Der zumutbaren Fortführung einer familiären Lebensgemeinschaft im Ausland steht nicht entgegen, dass eine Ausländerin ein minderjähriges Kind deutscher Staatsangehörigkeit hat, für das sie das alleinige Sorgerecht ausübt. Das deutsche Kind wird dadurch nicht in seinem Freizügigkeitsrecht (Art. 11 GG) verletzt.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis im Wege des Kindernachzugs gemäß § 32 Abs. 1 bis 3 AufenthG liegen tatbestandlich offensichtlich nicht vor, weil die ausländischen Eltern der noch nicht 16 Jahre alten Klägerin keine Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis nach §§ 25 Abs. 1 oder 2 bzw. 26 Abs. 3 AufenthG besitzen (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und beide Eltern sorgeberechtigt sind, aber nur die Mutter der Klägerin über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verfügt (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 AufenthG).
Eine besondere Härte im Sinne von § 32 Abs. 4 AufenthG liegt nicht vor, wie die folgenden Ausführungen zur Frage einer außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG zeigen.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG kommt nicht in Betracht.
Danach kann einem sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.
Eine außergewöhnliche Härte liegt nicht vor. [...]
Eine derartige Härte ist anzunehmen, wenn im konkreten Einzelfall gewichtige Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 GG und im Vergleich zu den sonst geregelten Fällen des Familiennachzugs ausnahmsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gebieten.
Die mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft müssen nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass im Hinblick auf den Zweck der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, die Ablehnung der Erlaubnis schlechthin unvertretbar ist. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende, die Aufenthaltserlaubnis beantragende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen und die familiäre Lebensgemeinschaft nur im Bundesgebiet geführt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997 - 1 B 236/96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4 m.w.N.; VG Hamburg, Urteil vom 8. September 2006 - 17 E 2495/06 - InfAuslR 2006, 459; VGH Hessen, Beschluss vom 28. Juli 1998 - 13 TG 2789/96 -; Zeitler, HTK-AuslR / § 36 AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 09/2008 Nr.4, Hailbronner, AufenthG, Stand August 2010, § 36 Rn 12).
Das ist hier nicht der Fall.
Zwar ist nicht zweifelhaft, dass die am 31. Dezember 2005 in Serbien geborene Klägerin auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrer Mutter bzw. mit ihren Eltern angewiesen ist. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann jedoch nicht nur in Deutschland geführt werden.
Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschlüsse vom 9. Januar 2009 – 2 BvR 1064/08 – juris, 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 – juris, 10. August 1994 – 2 BvR 1542/94 – und vom 31. August 1999 – 2 BvR 1593/99 -) ausgeführt, dass die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurückdrängt, wenn die bereits gelebte Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in Deutschland stattfinden kann, weil weder dem Kind noch dem anderen Elternteil das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland zumutbar ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Vielmehr kann der Klägerin, der Kindesmutter, dem Kindesvater und den Geschwistern der Klägerin die Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft in Serbien zugemutet werden. [...]
Davon ausgehend, steht einer gemeinsamen familiären Lebensführung der Klägerin, der Kindesmutter, dem Kindesvater und den Geschwistern der Klägerin in Serbien nichts entgegen. Bis auf F. besitzen alle die serbische Staatsangehörigkeit. Niemand verfügt über flüchtlingsrechtlich begründete Aufenthaltstitel.
Der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis als solcher führt nicht zur Unzumutbarkeit der Ausreise (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 a.a.O.; in dem dort entschiedenen Fall besaß der in Deutschland aufhältige Ausländer eine Niederlassungserlaubnis).
Daraus ergibt sich lediglich das Recht, sich außer im Herkunftsland auch in Deutschland rechtmäßig aufzuhalten (vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2010 – 18 B 1820/09 – sowie die ständige Rechtsprechung des erkennenden Gerichts, z.B. Beschluss vom 3. Dezember 2009 – 24 L 1338/09 -).
Von einer in Deutschland begründeten Existenzsicherung der Eltern für ihre Familie kann offensichtlich keine Rede sein. Auch besondere berufliche oder familiäre Bindungen der Eltern, die der Zumutbarkeit ihrer Ausreise mit den das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teilenden weiteren minderjährigen Kindern entgegen stehen könnten (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2004 – 18 B 1055/04 -) bestehen nicht.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Kindesmutter aus der Ehe mit einem am 29. März 2008 verstorben deutschen Staatsangehörigen ein die deutsche Staatsangehörigkeit besitzendes, am 00.0.2004 in P geborenes Kind - F - hat.
