OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Urteil vom 10.05.2011 - 1 A 306/10; 1 A 307/10 - asyl.net: M18647
https://www.asyl.net/rsdb/M18647
Leitsatz:

1. Ein im Bundesgebiet geborener oder als Minderjähriger eingereister Ausländer genießt besonderen Ausweisungsschutz i.S.v. § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG, wenn er im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Dem tatsächlichen Besitz steht gleich, wenn die Ausländerbehörde ihm zu Unrecht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt hat.

2. Eine Straftat ist dann nach § 25 Abs. 3 S. 2 Buchst. b) AufenthG von erheblicher Bedeutung, wenn sie schwer i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Buchst. b) QualifikationsRL ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, besonderer Ausweisungsschutz, Verwurzelung, Straftat, Drogendelikt, zwingende Ausweisung, Verhältnismäßigkeit, Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, effektiver Rechtsschutz, Achtung des Privatlebens, Achtung des Familienlebens, Widerrufsverfahren, atypischer Ausnahmefall, Duldung, Unmöglichkeit der Ausreise, Zumutbarkeit, subsidiärer Schutz,
Normen: AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 25 Abs. 3 S. 2 Bst. b, RL 2004/83/EG Art. 17 Abs. 1 Bst. b, AufenthG § 25 Abs. 3, AufenthG § 53, EMRK Art. 8 Abs. 1, EMRK Art. 8 Abs. 2, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 25 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 25 Abs. 3 S. 2, RL 2004/83/EG Art. 17 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung der Beklagten bleibt erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Kläger ergangene Ausweisungsverfügung vom 12.04.2007 im Ergebnis zu Recht aufgehoben (I.). Die Berufung des Klägers ist demgegenüber erfolgreich. Der Kläger kann verlangen, dass ihm aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (II.).

I. Der Kläger, der den Tatbestand einer zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG verwirklicht hat (1.), genießt besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG (2.). Nach der im gegenwärtigen Zeitpunkt gegebenen Sachlage, auf die es zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ankommt (vgl. BVerwG, U. v. 15.11.2007 - 1 C 45/06 - BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156), fehlt es an einem schwerwiegenden Ausweisungsgrund (3.). Überdies fehlt es an einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung, die geboten ist, weil die Ausweisung in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift (4.). Die Ausweisung des Klägers kann somit keinen rechtlichen Bestand haben. Ob eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG, die in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift, in jedem Fall, unabhängig von der Erfüllung der Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 AufenthG, einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen ist, kann unter diesen Umständen dahinstehen (5.).

1. Der Kläger hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllt: Er ist gemäß § 53 Nr. 1 2. Alt. AufenthG wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen von zusammen mindestens drei Jahren verurteilt worden (Urteil des LG Bielefeld vom 23.09.2004: 2 Jahre 9 Monate; Urteil des AG Bremen vom 13.06.2006: 3 Monate). Er ist überdies gemäß § 53 Nr. 2 1. Alt. AufenthG wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Urteil des LG Bielefeld vom 23.09.2004).

2. Der Kläger genießt besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG.

Nach dieser Vorschrift steht einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderer Ausweisungsschutz zu. Der Kläger ist am 11.09.1995 als 16-jähriger, also als Minderjähriger, nach Deutschland eingereist. Er hat sich mehr als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten: Er war vom 20.07.1999 bis zum 03.02.2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, zuletzt nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Davor war er im Besitz einer asylrechtlichen Aufenthaltsgestattung.

Allerdings ist der Kläger seit dem 04.02.2007 nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Fortbestehensfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG, die durch den - rechtzeitig gestellten - Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgelöst worden war, dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gleichzustellen ist, vermag das Oberverwaltungsgericht nicht zu folgen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist inzwischen geklärt, dass die Fortbestehensfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG ebenso wie früher die Fiktion nach § 69 Abs. 3 AuslG dem Aufenthalt nur einen vorläufig erlaubten Charakter bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde verleiht, die Vorschrift also lediglich verfahrensrechtlicher Natur ist (BVerwG, U. v. 30.03.2010 - 1 C 6/09 - BVerw-GE 136, 211 = InfAuslR 2010, 343). Im Übrigen wäre, selbst wenn man dem Verwaltungsgericht folgen würde, die Fortbestehensfiktion mit dem Bescheid vom 12.04.2007 entfallen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt, auf den es zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ankommt, greift diese Fiktion nicht mehr.

