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VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 01.04.2011 - A 3 K 1758/09 - asyl.net: M18445
https://www.asyl.net/rsdb/M18445
Leitsatz:

Die türkische Reformpolitik hat nicht dazu geführt, asylrelevante staatliche Übergriffe in der Türkei auszuschließen. Vielmehr hat der Mentalitätswandel noch nicht alle Teile der Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Es ist noch nicht gelungen, Folter und Misshandlungen vollständig zu unterbinden, wobei eine der Hauptursachen für deren Fortbestehen in der nicht ausreichend effizienten Strafverfolgung liegen dürfte.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Widerrufsverfahren, Türkei, Kurden, unmenschliche Behandlung, Kosten, Erledigung der Hauptsache
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der angegriffene Widerrufsbescheid wäre als rechtswidrig aufzuheben gewesen.

Klagegegenstand des vorliegenden Verfahrens war der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2009, mit dem die hinsichtlich des Klägers mit Bescheid vom 19. Juni 1998 getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und ein Abschiebehindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen, widerrufen wurden. Weiterhin wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2-7 AufenthG nicht vorliegen.

Der Feststellung des Bundesamtes aus dem Juni 1998 lag ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. März 1998, Az. A 6 K 14641/97, zugrunde, mit dem entsprechende Verpflichtungen ausgesprochen wurden. Der kurdische Kläger müsse aufgrund seiner individuellen Vorgeschichte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, im Fall seiner Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. Er habe bereits vor seiner Ausreise im Blickfeld der Sicherheitsbehörden gestanden und sei nach seinen glaubhaften Angaben mehrfach wegen des Vorwurfs des Separatismus festgenommen und mehrere Tage inhaftiert worden.

Der im vorliegenden Verfahren streitgegenständliche Widerrufsbescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Verhältnisse in der Türkei zwischenzeitlich zum Positiven geändert hätten, so dass dem Kläger bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen mehr drohten.

Dieser Auffassung folgt die Kammer derzeit nicht. Wie andere Gerichte auch (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 5. November 2010, Az. 26 K 1914/10.A, Juris), wird davon ausgegangen, dass die türkische Reformpolitik nicht dazu geführt hat, asylrelevante staatliche Übergriffe in der Türkei auszuschließen. Vielmehr hat der Mentalitätswandel in der Türkei noch nicht alle Teile der Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Es ist es noch nicht gelungen, Folter und Misshandlungen vollständig zu unterbinden, wobei eine der Hauptursachen für deren Fortbestehen in der nicht ausreichend effizienten Strafverfolgung liegen dürfte. [...]