VG Göttingen

Merkliste
Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 02.05.2011 - 1 A 127/09 - asyl.net: M18523
https://www.asyl.net/rsdb/M18523
Leitsatz:

Die Kosten des Privatgutachtens in Höhe von 1.882,20 EUR sind vom BAMF zu erstatten, da die Prozesssituation die Einholung des Gutachtens herausgefordert hatte. Die Aussagen des Klägers zu den traumatisierenden Ereignissen waren bereits in früheren Gerichtsverfahren als nicht glaubhaft angesehen worden. Zur Vermeidung einer Abweisung der Klage musste der Kläger versuchen, die Glaubhaftigkeit seiner ursprünglichen Aussagen und die dadurch verursachte PTBS nachzuweisen. Dies war nur durch ein fachpsychiatrisches Gutachten möglich.

Schlagwörter: Kostenerstattung, Parteigutachten, Sachverständigengutachten, Posttraumatische Belastungsstörung, Asylverfahren, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot
Normen: VwGO § 164, VwGO § 162 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Beteiligten streiten um die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten.

Der Kläger hatte mit seiner am 12.05.2009 erhobenen Klage die Verpflichtung der Beklagten begehrt, festzustellen, dass in seiner Person ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Zur Begründung beruft er sich auf eine posttraumatische Belastungsstörung.

Der Kläger hatte bereits ein Asyl- und Asylfolgeverfahren erfolglos betrieben. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig mit Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 28.08.1997 (11 L 6265/94) mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe seine Inhaftierungen und die damit zusammenhängenden Misshandlungen insgesamt nicht glaubhaft machen können. In wesentlichen Punkten sei sein Vortrag widersprüchlich und nicht plausibel. Im Asylfolgeverfahren ist auf diese Entscheidung Bezug genommen worden. Am 02.09.2004 beantragte der Kläger unter Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG. Mit Bescheid vom 24.04.2009 lehnte die Beklagte den Abänderungsantrag mit der Begründung ab, dass die ärztlichen Atteste nicht den Mindestanforderungen, die an ein eine PTBS feststellendes ärztliches Gutachten zu stellen sei[en], erfüllten. Es sei vor allem bereits in einem gerichtlichen Verfahren rechtskräftig festgestellt, dass ein Ereignis, das als politische Verfolgung eine psychische Störung herbeigeführt haben könnte, nicht vorgelegen habe.

Im laufenden Gerichtsverfahren legte der Kläger ein fachpsychiatrisches Gutachten von Prof. Dr. med. ... vor. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die früheren Angaben des Klägers zu seinen Inhaftierungen und Folterungen entgegen der Ansicht des Nds. Oberverwaltungsgerichts durchaus glaubwürdig waren und bei dem Kläger eine PTBS ausgelöst haben. Die Behandlung der Erkrankung des Klägers hat vorrangig durch eine Psychotherapie zu erfolgen, die mit einer psychopharmakologischen Behandlung kombiniert werden soll. Ohne eine solche Behandlung besteht die Gefahr einer Verschlechterung des Symptombildes sowie einer Chronifizierung. Außerdem besteht die Gefahr einer Zunahme selbstschädigender Impulse im Rahmen einer Verstärkung eines depressiven Syndroms und dem Risiko suizidaler Handlungen.

Mit Urteil vom 19.01.2011 gab der Einzelrichter der Klage statt und erlegte der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens auf. In der Begründung stützte sich der Richter im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof. Dr. med. ...

Am 01.03.2011 beantragte der Kläger die Kosten des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. med. ... in Höhe von 1.882,20 Euro gegen die Beklagte festzusetzen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.03.2011 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Kosten des Sachverständigengutachtens auf 1.882,20 Euro fest.

Am 29.03.2011 hat die Beklagte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung mit der Begründung eingelegt, bei dem Gutachten handele es sich um nicht erstattungsfähige Kosten des Verfahrens.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Kostenerinnerung der Beklagten nicht abgeholfen und die Sache am 07.04.2011 dem Einzelrichter zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II. Die nach den §§ 165, 151, 147-149 VwGO statthafte und zulässige Erinnerung der Beklagten ist unbegründet.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Gutachtenkosten zu Recht gegen die Beklagte festgesetzt. Gemäß § 164 VwGO setzt die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des ersten Rechtszuges auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Kosten für ein von einem Beteiligten eingeholten Privatgutachten sind allerdings nur ausnahmsweise erstattungsfähig. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 11.04.2001 - 9 KST 2.01 -, NVwZ 2001, 919, hierzu Folgendes ausgeführt:

"Aufwendungen für private, d.h. nicht vom Gericht bestellte Sachverständige, sind nach Abs. 1 dieser Vorschrift nur dann erstattungsfähig, wenn diese Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Auffassung der Kläger, sondern danach, wie eine verständige Partei, die bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage ihre Interessen wahrgenommen hätte (vgl. BVerwG, NJW 2000, 2832 = NVwZ 2000, 1169 L). Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dem gem. § 86 VwGO von der Untersuchungsmaxime beherrschten verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Amts wegen der Sachverhalt zu erforschen und der Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen ist. In diesen Verfahren sind daher zwangsläufig der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständige engere Grenzen gesetzt als dem von der Verhandlungsmaxime beherrschten Zivilprozess, so dass die dort entwickelten Grundsätze nicht ohne Weiteres zu übernehmen sind. Die Einholung eines Privatgutachtens durch eine Partei ist hiernach nur - ausnahmsweise - dann als notwendig anzuerkennen, wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe des eingeholten Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen. Außerdem ist der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen: Die Prozesssituation muss das Gutachten. herausfordern und dessen Inhalt muss auf die V rensförderung zugeschnitten sein (vgl. VGH München, NVwZ-RR 1997, 49 Mannheim, NVwZ-RR 1998, 691). "

Auch unter Anlegung dieses strengen Maßstabes waren die Aufwendungen des Klägers für die Gutachterleistungen vorliegend zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung ausnahmsweise notwendig. Die Prozesssituation hatte eine Einholung dieses Gutachtens herausgefordert und der Inhalt des Gutachtens war nach den konkreten Umständen auf die Verfahrensförderung zu geschnitten. Denn der Kläger lief eine erhebliche Gefahr, dass seine Klage auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses wegen einer PTBS unter Berufung auf die vorherigen Gerichtsentscheidungen in seinen Asylverfahren ohne Einholung eines gerichtlich veranlassten Gutachtens abgewiesen werden würde, weil die Aussagen des Klägers zu den traumatisierenden Ereignissen bereits in den früheren Gerichtsverfahren als nicht glaubhaft angesehen worden waren. So hatte die Beklagte auch in ihrem Ablehnungsbescheid argumentiert und sich im gerichtlichen Verfahren auf diese Begründung bezogen. Die Anordnung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens war aufgrund dieser Verfahrenssituation sehr unsicher. Um der drohenden Klageabweisung zu begegnen, musste der Kläger versuchen, die Glaubhaftigkeit seiner ursprünglichen Aussagen und die dadurch verursachte PTBS nachzuweisen. Dies war nur durch ein fachpsychiatrisches Gutachten möglich.

Dass das Gutachten das gerichtliche Verfahren gefördert hat, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede. [...]