Der Nichtbesitz einer Aufenthaltserlaubnis ist im Rahmen des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG indes unschädlich, wenn die Ausländerbehörde auf einen - rechtzeitig gestellten - Verlängerungsantrag die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Unrecht versagt hat. Der Ausländer ist in diesem Fall aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes so zu stellen, als hätte die Behörde von Anfang an rechtmäßig gehandelt (vgl. BVerwG, U. v. 30.03.2010, a.a.O.). Anderenfalls würde auch der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG unzulässig verkürzt: Der befristete Aufenthaltstitel, an dessen Besitz diese Vorschrift anknüpft, wird im Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts nicht selten abgelaufen sein. Allein dies kann aber, sofern ein Verlängerungsanspruch besteht, nicht zum Wegfall des besonderen Ausweisungsschutzes führen. Ob dieser Schutz gegeben ist, bestimmt sich dann nach der materiellen Rechtslage.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu. Auf die Ausführungen unter II. dieses Urteils wird Bezug genommen. Aus diesem Grund erfüllt er die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG.

3. Ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, darf gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Im Falle des Klägers sind derzeit solche Gründe nicht gegeben, so dass die Ausweisungsverfügung keinen Bestand haben kann.

Ob ein schwerwiegender Ausweisungsgrund i.S.v. § 56 Abs. 1 S. 2 AufenthG vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die voll gerichtlich überprüfbar ist (BVerwG, U. v. 11.06.1996 - 1 C 24/94 - BVerwGE 101, 247 = InfAuslR 1997, 8 zu § 48 Abs. 1 AuslG). Nach § 56 Abs. 1 S. 3 AufenthG sind schwerwiegende Ausweisungsgründe in der Regel in den Fällen des § 53 AufenthG gegeben. Diese gesetzliche Vermutung beinhaltet allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung des jeweiligen Einzelfalls, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass nach § 53 AufenthG als weniger gewichtig erscheinen lassen.

(1) Bei spezialpräventiv begründeten Ausweisungen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (BVerwG, U. v. 31.08.2004 - 1 C 25/03 - NVwZ 2005, 229 = InfAuslR 2005, 49 unter Bezugnahme auf U. v. 11.06.1996, a.a.O.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lässt es nicht zu, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen; erforderlich ist stets eine konkrete Würdigung der Tatumstände und der sich aus den Taten ergebenden Gefahren für Dritte (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946 = InfAuslR 2007, 275).

Nach diesem Maßstab kann nicht angenommen werden, dass vom Kläger gegenwärtig eine ernsthafte Gefahr für ein bedeutsames Schutzgut ausgeht.

Dabei steht außer Frage, dass das Betäubungsmitteldelikt, dessenwegen er am 23.09.2004 vom Landgericht Bielefeld - unter Einbeziehung einer vorangegangenen Freiheitsstrafe - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden ist, einen gewichtigen Rechtsverstoß darstellt. Der Kläger hatte immerhin 250 g Kokain erworben, um dies gewinnbringend zu verkaufen. Die Menge des erworbenen Kokains weist darauf hin, dass er Kontakt zum organisierten Rauschhandel aufgenommen hatte. Andererseits kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Straftat Ende 2000/Anfang 2001, also vor über 10 Jahren, begangen wurde. Zu einem vergleichbaren Verstoß ist es in den nachfolgenden Jahren nicht mehr gekommen. Allerdings muss festgehalten werden, dass die Straftat seinerzeit im Zusammenhang mit der eigenen Drogensucht des Klägers stand; sie diente dazu, die Drogensucht zu finanzieren. Das gilt auch für den am 14.02.2005 begangenen Autoaufbruch, dessenwegen das Amtsgericht Bremen ihn mit Urteil vom 13.03.2006 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilte. In diesem Urteil wird der Kläger als zum Tatzeitpunkt schwer drogenabhängig bezeichnet. Auch wenn, wie die von der Strafvollstreckungskammer zur Gutachterin bestellte Frau Dr. K. bei ihrer Anhörung am 12.09.2008 erklärt hat, der Kläger "für einen schwer Drogenabhängigen ein sehr kleines Vorstrafenregister" aufweise, ändert dies nichts daran, dass man eine Wiederholungsgefahr erst dann verlässlich wird ausschließen können, wenn er seine Drogenabhängigkeit überwunden hat.

