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SG Köln

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Zitieren als:
SG Köln, Urteil vom 13.12.2010 - S 35 AY 140/10 - asyl.net: M18599
https://www.asyl.net/rsdb/M18599
Leitsatz:

Zum Anspruch auf Analogleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG als Haushaltsvorstand.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Analogleistungen, Haushaltsvorstand, Duldung, Existenzminimum, Bedarfsgemeinschaft, Einsatzgemeinschaft
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1, AufenthG § 60a, AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 4, RSV § 3 Abs. 1, SGB II § 20, SGB II § 7 Abs. 3, SGB XII § 19 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Soweit die angefochtenen Bescheide lediglich Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG unter Berücksichtigung des Regelsatzes von 90 v.H. des Eckregelsatzes gewähren, sind sie für den im obigen Tenor genannten Zeitraum rechtswidrig und verletzten Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Klägerin hat vielmehr für den Zeitraum von August 2008 bis Ende Januar 2010, in dem ihr Ehemann nicht bei seiner Familie lebte, einen Anspruch auf Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes. [...]

Materiell-rechtlich findet zunächst für die nach § 60a AufenthG geduldete Klägerin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG dieses spezielle Leistungsgesetz Anwendung. Die Klägerin hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - wegen Erfüllung der Wartezeit auch einen Anspruch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auf die höheren Leistungen nach dem SGB XII in seiner analogen Anwendung; über - den Sozialhilfe für Ausländer regelnden - § 23 SGB Abs. 1 S. 1 SGB XII analog ist ihr demzufolge nach § 27 Abs. 1 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Anders als die Beklagte meint, steht der Klägerin aber für den Zeitraum von August 2008 bis Ende Januar 2010, in dem ihr Ehemann nicht bei seiner Familie lebte, der - volle - Regelsatz eines Haushaltsvorstandes zu.

Einzelheiten über Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze enthält die auf der Grundlage von § 40 SGB XII erlassenen Regelsatzverordnung (RSV) vom 03.06.2004. Danach sind die Regelsätze für den Haushaltsvorstand und für sonstige Angehörige festzusetzen, wobei der Regelsatz für den Haushaltsvorstand 100 v.H. des Eckregelsatzes beträgt und auch für Alleinstehende gilt (§ 3 Abs. 1 RSV). Die Regelsätze für sonstige Angehörige ab Beginn des 15. Lebensjahres betragen 80 v.H. des Eckregelsatzes.

Dass nach den eigenen Einlassungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung wohl ihre Schwiegermutter nach der früheren Abgrenzung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als Haushaltsvorstand für den streitgegenständlichen Zeitraum anzusehen ist, ist nach Ansicht der Kammer irrelevant. Denn unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R; zitiert nach juris) ist die Abgrenzung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen im SGB XII aus Gründen der gebotenen Gleichbehandlung in Anlehnung an die Regelung des SGB II vorzunehmen, da beide Sozialgesetzbücher eine identische sozialrechtliche Funktion - nämlich die Sicherstellung des Existenzminimums - haben. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Ersparnis und Kürzung der Regelleistung aber nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern geht in § 20 SGB II typisierend von prozentualen Abschlägen von der Regelleistung wegen Ersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft aus. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des BSG nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII davon auszugehen, dass bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des § 19 Abs. 1 SGB XII bilden. Vorliegend bildet die Klägerin allein mit ihren Kindern, nicht jedoch mit ihrer Schwiegermutter eine Einsatzgemeinschaft i.S.d. § 19 Abs. 1 SGB XII. Deshalb ist für die Klägerin von dem Regelsatz eines Haushaltsvorstandes auszugehen. Auf den Umstand, dass aufgrund des Zusammenlebens mehrerer Familienmitglieder im vorliegenden Einzelfall tatsächlich eine häusliche Ersparnis gegeben sein könnte, kommt es nach der Rechtsprechung des BSG gerade nicht mehr an. Das BSG hat seine Rechtsprechung aus dem Urteil vom 19.05.2009 zuletzt mit Urteil vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R; zitiert nach juris) wiederholt und bekräftigt. Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung ausdrücklich an (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteile vom 26.11.2009 - L 8 SO 169/07 - und 23.09.2010 - L 8 SO 58/08 -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.08.2009 - L 8 SO 10/08 -; jeweils zitiert nach juris). Soweit demgegenüber die Beklagte ihre Rechtsauffassung auf die vom BSG abweichenden Rechtsprechung des Sozialgerichts Augsburg im Urteil vom 16.09.2010 (S 15 S040/10, in: juris) zu stützen suchte, vermochte sie damit nicht durchzudringen; denn losgelöst davon, dass es sich bei dieser Entscheidung bereits nicht um obergerichtliche Rechtsprechung handelt, lässt sich hieraus nicht überzeugend herleiten, dass trotz fehlender (wesentlicher) Unterschiede zwischen den Leistungssystemen SGB II und SGB XII eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sein könnte.

Daran anknüpfend hindern hier - entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten - das besondere Konzept des AsylbLG tragende Gesichtspunkte nicht die Übertragung der vorgenannten zum Recht des SGB XII getroffenen Erwägungen des BSG auf Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG (so im Ergebnis auch LSG NRW, Beschluss vom 21.09.2010 - L 20 B 50/09 AY ER -; zitiert nach www.soziaigerichtsbarkeit.de). Zwar steht es im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, für Asylbewerber bzw. andere Ausländer - was mit dem AsylbLG geschehen ist - ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln, durch eine solche Ausweitung der BSG-Leitsätze würde aber gerade nicht das Ziel des Gesetzgebers bei der Schaffung des AsylbLG in Frage gestellt, den Anreiz zur Einreise von Ausländern aus wirtschaftlichen Gründen zu verringern. So handelt es sich bei den Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG um eine leistungsrechtliche Privilegierung (erst) bei längerer Aufenthaltsdauer von immerhin vier Jahren - wobei das Existenzminimum während dieser Zeit auf dem deutlich niedrigeren Niveau nach § 3 AsylbLG sichergestellt gewesen sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, a.a.O,) - und einer damit verbundenen Verfestigung des Aufenthaltsstatus. [...]