BlueSky

VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 30.03.2009 - VG 21 A 320.05 - asyl.net: M18482
https://www.asyl.net/rsdb/M18482
Leitsatz:

Durchsuchung der Person gemäß § 48 Abs. 3 AufenthG nur bei dokumentierter Ermessensausübung rechtmäßig.

Schlagwörter: Durchsuchung, Ausländerbehörde, Feststellungsklage, Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, tatsächliche Anhaltspunkte, Ermessen
Normen: AufenthG § 48 Abs. 3, VwGO § 43 Abs. 1, VwVfG § 40
Auszüge:

[...]

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die am 10. Juni 2005 in den Räumen der Ausländerbehörde Nöldnerstraße durchgeführte Durchsuchung seiner Person, seiner Geldbörse und seines Handys rechtswidrig war. [...]

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Antrag des Klägers ist gemäß § 43 Abs. 1 VwGO als Feststellungsklage statthaft. Nach dieser Vorschrift kann u.a. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das für sein Begehren, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung seiner Person, seiner Kleidung, seiner Geldbörse und seines Handys feststellen zu lassen, erforderliche Rechtsverhältnis ist wegen der Folgewirkung des Grundrechtseingriffs gegeben. Der Kläger hat auch ein ideelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung, welches sich aus dem Rehabilitationsinteresse bei typischerweise sich kurzfristig erledigenden tiefgreifenden spezifischen Grundrechtseingriffen und der Wiederholungsgefahr ergibt.

Die Durchsuchung des Klägers, seiner Kleidung, seiner Geldbörse und seines Handys - an den Angaben des Klägers, dass auch sein Handy durchsucht worden ist, hat die Kammer keinen Anlass zu Zweifeln - war rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die Durchsuchung ist § 48 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt: "Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden oder sonstigen Unterlagen, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Kommt der Ausländer seiner Verpflichtung nach Satz 1 nicht nach und bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass er im Besitz solcher Unterlagen ist, können er und die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden." Es kann dahinstehen, ob § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. überhaupt für das Herauslesen von Daten aus dem Handy des Klägers anwendbar ist, oder ob der Beklagte - wenn der Kläger durch das Lösen der Tastensperre seines Handys und seinen Erklärungen zu den einzelnen Telefonnummern der Maßnahme nicht zugestimmt haben sollte - für das Herauslesen der Daten zuvor einer richterlichen Anordnung entsprechend den Vorschriften der StPO bedurft hätte. Keiner Erklärung bedarf ferner die Frage, ob der Kläger konkret und hinreichend bestimmt aufgefordert worden war, Urkunden oder Unterlagen vorzulegen und ob das Tatbestandsmerkmal "der tatsächlichen Anhaltspunkte" im Sinne des § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur dann vorliegt, wenn aufgrund konkreter und benennbarer tatsächlicher Umstände jedenfalls die Möglichkeit bestand, bei der Durchsuchung identitätsbezogene Unterlagen zu erlangen, oder ob hierfür die bloße Vermutung aufgrund kriminalistischer Erfahrungssätze ausreichend ist. Denn der Beklagte hat seine in § 48 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgeschriebene Ermessensausübung im vorliegenden Fall, indem er eine einzelne Person einer Durchsuchung zuführte, nicht dargelegt. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob und ggf. in welcher Form er Ermessen ausgeübt hat, so dass ein Verstoß gegen § 40 VwVfG vorliegt. Dass der Beklagte sein Ermessen nicht (nachvollziehbar) ausgeübt hat, ergibt sich daraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Durchsuchung weder aus einem Protokoll über die Durchsuchung, einem Vermerk oder aus sonstigen Umständen erkennbar wird, dass der Beklagte das ihm zustehende Ermessen überhaupt erkannt hat. Da außer dem Vermerk vom 10. Juni 2005, der lediglich den Umstand, dass eine Durchsuchung durchgeführt wurde, dokumentiert, Unterlagen über die Durchsuchung des Klägers nicht existieren, ist nichts dafür erkennbar, dass der Beklagte sich gleichwohl Gedanken zur Ermessensausübung gemacht hat. Auch wenn der Umfang einer Ermessensbegründung von den Umständen des Einzelfalles abhängt, so muss doch der Umstand, dass überhaupt Ermessen ausgeübt worden ist, erkennbar werden (vgl. dazu BVerwG - 3 C 18.77 -, BVerwGE 57, 1 (6) - zitiert nach juris -). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Auch die Beklagtenvertreterin konnte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 30. März 2009 hierzu aufgrund fehlender Unterlagen keinerlei Erklärung abgeben. Der Schluss von der völlig fehlenden Begründung auf die Nichtausübung des Ermessens wäre nur dann nicht gerechtfertigt, wenn es einer Begründung ausnahmsweise nicht bedurft hätte. Dies ist hier nicht der Fall. Es sind von Seiten des Beklagten keine Gründe dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich sein Ermessen dahingehend reduziert hat, dass keine andere Entscheidung als die Durchsuchung des Klägers in Betracht kam. Danach fehlen Ermessenserwägungen des Beklagten, warum er die Durchsuchung des Klägers zur Erfüllung der in § 48 Abs. 3 AufenthG genannten Voraussetzung in Abwägung der dafür und dagegen sprechenden Umstände für erforderlich gehalten hat. Ob für den Fall, dass zeitgleich eine Vielzahl von Personen durchsucht werden, andere (geringere) Anforderungen an die Darlegung zur Ausübung des Ermessens zu stellen sind, kann für den vorliegenden Fall dahinstehen. [...]