Das setzt voraus, dass der Kläger sich, wie die Gutachterin Dr. K. in ihrem schriftlichen Gutachten vom 17.04.2008 im Einzelnen dargelegt hat, aufrichtig und selbstkritisch seiner Sucht stellt, er die unbedingte Abstinenz von jeglichem Heroinkonsum ausreichend verinnerlicht und er seine Persönlichkeitsstruktur, die bislang von Selbstunsicherheit gekennzeichnet ist, festigt. Ob es dem Kläger gelingen wird, diese Voraussetzungen nachhaltig zu erfüllen, lässt sich zurzeit noch nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten. Es gibt jedoch deutliche Anzeichen dafür, dass der Kläger sich in einem Prozess der persönlichen Stabilisierung befindet, der in einer dauerhaften Überwindung der Drogenabhängigkeit münden könnte. Er hat sich vom 21.04.2009 bis zum 21.10.2009 einer ambulanten Suchttherapie in der Therapieeinrichtung STEPS in Bremen unterzogen, die er auch regulär beendet hat (vgl. die Bescheinigung vom 30.11.2009). In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Kläger näher Art und Ablauf der Therapie geschildert. Er hat nach seiner Entlassung aus der Strafhaft einen Gabelstaplerschein erworben und Anstrengungen unternommen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Dazu hat die Bewährungshelferin in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Oberverwaltungsgericht vom 27.04.2011 nachvollziehbar erklärt, dass der ungeklärte aufenthaltsrechtliche Status des Klägers die Bemühungen um eine wirtschaftliche Integration erheblich behindert hat. Weiterhin hat der Kläger hier ein stabiles privates Umfeld vorgefunden. Die Eltern sowie die Lebensgefährtin sehen seine Gefährdung und stützen ihn. Auf die maßgebliche Bedeutung eines solchen persönlichen Umfelds hat Frau Dr. K. sowohl in ihrem schriftlichen Gutachten vom 17.04.2008 als auch bei ihrer Anhörung am 12.09.2008 hingewiesen.

Es ist indes nicht zu übersehen, dass dem Kläger die Abgrenzung von Bekannten, die sich weiterhin in der Drogenszene bewegen, anscheinend noch nicht hinreichend gelungen ist. Das zeigen die zwischen Oktober 2009 und November 2010 gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Zumindest die Vorfälle vom 15.10.2009 und vom 01.08.2010 weisen, auch wenn die eingeleiteten Ermittlungsverfahren jeweils nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind, darauf hin, dass der Kläger noch nicht die gebotene Distanz zu diesen Bekannten gewonnen hat. Eine solche Abgrenzung könnte nicht unerheblich zu seiner Stabilisierung beitragen. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Sachverhalt mit dem Kläger in der mündlichen Verhandlung erörtert und den Eindruck gewonnen, dass er dies ebenso sieht und den ernsthaften Willen hat, auch in dieser Hinsicht einen Neuanfang zu beginnen.

Insgesamt lassen sich bei zusammenfassender Betrachtung ausreichend Anhaltspunkte dafür feststellen, dass es dem Kläger gelingen wird, seine Persönlichkeit weiterhin zu festigen und sich beruflich und sozial zu integrieren. Von einer ernsthaften Gefahr erneuter gravierender Straftaten kann im gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls nicht ausgegangen werden.

(2) Ein Ausweisungsgrund kann darüber hinaus auch in generalpräventiver Hinsicht schwerwiegend sein. Eine Ausweisung aus Gründen der Generalprävention ist bei Ausländern, die einen besonderen Ausweisungsschutz genießen, aber nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, B. v. 16.08.1995 - 1 B 43/95 - InfAuslR 1995, 404; U. v. 31.08.2004, a.a.O.). Der besondere Ausweisungsschutz gebietet es dabei, die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen sorgfältig zu ermitteln (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007, 443).