Denn die nach dem Tod des Kindesvaters allein sorgeberechtigte Kindesmutter ist rechtlich nicht gehindert, ihr deutsches Kind im Rahmen ihres aus der elterlichen Sorge (§§ 1626, 1631 Abs. 1 BGB) fließenden Aufenthaltsbestimmungsrechts mit in das ansonsten gemeinsame Heimatland nehmen (vgl. dazu Beschlüsse des erkennenden Gerichts vom 21. Mai 2010 – 24 L 354/10 -; vom 15. März 2005 – 24 L 433/05 – und vom 3. November 2006 – 24 L 2115/06 -; OVG NRW, Beschluss vom 9. Mai 2000 – 17 B 622/00 -).
Das deutsche Kind wird dadurch auch nicht an der Ausübung seines Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) gehindert.
Die Versagung der von der Klägerin beantragten Aufenthaltserlaubnis stellt weder einen unmittelbaren, d.h. direkten, imperativen Eingriff (vgl. Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Band II, Art. 11 Rn. 111 – 115; Jarass- Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl., Art. 11 Rn. 7), noch - auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG - eine zielgerichtete mittelbare, faktische Einwirkung in das diesbezügliche Grundrecht ihres deutschen Halbgeschwisters dar (a.A. VG Münster, Urteil vom 11. März 2010 – 8 K 1729/08 -, juris), die zudem nur dann einen Verstoß gegen Art. 11 GG enthielte, wenn sie objektiv geeignet wäre, einen beherrschenden Einfluss auf die Willensbildung des Grundrechtsträgers auszuüben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 1999 – 5 C 8.99 -,BVerwGE 100, 92 (97, 98)).
Das sechsjährige und damit minderjährige (§ 2 BGB) Kind ist zwar grundrechtsfähig (vgl. Maunz-Dürig, a.a.O., Art. 11 Rn. 111 – 115), kann sein Grundrecht infolge des Aufenthaltsbestimmungsrechts seiner Mutter aber nicht eigenständig ausüben. Ein unmittelbarer "Eingriff" zu Lasten des deutschen Kindes könnte somit nur durch die das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübende Mutter, nicht aber durch die Ausländerbehörde erfolgen. Eine mittelbare Einwirkung kommt nur in Betracht, wenn – mit dem Ziel der Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes - in das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter, die als Ausländerin nicht Trägerin des nur Deutschen vorbehaltenen Freizügigkeitsrechts ist, eingegriffen würde. Das ist hier bei der Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin erkennbar nicht der Fall.
Das Gericht sieht sich insoweit auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
In seinem Beschluss vom 10. Mai 2008 – 2 BvR 588/08 -, Rdnr. 16, juris (betr. Abschiebungsschutz) hat das Bundesverfassungsgericht nämlich die Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen ausländischen Staatsangehörigen im Heimatland eines Elternteils nicht wegen des Vorhandenseins eines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit für unzumutbar erachtet, sondern verlangt, dass vor der Abschiebung sichergestellt werden müsse, dass nach dem Recht des Abschiebungszielstaates für alle Familienangehörigen die Möglichkeit bestehe, dort ohne weiteres Aufenthalt zu nehmen. Dieser vor der Abschiebung vorzunehmenden Ermittlungen hätte es nicht bedurft, wenn die Abschiebung der Familie per se wegen Verstoßes gegen Art. 11 GG unzulässig gewesen wäre. Dass das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung einen solchen Grundrechtsverstoß nicht in den Blick genommen haben könnte, ist nicht anzunehmen.
Dass hier nach serbischem Recht keine Möglichkeit bestünde, für das deutsche Kind einer serbischen Mutter ein Aufenthaltsrecht in Serbien zu erlangen, wird von der Klägerin nicht behauptet, ist nicht ersichtlich und wäre jedenfalls im Verfahren zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis als anspruchsbegründende Tatsache von der Klägerin darzutun (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 1999 1 B 2.99 - InfAuslR 1999, 330; danach ist es zunächst einmal Sache der Ausländer, für ein gemeinsames Aufenthaltsrecht in einem Staat, dem einer von ihnen angehört, Sorge zu tragen).
Aus den dargelegten Gründen hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK wegen rechtlicher Unmöglichkeit ihrer Ausreise. [...]