VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.02.2011 - A 8 K 297/11 - asyl.net: M18403
https://www.asyl.net/rsdb/M18403
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz (formal bis zum Ablauf von sieben Tagen nach Bescheidzustellung zur Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes) gegen Dublin-Überstellung nach Österreich wegen drohender Kettenabschiebung nach Griechenland für konvertierten Christen aus Afghanistan. Das österreichische Bundesasylamt dürfte auch einen Folgeantrag sachlich ungeprüft lassen und eine Abschiebung nach Griechenland (weiterhin) für zulässig halten.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Österreich, Griechenland, Refoulement, Kettenabschiebung, Afghanistan, Konvertiten, Christen, einstweilige Anordnung, Zustellung, effektiver Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, EGMR, M.S.S. gg. Belgien und Griechenland
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1, EMRK Art. 13, VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 4, AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 5, GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...]

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweilige Anordnung, über den die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheidet (vgl. § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG), ist gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. [...]

Im Fall des Antragstellers besteht die konkrete Gefahr, dass er nach einer von den deutschen Behörden durchgeführten Abschiebung nach Österreich von den österreichischen Behörden nach Griechenland überstellt werden wird. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das österreichische Bundesasylamt auf den am ... 2008 in Österreich gestellten Asylantrag des Antragstellers es ohne Prüfung in der Sache für zulässig hielt, den Antragsteller nach Griechenland abzuschieben. Das Bundesasylamt dürfte deshalb auch einen Folgeantrag nicht in der Sache prüfen, sondern hierfür nach der Dublin-II-Verordnung Griechenland für zuständig erachten. Zum anderen dürfte die Republik Österreich daran festhalten, Abschiebungen nach Griechenland durchzuführen (vgl. www.amnesty.at/aktiv_werden/abschiebungen_nach_griechenland stoppen/), auch nach der Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 07.10.2010 (vgl. www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/6/1/9/CH0006/CMS1290759329434/dublin_ii_-_griechenland_-_u694-10.pdf), mit dem eine Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland für verfassungswidrig erklärt wurde, sowie der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (a.a.O.).

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Es besteht ein Anordnungsgrund. Gegenüber dem Antragsteller soll die Abschiebung nach Österreich unter den oben (1. a)) dargelegten - eine Inanspruchnahme rechtzeitigen Rechtsschutzes erschwerenden - Bedingungen angeordnet werden. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Auch ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch nötigen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte aus den oben (1. b)) dargelegten Gründen die Anordnung der Abschiebung nach Österreich rechtswidrig und eine Klage hiergegen deshalb erfolgreich sein. Es fehlt jedenfalls derzeit an Anhaltspunkten dafür, dass die Republik Österreich den in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag des Antragstellers in der Sache prüfen und den Antragsteller nicht nach Griechenland abschieben wird.

3. Das Gericht bestimmt den Inhalt der einstweiligen Anordnung nach freiem Ermessen (vgl. § 938 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO). Aufgrund des Charakters der einstweiligen Anordnung als Sicherung des Hauptsacheverfahrens ist die Gestaltungsmacht des Gerichts aber grundsätzlich auf eine vorläufige Regelung beschränkt und darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache wäre mit den vom Antragsteller in seinem Hauptantrag und Hilfsantrag begehrten Anordnungen verbunden. Die Vorwegnahme der Hauptsache wäre auch nicht ausnahmsweise zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich. Dem Anliegen des Antragstellers, dass eine rechtswidrige Abschiebungsanordnung nicht vollzogen wird, kann ausreichend Rechnung getragen werden, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet wird, gegen die Abschiebungsanordnung einstweiligen Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch zu nehmen. Vor dem Hintergrund, dass die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland übergeht, wenn die Überstellung nach Österreich nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt wird (vgl. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 der Dublin-II-Verordnung), hält das Gericht die aus dem Tenor ersichtliche und sich hinsichtlich der Frist an § 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG orientierende Regelung für sachgerecht und ausreichend (vgl. VG Oldenburg, Beschl. v. 09.11.2009 - 3 B 2837/09 -, NVwZ 2010, 200). [...]