen, wo er Opfer eines Überfalls seitens anderer Araber geworden sei, begründet vor diesem Hintergrund für sich genommen nicht die Besorgnis, er sei von einem vom Konzept der normativen Vergewisserung nicht erfassten Sonderfall betroffen und sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit seien bei einer Rückführung nach Italien aus diesem Grund ernsthaft gefährdet, zumal der Antragsteller keine Angaben dazu macht, inwieweit er sich bei kommunalen Behörden oder Hilfsorganisation erfolglos um Unterkunft und Verpflegung bemüht hat bzw. nicht in der Lage war, aus eigenen Mitteln für seinen Unterhalt zu sorgen. Soweit sich der Antragsteller ohne weitere Konkretisierung und Glaubhaftmachung durch aktuelle Atteste auf gesundheitliche Beschwerden beruft, bietet dies ebenfalls keinen Anlass für die Annahme eines Ausnahmefalles. Auch aus den o.g. in der Antragsschrift benannten Stellungnahmen ergibt sich nicht, dass Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien generell keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hätten. [...]