EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 08.03.2011 - Ruiz Zambrano, C-34/09 [= ASYLMAGAZIN 2011, S. 131 f.] - asyl.net: M18332
https://www.asyl.net/rsdb/M18332
Leitsatz:

Die Unionsbürgerschaft gebietet, dass ein Mitgliedstaat es Staatsangehörigen eines Drittlands, die Eltern eines Kindes sind, das die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hat, gestattet, sich in diesem Staat aufzuhalten und dort zu arbeiten, denn eine Verweigerung dieses Rechts würde diesem Kind den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte vorenthalten. Dies ist auch dann zu beachten, wenn das Kind von seinem Recht auf Freizügigkeit im Gebiet der Mitgliedstaaten niemals Gebrauch gemacht hat. (Aus der Pressemitteilung des EuGH zu dieser Entscheidung.)

Schlagwörter: Unionsbürger, Aufenthaltsrecht, Familienangehörige, freizügigkeitsberechtigt, Vorabentscheidungsverfahren, Arbeitsgenehmigung, Arbeitslosgengeld, Belgien, minderjährig, Eltern-Kind-Verhältnis, praktische Wirksamkeit, Unionsbürgerschaft, Inländerdiskriminierung
Normen: EG Art. 234, EG Art. 12, EG Art. 17, EG Art. 18, GR-Charta Art. 21, GR-Charta Art. 24, GR-Charta Art. 34, RL 2004/38/EG Art. 1, RL 2004/38/EG Art. 3, AEUV Art. 20
Auszüge:

[...]

Zu den Vorlagefragen

36 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Unionsbürgerschaft dahin auszulegen sind, dass sie dem Verwandten in aufsteigender gerader Linie, der Staatsangehöriger eines Drittstaats ist und seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, ein Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat gewähren, dessen Staatsangehörigkeit die Kinder haben und in dem sie wohnen, und ihn von der Verpflichtung zum Besitz einer Arbeitserlaubnis in diesem Mitgliedstaat befreien. [...]

39 Vorab ist festzustellen, dass die Richtlinie 2004/38 gemäß Abs. 1 ihres Art. 3 ("Berechtigte") für jeden Unionsbürger gilt, „der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen“. Daher gilt diese Richtlinie nicht in einem Fall, wie er dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt.

40 Art. 20 AEUV verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, den Status eines Unionsbürgers (vgl. insbesondere Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop, C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 27, und vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello, C-148/02, Slg. 2003, I-11613, Randnr. 21). Da das zweite und das dritte Kind von Herrn Ruiz Zambrano die belgische Staatsangehörigkeit besitzen und die Bedingungen für den Erwerb derselben der Zuständigkeit des fraglichen Mitgliedstaats unterliegen (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 2. März 2010, Rottmann, C-135/08, I-0000, Randnr. 39), genießen das zweite und das dritte Kind von Herrn Ruiz Zambrano eindeutig diesen Status (vgl. in diesem Sinne Urteile Garcia Avello, Randnr. 21, sowie Zhu und Chen, Randnr. 20).

41 Wie der Gerichtshof mehrfach hervorgehoben hat, ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein (vgl. insbesondere Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk, C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Randnr. 31, vom 17. September 2002, Baumbast und R, C-413/99, Slg. 2002, I-7091, Randnr. 82, Garcia Avello, Randnr. 22, Zhu und Chen, Randnr. 25, sowie Rottmann, Randnr. 43).

42 Unter diesen Umständen steht Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Rottmann, Randnr. 42).

43 Eine derartige Auswirkung liegt vor, wenn einer einem Drittstaat angehörenden Person in dem Mitgliedstaat, in dem ihre minderjährigen Kinder, die diesem Mitgliedstaat angehören und denen sie Unterhalt gewährt, der Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis verweigert werden.

44 Eine solche Aufenthaltsverweigerung hat nämlich zur Folge, dass die genannten Kinder – Unionsbürger – gezwungen sind, das Gebiet der Union zu verlassen, um ihre Eltern zu begleiten. Ebenso besteht die Gefahr, dass eine solche Person, wenn ihr keine Arbeitserlaubnis erteilt wird, nicht über die für ihren Unterhalt und den ihrer Angehörigen erforderlichen Mittel verfügt, was ebenfalls zur Folge hätte, dass ihre Kinder – Unionsbürger – gezwungen wären, das Hoheitsgebiet der Union zu verlassen. Unter derartigen Umständen wäre es den genannten Unionsbürgern unmöglich, den Kernbestand der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

45 Somit ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 20 AEUV dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, zum einen den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern und ihm zum anderen eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehren würde. [...]