Greift die Ausweisung in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK ein, d. h. ist das Recht auf Achtung des Familienlebens oder des Privatlebens berührt, scheidet die Generalprävention sogar generell als Ausweisungszweck aus. Das ergibt sich aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der EGMR bezieht im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung stets die von dem Ausländer ausgehende Rückfallgefahr bzw. sein Verhalten nach der Straftat in die Prüfung ein (vgl. U. v. 12.10.2010 - 47486/06 [Khan] - InfAuslR 2010, 369; U. v. 25.03.2010 - 40601/05 [Mutlag] - InfAuslR 2010, 325). Für eine allein auf die Generalprävention gestützte Ausweisung ist nach der Rechtsprechung des EGMR, soweit die Maßnahme in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift, kein Raum (vgl. OVG Bremen, U. v. 25.04.2004 - 1 A 303/03 - InfAuslR 2004, 328; U. v. 06.11.2007 - 1 A 82/07 - InfAuslR 2008, 163; U. v. 23.06.2010 - 1 A 416/07 - jeweils m.w.N.).

So liegt es hier. Die Ausweisung des Klägers greift in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK ein, nämlich in sein Recht auf Achtung des Privatlebens. Überdies spricht einiges dafür, dass nach den konkreten Umständen des Falles auch das Recht auf Achtung des Familienlebens berührt ist. Auf die nachfolgenden Ausführungen unter I.4 wird Bezug genommen. Die Generalprävention scheidet damit als Ausweisungszweck aus.

Unabhängig davon fehlte es auch an dem in § 56 Abs. 1 S. 2 und 3 AufenthG geforderten schwerwiegenden generalpräventiven Ausweisungsgrund. Dagegen spricht schon der Zeitraum, der seit dem vom Landgericht Bielefeld am 23.09.2004 abgeurteilten Betäubungsmitteldelikt verstrichen ist, nämlich über 10 Jahre. Darüber hinaus weist der Sachverhalt besondere Umstände auf, die im gegenwärtigen Zeitpunkt die Annahme eines schwerwiegenden generalpräventiven Ausweisungsgrundes verbieten. Die Straftat war seinerzeit maßgeblich auf die eigene Drogensucht des Klägers zurückzuführen. Insoweit liegen aber, wie dargelegt, deutliche Hinweise dafür vor, dass der Kläger dabei ist, seine Drogenabhängigkeit zu überwinden. Das Gewicht des generalpräventiven Anlasses ist unter diesen Umständen deutlich gemindert.

4. Schließlich könnte die Ausweisungsverfügung selbst bei Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes keinen rechtlichen Bestand haben, weil es an der gebotenen Ermessensentscheidung fehlt.

Die Ausweisung eines Ausländers, der besonderen Ausweisungsschutz genießt und der die Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllt, ist gemäß § 56 Abs. 1 S. 4 AufenthG von der Muss-Ausweisung zur Regelausweisung herabgestuft. Regelausweisung bedeutet, dass die Ausländerbehörde in der Regel zur Ausweisung verpflichtet ist. Nur ausnahmsweise, d. h. bei Vorliegen besonders gelagerter atypischer Sachverhalte, kann von der Ausweisung abgesehen werden; die Ausweisung steht dann im Ermessen der Behörde (vgl. BVerwG, U. v. 16.11.1999 - 1 C 11/99 - NVwZ-RR 2000, 320 = InfAuslR 2000, 105). Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine Ausnahmeausfall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vor, wenn durch die Vorschriften der EMRK geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (BVerwG, U. v. 23.10.2007 - 1 C 10/07 - BVerwGE 129, 367 = InfAuslR 2008, 116).

