VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 18.08.2010 - 9 A 217/09 MD - asyl.net: M18554
https://www.asyl.net/rsdb/M18554
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für minderjähriges krankes Kind. Aufgrund der Einreiseverweigerung für Staatenlose kann nicht von einer gemeinsamen Rückkehr des Kindes mit seinen staatenlosen Eltern ausgegangen werden. Das Kind wäre in Syrien in einem öffentlichen Waisenhaus unterzubringen, in welchem keine menschenwürdigen Bedingungen herrschen. Erst Recht wäre die erforderliche medizinische Behandlung nicht gewährleistet.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Syrien, minderjährig, extreme Gefahrenlage, Wiederaufnahme des Verfahrens, staatenlos, Kurden, Yeziden, medizinische Versorgung, Waisenhaus,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Bei der Prüfung, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, kann eine gemeinsame Rückkehr des Klägers mit seinen Eltern nicht unterstellt werden. Die Eltern des Klägers sind zur Überzeugung des Gerichts staatenlos und können daher nicht nach Syrien zurückkehren. Das Gericht hat die Eltern des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung zur ihrer Staatenlosigkeit angehört und ist aufgrund deren - glaubhaften - Angaben zu der Überzeugung gelangt, dass die Eltern des Klägers staatenlos sind. Der Vater des Klägers ist 1963 geboren, d.h. genau in der Zeit, in welcher der syrische Staat begonnen hat, Kurden die syrische Staatsangehörigkeit abzusprechen. Der Vortrag des Vaters, seine Eltern seien beide syrische Staatsangehörige gewesen, spricht daher nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Zudem vermochte er die Wirren der damaligen Zeit für seine Familie nachvollziehbar zu schildern. Die Mutter des Klägers wiederum schilderte, wo ihre Kinder zur Welt kamen und beide Eltern machten Angaben zu den Kosten der Geburten, d.h. sie mussten diese - anders als syrische Staatsangehörige - selbst bezahlten. Es kann aufgrund der Wiedereinreiseverweigerung für Staatenlose nicht von einer gemeinsamen Rückkehr des Klägers mit seinen Eltern ausgegangen werden. Nach den Angaben der Erziehungsberechtigten des Klägers befinden sich auch keine betreuungsbereiten Personen in Syrien. Auch diese Angaben sind glaubhaft, zumal es sich nach den Angaben der Erziehungsberechtigten des Klägers um Yeziden handelt, also einer Gruppe der Bevölkerung aus Syrien, die aufgrund ihrer Religion vermehrtem Ausreisedruck ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bei einer etwaigen Rückkehr nach Syrien in einem öffentlichen Waisenhaus unterzubringen wäre. In staatlichen Waisenhäusern existieren nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: Juli 2009) keine menschenwürdigen Bedingungen. Vor diesem Hintergrund ist erst recht nicht davon auszugehen, dass die für ein menschenwürdiges Leben erforderliche medizinische Behandlung gewährleistet sein wird. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien letztlich dahinvegetieren muss. Es wird nicht nur erblinden, sondern sein Rundrücken wird sich erheblich verstärken, was zu einer erheblichen Belastung der Organe des Klägers führen wird und letztlich mit ganz erheblichen Schmerzen einhergehen wird. Diese auf Angaben der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung beruhende Einschätzung entspricht auch den vom Gericht ermittelten medizinischen Erkenntnissen. Der Kläger wird [...]