Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen fehlender Behandlungsmöglichkeit einer Krebserkrankung im Irak.
[...]
Diese Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG sind hingegen gegeben.
Irak verfügt über kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Nur Personen, die für besondere Unternehmen und Organisationen arbeiten, haben Anspruch auf Deckung durch eine Krankenversicherung. Das Gesundheitssystem umfasst einen öffentlichen und einen privaten Sektor (vgl. International Organization for Migration (IOM), Informationen zu Rückkehr und Reintegration in das Herkunftsland - IRRICO II, Republik Irak, Stand: 05. November 2009, irrico.belgium.iom.int/images/stories/documents/iraq_%20de-rev.pdf).
Das Gesundheitssystem ist stark zentralisiert und das irakische Gesundheitsministerium in Bagdad trägt die Hauptverantwortung für die Gesundheitsversorgung im ganzen Land. Die erste Anlaufstelle in der öffentlichen Gesundheitsversorgung sind die Primary Healthcare Centers - PHC - (vgl. Looser, Marco, Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Irak: Die sozioökonomische Situation im Nordirak. Themenpapier, Mai 2010, Bern, 7. Juni 2010. S. 4, 5).
Das Auswärtige Amt führt zur medizinischen Versorgung wie folgt aus:
Das Gesundheitswesen in Irak liegt darnieder. Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen 1.989 örtlichen Gesundheitszentren sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Seit 2003 sind erst 210 dieser Einrichtungen wieder hergestellt worden. In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. In vielen Krankenhäusern gibt es Mängel in der Energie- und Trinkwasserversorgung sowie schlechte hygienische Bedingungen, weil sie keinen geregelten Zugang zur Abwasser- und Müllentsorgung haben. Grundsätzlich sind in den Apotheken Bagdads viele Medikamente erhältlich. Ein beträchtlicher Teil der ohnehin knappen Ressourcen des irakischen Gesundheitswesens wird für die Behandlung von Opfern der anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen und der Anschläge beansprucht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 28.11.2010, Az.: 508-516.80/3 IRQ).
Das U.S.-Verteidigungsministerium führt in seinem Bericht von Juni 2010 aus, dass es im Gesundheitswesen zwar Verbesserungen gab, aber große Teile der Bevölkerung noch immer keinen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung haben (vgl. U.S. Department of Defense, June 2010: Measuring Stability and Security in Iraq - Report to the Congress. www.defense.gov).
In der KRG-Region sind nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) die Behandlungsmöglichkeiten und deren Qualität uneinheitlich. Tendenziell verschlechtern sich die Aussichten auf eine adäquate medizinische Behandlung bei zunehmender Schwere der Erkrankung, bei geringen finanziellen Mitteln des Erkrankten und mit größerer Distanz zu den Provinzhauptstädten (vgl. Looser, Marco, Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Irak: Die soziökonomische Situation im Nordirak. Themenpapier, Mai 2010, Bern, 7. Juni 2010. S. 6). Nach den Erkenntnissen des Danish Immigration Service liegen die Hauptprobleme bei der medizinischen Versorgung in der KRG-Region einmal darin, dass die öffentlichen Krankenhäuser überfüllt sind und andererseits generell in der mangelhaften Versorgung mit Medikamenten sowie deren schlechter Qualität (vgl. Danish Immigration Service. Landinfo. Security and Human Rights Issues in Kurdistan Region of Iraq (KRI), and South/Central Iraq (S/C Iraq). Report from the Danish Immigration Services (DIS), the Danish Refugee Council's (DRC) and Landinfo's joint fact finding mission to Erbil and Sulaymaniyah, KRI, and Amman, Jordan. 6 to 23 March 2009. S. 77 ff., http:/lwvwv.nyidanmark.dk/N R/rdonlyres/5EAE4A3C-B13E-4D7F-99D6-8F62EA3B2888/0/Iraqreport09FI NAL.pdf).
Die medizinische Versorgung im Irak ist somit angespannt und kann nicht grundsätzlich als sichergestellt angesehen werden.
Was speziell Krebserkrankungen angeht, ergibt sich aus den vom Britischen Home Office (UK Border Agency, Country of Origin Information Report - Iraq - vom 12. Januar 2009, dort insbesondere bei RdNr. 29.09 ff.) zitierten Quellen, dass es einen erheblichen Mangel an Krebsmedikamenten in den öffentlichen Krankenhäusern gibt. Teilweise würden die Angehörigen von in Krankenhäusern liegenden Krebspatienten aufgefordert, ihre Medikamente selbst ausfindig zu machen. Die von privaten Apotheken erhobenen Preise seien sehr hoch. Dies habe zur Folge, dass arme Familien nicht in der Lage seien, diese Medikamente zu besorgen.
Hinzu kommt, dass medizinisches Gerät zur Durchführung von Strahlentherapien defekt sei. Insbesondere das Angebot an Medikamenten zur Behandlung von Brustkrebs sei gefährlich knapp. Während es sich reichere Patienten erlauben könnten, sich im Ausland behandeln zu lassen, bleibe diese Möglichkeit den ärmeren Irakern verschlossen, mit der Folge, dass seit August 2007 mindestens 60 Personen im Irak wegen der mangelhaften medizinischen Versorgung an Krebs verstorben seien.
Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin im Zusammenhang mit ihrer Brustkrebserkrankung bei Rückkehr in den Irak derzeit erhebliche Gesundheitsgefahren bis hin zur Lebensgefahr drohen würden, weil die für sie erforderliche Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verfügbar wäre. Demzufolge liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vor. [...]