LG Dresden

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Zitieren als:
LG Dresden, Beschluss vom 17.05.2011 - 2 T 372/11 - asyl.net: M18580
https://www.asyl.net/rsdb/M18580
Leitsatz:

Rechtswidrige Abschiebungshaft mangels getrennter Unterbringung des Betroffenen von gewöhnlichen Strafgefangenen innerhalb der Haftanstalt. Eine solche Trennung ist nach der Rückführungsrichtlinie seit Ablauf der Umsetzungsfrist am 24.12.2010 geboten (Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115/EG).

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Zurückschiebungshaft, Dublin II-VO, offensichtlich unbegründet, Verfahrenspfleger, Verhältnismäßigkeit, Beschleunigungsgebot, Unterbringung, Trennung,
Normen: FamFG § 422 Abs. 4, RL 2008/115/EG Art. 16 Abs. 1
Auszüge:

[...]

II. Die Beschwerde des Betroffenen hat Erfolg, soweit sie auf die Aufhebung der Sicherungshaft abzielt.

Denn jedenfalls ist der weitere Vollzug der Sicherungshaft nicht mehr verhältnismäßig. Angesichts des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen und im Hinblick auf Art. 5 Nr. 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung des Protokolls Nr. 11 ist es schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt geboten, die angeordnete Haft aufzuheben und damit nicht zuzuwarten, bis das Gericht die zur Verbescheidung des weitergehenden Antrages des Verfahrenspflegers zu prüfenden Gesichtspunkte gewürdigt hat.

Die weitere Fortdauer der Haft ist nicht verhältnismäßig, auch wenn ein milderes Mittel als die Freiheitsentziehung nicht geeignet ist, die Abschiebung des Betroffenen nach Rußland sicherzustellen.

§ 422 IV FamFG sieht den Vollzug der Abschiebehaft in Justizvollzugsanstalten ausdrücklich als Möglichkeit vor.

In der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates ist in Art. 16 I zur Abschiebehaft geregelt: "Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Hafteinrichtungen erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht."

Für den Fall der Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten wird die getrennte Unterbringung der in Abschiebehaft befindlichen Personen von gewöhnlichen Strafgefangenen nicht lediglich als Ziel- und als Soll-Bestimmung formuliert, sondern ohne Einschränkung vorgesehen.

Diese Richtlinie ist seit 24.12.2010 direkt anwendbares nationales (Bundes-)Recht der Bundesrepublik Deutschland, nachdem es Deutschland versäumt hat, die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie zu beachten.

Der Freistaat Sachsen hat spezielle Hafteinrichtungen i.S.d. Art. 16 I 1 der Richtlinie nicht geschaffen. Eine danach zumindest gebotene Unterbringung des Betroffenen getrennt von Strafgefangenen ist nicht erfolgt. Vielmehr war er bis zum 14.5.2011 gemeinsam mit einem Strafgefangenen in einer Zelle untergebracht. Zudem sind die Bereiche, in denen in der JVA Dresden Strafgefangene und Personen in Abschiebehaft untergebracht werden, räumlich nicht getrennt. Von einer Unterbringung getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen im Sinne der oben genannten Richtlinie kann deshalb auch für die Zeit am dem 14.5.2011 nicht gesprochen werden.

Nach der Stellungnahme des zuständigen Abteilungsleiters der Justizvollzugsanstalt Dresden, wonach eine Trennung von Strafgefangenen und Personen in Abschiebehaft faktisch nicht durchführbar erscheine, ist auch jedenfalls für die nähere Zukunft eine Beachtung der Richtlinie in Bezug auf den Betroffenen bei einem Vollzug der Abschiebehaft in Sachsen und insbesondere in der JVA Dresden nicht zu erwarten. Es erscheint deshalb auch nicht angemessen, den Betroffenen auf Rechtsmittel nach § 422 FamFG, 109 StVollzG zu verweisen, zumal es hier nicht um eine Einzelfallmaßnahme in Bezug auf den Betroffenen, sondern die generelle Organisation der Abschiebehaft geht. [...]