(1) Die Ausweisung des Klägers greift in sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Dieses Recht umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für die Persönlichkeit eines jeden Menschen konstitutiv sind. Es ist berührt bei Ausländern, die in dem Aufnahmestaat geboren und aufgewachsen sind, dort also ihre maßgebliche Prägung erfahren haben (vgl. EGMR, U. v. 23.06.2008 - 1638/03 [Maslov] - InfAuslR 2008, 333; U. v. 12.01.2010 - 47486/06 [Khan], a.a.O.). Ein schutzwürdiges Privatleben kann aber auch gegeben sein, wenn der Betreffende als Volljähriger in den Aufnahmestaat zugewandert ist und sich dort seit längerem aufhält (EGMR, U. v. 24.11.2009 - 182/08 [Omojudi] - InfAuslR 2010, 178).

Der Kläger ist 1995 als 16-jähriger nach Deutschland eingereist und lebt inzwischen seit knapp 16 Jahren hier. Verbindungen zu Afghanistan hat er keine mehr. Der Kläger hat dazu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht glaubhaft dargelegt, dass seit seiner Einschulung in Taschkent, also in der damaligen Sowjetrepublik Usbekistan, die sprachliche Verbindung zu Afghanistan praktisch verloren gegangen sei. In dem Internat sei allein russisch gesprochen und geschrieben worden. Er beherrsche keine der afghanischen Landessprachen und erst recht nicht die Schriftsprache. Er würde sich dort in der Situation eines Analphabeten befinden. Bis auf einen kurzen Zwischenaufenthalt im Jahre 1995 habe er sich seit seiner Einschulung nicht mehr in Afghanistan aufgehalten. Persönliche und gesellschaftliche Beziehung hat der Kläger inzwischen ausschließlich in Deutschland. Dass seine soziale Integration - wegen der Straftaten und der Drogenabhängigkeit - bislang nur eingeschränkt und die berufliche Integration noch gar nicht gelungen ist, ändert nichts daran, dass die Summe der für seine Persönlichkeit maßgeblichen Beziehungen in Deutschland begründet liegt.

(2) Überdies spricht einiges dafür, dass eine Ausweisung auch sein Recht auf Achtung des Familienlebens berührt. Zwar wird man die Trennung eines 32 Jahre alten Erwachsenen von seinen Eltern grundsätzlich nicht mehr als Eingriff in das Familienleben betrachten können. Eine andere Beurteilung kann nur dann geboten sein, wenn der volljährige Ausländer aufgrund besonderer Umstände auf die Hilfe und Unterstützung seiner Familie angewiesen ist (vgl. EGMR, U. v. 13.05.1995 - 18/1194/465/564 [Nasri] - InfAuslR 1996, 1). Im Falle des Klägers leistet die Familie derzeit ersichtlich eine maßgebliche Unterstützung, um die Drogenabhängigkeit zu überwinden. Auf die Bedeutung, die das familiäre Umfeld in diesem Zusammenhang besitzt, hat bereits die von der trafvollstreckungskammer beauftragte Gutachterin Dr. K. hingewiesen, und der Kläger hat diesen Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK besagt noch nicht - das ist zur Klarstellung hervorzuheben -, dass die Ausweisung von vornherein unzulässig wäre. Der Eingriff führt vielmehr dazu, dass über die Ausweisung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgrund einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Falles zu entscheiden ist. Hierfür bietet die Ermessensentscheidung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen geeigneten Entscheidungsmodus. Eine solche Ermessensentscheidung ist im Bescheid vom 12.04.2007 nicht getroffen worden. Die Beklagte hat es auch im weiteren Verfahren abgelehnt, eine solche Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. Schriftsatz vom 09.04.2009).

5. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass eine zwingende Ausweisung, die in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift, in jedem Fall einer ergänzenden Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Maßgabe des Schrankenvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 EMRK zu unterziehen ist, und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 AufenthG für einen besonderen Ausweisungsschutz nicht erfüllt sind (OVG Hamburg, U. v. 24.03.2009 - 3 Bf. 166/04 - InfAuslR 2009, 279; OVG Münster, B. v. 26.05.2009 - 18 E 1230/08 - NWVBl 2009, 435; OVG Koblenz, U. v. 04.12.2009 - 7 A 10881/09 - InfAuslR 2010, 144 und U. v. 30.07.2010 - 7 A 11230/09 - juris). Im Falle des Klägers sind gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG die Voraussetzungen für den besonderen Ausweisungsschutz erfüllt; dieser führt dazu, dass die Ausweisungsverfügung keinen rechtlichen Bestand haben kann. Aus diesem Grund kann die Frage, ob die überwiegend vertretene Ansicht sich noch im Rahmen einer methodengerechten Auslegung bewegt - die die Grenze für die Inkorporierung der EMRK in das nationale Recht bildet (BVerfG, B. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 [317/329] = NJW 2004, 3407 [3408/3411]) - hier dahinstehen.

