VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 07.03.2011 - 11 B 440/11 - asyl.net: M18428
https://www.asyl.net/rsdb/M18428
Leitsatz:

Die Verlängerung einer nach der Altfallregelung (hier: § 104a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) erteilten Aufenthaltserlaubnis richtet sich nach der abschließenden und § 8 Abs. 1 AufenthG vorgehenden Bestimmung des § 104a Abs. 5 AufenthG. Es verstößt auch gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes in diesem Fall bei unverändertem Sachverhalt und gleichbleibender Erkenntnislage erneut die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 104a Abs. 1 oder 2 AufenthG zu überprüfen.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2 AufenthG stehen die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeführten Ausschlussgründe (hier: § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG) nicht zwingend entgegen; sie sind lediglich bei der Entscheidung über die Integrationsprognose zu berücksichtigen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - NVwZ 2009, 979, 981).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Bleiberecht, Altfallregelung, unbegleitete Minderjährige, Ausschlussgrund, Vertrauensschutz, Integrationsprognose, Fiktionswirkung, vorläufiger Rechtsschutz, Täuschung über Identität,
Normen: AufenthG § 104a Abs. 2 S. 2, AufenthG § 8 Abs. 1, AukfenthG § 104a Abs. 5, AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1, VwGO § 123 Abs. 1, Aufenthg § 81 Abs. 4, AufenthG § 81 Abs. 5, AufenthG § 23 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Das Begehren ist bei verständiger Würdigung (§§ 88, 122 VwGO) dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller erstrebt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zu verpflichten, ihn bis zur Entscheidung über seine Klage (11 A 3420/10) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2010, mit welchem u.a. die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden ist, zu dulden. [...]

Zwar sind nach § 8 Abs. 1 AufenthG im Verlängerungsverfahren die gleichen Voraussetzungen wie bei der Ersterteilung zu beachten. Dies gilt jedoch nur soweit der Gesetzgeber nicht Sonderregelungen getroffen hat oder dem Sinn und Zweck der Vorschriften oder höherrangiges Recht entgegenstehen (vgl. Dienelt/Rösler in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, Rn. 3 ff. zu § 8 AufenthG; Wenger in: Storr u.a., Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, Rn.3 f. zu § 8). Die Kammer ist der Ansicht, dass in § 104a Abs. 5 und 6 AufenthG eine abschließende Regelung über die Verlängerung einer nach der Altfallregelung erteilten Aufenthaltserlaubnis getroffen worden ist und deshalb jedenfalls eine erneute Überprüfung der in Abs. 1 und 2 vorgeschriebenen besonderen Integrationsvoraussetzungen ausscheidet. Denn in § 104a Abs. 5 AufenthG finden sich umfangreiche und detaillierte Bestimmungen, die sich allein mit einem Aspekt der Integration, nämlich der Frage der überwiegenden Sicherung des Lebensunterhalts befassen, mit welchem das Ziel verfolgt wird, eine dauerhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 202 f.). Es widerspricht auch dem Sinn und Zweck der Bestimmungen der Altfallregelung im Rahmen der Verlängerung einer erteilten Aufenthaltserlaubnis ohne Veränderung der Sach- oder Erkenntnislage erneut in die Prüfung der ursprünglichen Erteilungsvoraussetzungen einzutreten. Denn mit diesen Bestimmungen wird dem Bedürfnis der seit Jahren im Bundesgebiet geduldeten und hier integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive in Deutschland Rechnung getragen (vgl. BTDrs. 15/5065, S. 201 f.). Auch würde es den Grundsätzen der Bestandskraft, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit widersprechen, bereits abschließend geprüfte und nicht mehr veränderbare Sachverhalte im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung erneut zur Beurteilung zu stellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Juni 2009 - 9 ME 49/09 - zu § 34 Abs. 3 AufenthG). Die Antragsgegnerin hätte insoweit lediglich die Möglichkeit, die frühere für rechtswidrig angesehene Entscheidung zurückzunehmen, wovon sie jedoch ausdrücklich (vgl. S. 3 der Bescheides vom 6. Dezember 2010) abgesehen hat.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin die Identitätstäuschung des Antragstellers der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch nicht zwingend entgegenstand. Die Regelung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG findet nämlich auf die besonderen Bestimmungen für junge Erwachsene in Abs. 2 der Vorschrift gerade keine Anwendung. Die in § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG katalogartig aufgezählten Voraussetzungen sind lediglich bei der in § 104 a Abs. 2 AufenthG zu treffenden Integrationsprognose zu berücksichtigen und angemessen zu gewichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - NVwZ 2009, 979 981>; OVG Lüneburg, Urteil vom 15. Juni 2010 - 8 LB 117/08 - juris). [...]