OVG Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Brandenburg, Beschluss vom 28.03.2002 - 4 A 783/01.AZ - asyl.net: M1852
https://www.asyl.net/rsdb/M1852
Leitsatz:

Verletzung des rechtlichen Gehörs durch unvollständige Erkenntnismittelliste.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Äthiopien, Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Erkenntnismittel, Einführung in das Verfahren, Erkenntnismittelliste, Beweismittel, Präklusion
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1; VwGO § 87b Abs. 2
Auszüge:

 

Die Berufung ist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3. AsylVfG i.V.m. § 38 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht, wie der Kläger in seinem Zulassungsantrag hinreichend dargelegt hat, den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

Das Verwaltungsgericht ist zur Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. I GG, § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet, nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zu verwerten, die von einem Verfahrensbeteiligten oder von dem Gericht - im Einzelnen bezeichnet - zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 1995 - 2 BvR 611/95 -, NVwZ-Beilage Nr.7/95, S. 57 f; BVerfGE 70, 180, 189).

Gegen diesen Grundsatz hat das Verwaltungsgericht vorliegend verstoßen. Es hat zwar durch die gemeinsam mit der Ladung an die Verfahrensbeteiligten übersandte Liste von Erkenntnismitteln (die in der Überschrift die Angabe enthielt "Stand: 28. Februar 2001") die dort im Einzelnen bezeichneten Erkenntnismittel in das Verfahren eingeführt. Diese Liste enthielt allerdings - offensichtlich aufgrund eines unbemerkt gebliebenen Versehens - nur Erkenntnisse aus dem Jahr 1996. Das Verwaltungsgericht hat gleichwohl in dem angefochtenen Urteil eine Vielzahl von weiteren Erkenntnissen aus jüngeren Jahren verwertet, die nicht zuvor in das Verfahren eingeführt worden sind.

Das Urteil beruht auch auf dieser Verletzung (vgl. zu diesem Erfordernis etwa BVerfG, Beschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988/92 -, InfAuslR 1993, 300, 302; Beschluss des erkennenden Senats vom 9. Februar 2000 - 4 A 264/96.A -). Der Kläger hat hierzu im Zulassungsantrag unter hinreichender Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht zwar verwerteten, aber nicht eingeführten Erkenntnisquellen dargelegt, warum er in Würdigung dieser Erkenntnisquellen, insbesondere der Auskünfte von amnesty international und des Instituts für Afrikakunde, eine andere Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit und Rückkehrgefährdung für richtig hält.

Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs, also bei ordnungsgemäßer Einführung sämtlicher verwerteter Erkenntnisquellen in das Verfahren und der dadurch eröffneten Möglichkeit für den Kläger, hierzu rechtzeitig in dem nunmehr geschehenen Sinne Stellung zu nehmen, zu einer anderen, für den Kläger günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Dies genügt, um ein Beruhen der angefochtenen Entscheidung auf dem Gehörsverstoß zu bejahen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 1993, a. a. O.).

Der Kläger ist ferner seiner Obliegenheit nachgekommen, die nach Lage des Falles gegebenen prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sich das rechtliche Gehör im Verfahren zu verschaffen (vgl. zu dieser Obliegenheit etwa BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 1995, a. a. O.; Beschluss des erkennenden Senats vom 17. August 2000 - 4 A 168/00.A -).

Der Kläger hat hier in der mündlichen Verhandlung in dem dort gestellten Hilfsbeweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisliste nur Erkenntnisse aus dem Jahre 1996 enthalte, und hat aus diesem Grund in dem Hilfsbeweisantrag von sich aus die Einbeziehung jüngerer Erkenntnisquellen beantragt, was das Verwaltungsgericht abgelehnt hat. Dadurch ist er in jedem Fall seiner Obliegenheit, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu verhindern oder zu beseitigen, in ausreichendem Maße nachgekommen.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der Umstand, dass dem Kläger mit der Terminverfügung aufgegeben worden ist, gemäß § 87 b Abs. 2 VwGO binnen einer bestimmten Frist alle Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen, die er über seinen bisherigen Vortrag hinaus noch zur Begründung seiner Klage geltend machen wolle. Der Kläger war im Lichte vom Art. l03 Abs. 1 GG nicht etwa verpflichtet, innerhalb dieser vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist darauf hinzuweisen, dass die Erkenntnismittelliste nur Erkenntnisse aus dem Jahr 1996 beinhaltete. Die durch § 87 b VwGO eingeräumte Möglichkeit, den Kläger innerhalb einer bestimmten Frist mit ausschließender Wirkung zur Darlegung der klagebegründenden Tatsachen aufzufordern, bedeutet nicht zugleich, dass der Kläger innerhalb einer solchen vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist von sich aus auf mögliche, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs hinweisen müsste. Es ist Sache des - mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts - "vorleistungspflichtigen" Verwaltungsgerichts, die von ihm im Urteil verwerteten Erkenntnisse zuvor ordnungsgemäß in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einzuführen. Der Kläger ist insoweit nur gehalten, überhaupt darauf hinzuweisen, dass durch mögliche erkennbare Fehler des Gerichts Verletzungen des rechtlichen Gehörs drohen, um diese abzuwenden oder noch in der Instanz zu heilen. Diese Hinweispflicht ist nicht an nur die materiellen Klagegründe betreffende Ausschlussfristen, wie etwa nach § 87 b VwGO gebunden.

Es kommt insoweit vielmehr nur darauf an, dass der Kläger seiner Obliegenheit rechtzeitig, d. h. zu einem Zeitpunkt nachkommt, zu dem dem Gericht eine Korrektur der möglichen oder bereits eingetretenen Verletzung des rechtlichen, Gehörs noch möglich ist. Insoweit reicht in Fällen der vorliegenden Art - soweit man insoweit eine Hinweisobliegenheit des Klägers annimmt - ein Hinweis an die Kammer in der mündlichen Verhandlung aus.