OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2011 - 18 E 1509/10 - asyl.net: M18387
https://www.asyl.net/rsdb/M18387
Leitsatz:

Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da die Eltern der Klägerin bei der Nachregistrierung in der Türkei nicht mitwirken und die Passbeschaffung deshalb nicht möglich ist. Somit kommt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Ausnahme von der Passpflicht in Betracht.

Schlagwörter: Passbeschaffung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Türkei, Registrierung, Ermessen, atypischer Ausnahmefall, Prozesskostenhilfe
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Hiervon ausgehend sind hinreichende Erfolgsaussichten für die Klage gegeben. Es kann nicht mit der für die Versagung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, obwohl sie die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. la und Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt. Es erscheint möglich, dass ein Ausnahme von den Regelerteilungsvoraussetzungen vorliegt oder die Beklagte im Ermessensweg von deren Erfüllung abzusehen hat, weil der Klägerin die Beschaffung eines Passes nicht möglich ist.

Die Klägerin und ihre Familie haben bei der Identitätsfeststellung und der Beschaffung von Personaldokumenten über Jahre nicht hinreichend mitgewirkt. Das Verwaltungsgericht hat überzeugend ausgeführt, dennoch stehe inzwischen fest, dass die Klägerin die türkische Staatsangehörige besitze, allerdings bislang nicht im Personenstandsregister der Türkischen Republik erfasst sei. Wenn eine Nachregistrierung erfolgt sei, könne ihr ein türkischer Reisepass ausgestellt werden.

Dem ist die Klägerin im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten. Sie hat jedoch ausgeführt, eine Nachregistrierung sei auf dem vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Weg nicht möglich. Es sei nicht ausreichend, gemeinsam mit ihrer Mutter unter Vorlage der erforderlichen Dokumente beim Generalkonsulat vorzusprechen. Bei einer solchen Vorsprache sei ihr erklärt worden, eine Registrierung setze die Vorsprache beider Elternteile beim Konsulat voraus. Außerdem müssten der Nüfus der Mutter, die Heiratsurkunde der Eltern sowie die Geburtsurkunde der Klägerin vorgelegt werden. Diese Voraussetzungen könne sie nicht erfüllen, weil ihr Vater nicht bereit sei, mit ihr zum Konsulat zu gehen, und ihre Mutter sich weigere, einen Nüfus zu beantragen.

Vor dem Hintergrund dieser plausiblen Schilderung kann derzeit nicht mit der für die Versagung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Klägerin einen türkischen Pass erlangen kann. Es ist insbesondere nachvollziehbar, dass die Mutter nicht bereit ist, sich türkische Personaldokumente ausstellen zu lassen, da dies aus ihrer Sicht die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, in die Türkei abgeschoben zu werden. Wie die Klägerin auch ohne die Mitwirkung ihrer Mutter einen Pass erlangen kann, zeigt die Beklagte nicht auf. Sie verweist lediglich pauschal auf gleichgelagerte Fälle, in denen es Ausländern gelungen sein soll, türkische Pässe zu beschaffen. Dass es solche vergleichbaren Fälle gibt, ist jedoch nicht erkennbar. Soweit die Beklagte im Bescheid (S. 9) ausgeführt hat, die Betroffenen hätten "aktiv bestehende Hindernisse durch den deutlichen Willen nach Passerlangung unter Mitwirkung aller Angehörigen überwunden", liegt der Fall der Klägerin anders. Denn die Klägerin kann gerade nicht auf die Mitwirkung ihrer in Deutschland lebenden Angehörigen zählen, weil diese befürchten müssen, durch eine Passbeschaffung selbst aufenthaltsrechtliche Nachteile zu erleiden. Zwar erscheint es unwahrscheinlich, dass es nach türkischem Recht für volljährige Personen, die die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, im Personenstandsregister aber nicht erfasst sind, nicht möglich sein sollte, ohne Mitwirkung der Eltern eine Nachregistrierung zu erreichen und in den Besitz von türkischen Pässen zu gelangen. Hat die Klägerin jedoch den ihr aufgezeigten Weg beschritten und nachvollziehbar dargelegt, warum er nicht zum Erfolg geführt hat, hat die Ausländerbehörde, wenn keine andere erfolgversprechende Möglichkeit zur Passbeschaffung ersichtlich ist, konkret aufzuzeigen, was der Betroffene weiter unternehmen kann, um einen Reisepass zu erhalten. Dies hat die Beklagte bislang nicht getan. [...]