II.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Es besteht kein Grund, von der Soll-Regelung, die § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG enthält, abzuweichen (1). Die Erteilung scheitert auch nicht an der Ausschlussregelung des § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG (2).

1. Gemäß § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 oder Abs. 7 vorliegt. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen dieser Vorschrift.

Die Soll-Vorschrift des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG besagt, dass einem Ausländer regelmäßig eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn das Bundesamt die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots festgestellt hat. Dabei ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gebunden. Nur in atypischen Fällen steht die Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise in ihrem Ermessen. Ein solcher atypischer Fall kann gegeben sein, wenn das Bundesamt wegen des ursprünglichen Feststellungsbescheids ein Widerrufsverfahren eingeleitet hat. § 25 Abs. 3 AufenthG will gewährleisten, dass Ausländer, die wegen eines vom Bundesamt förmlich festgestellten Abschiebungsverbots auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden oder in einen anderen Staat ausreisen können, zur Vermeidung von Kettenduldungen regelmäßig eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, durch die ihr Aufenthalt legalisiert wird. Treten Umstände ein, die Anlass für eine Beendigung des Aufenthalts geben können, entspricht es nicht dem Zweck des Gesetzes, den Aufenthalt des Ausländers durch die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu verfestigen. Hat das Bundesamt ein Verfahren auf Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots eingeleitet, kann eine Beendigung des Aufenthalts in Betracht kommen. In einer solchen Konstellation kann ein atypischer Fall i.S.d. § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG gegeben sein. Das bedeutet nicht, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausscheidet. Die Entscheidung steht dann vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde (BVerwG, U. v. 22.11.2005 - 1 C 18/04 - BVerwGE 124, 326 = InfAuslR 2006, 272).

Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 26.07.2007 den Bescheid vom 09.04.1997, mit dem für den Kläger hinsichtlich Afghanistans ein Abschiebungshindernis i.S.v. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG festgestellt worden war, widerrufen. Das Widerrufsverfahren ist noch nicht abgeschlossen; über die im August 2007 beim Verwaltungsgericht erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Der Widerrufsbescheid ist zwar erst nach Erlass der ausländerbehördlichen Verfügung vom 12.04.2007 ergangen, mit dem die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde. Für das vorliegende Verwaltungsstreitverfahren, in dem die Sach- und Rechtslage im gegenwärtigen Zeitpunkt maßgeblich ist, ist dieses Widerrufsverfahren zu berücksichtigen. Es führt aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles vorliegend indes nicht dazu, dass die Soll-Regelung des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG nicht zur Anwendung kommen würde und der Kläger lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des behördlichen Ermessens hätte.

Die Annahme eines atypischen Falles bei laufendem Widerrufsverfahren beruht auf der Überlegung, dass aufgrund dieses Verfahrens eine Beendigung des Aufenthalts, d. h. eine Rückkehr des Betreffenden in den Abschiebezielstaat, ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Eine etwaige Aufenthaltsbeendigung würde erschwert, würde dem Betreffenden in dieser Situation die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wodurch sich sein Aufenthalt weiter verfestigen würde (BVerwG, U. v. 22.11.2005, a.a.O.). Diese Überlegung greift indes im Falle des Klägers nicht durch. Der jetzt 32 Jahre alte Kläger, der sich seit 16 Jahren in Deutschland aufhält und der Afghanistan vor 26 Jahren verlassen hat, ist den dortigen Verhältnissen entwurzelt. Dies ist oben näher dargelegt worden (I. 4.). Diese Entwurzelung stellt, unabhängig von dem Fortbestehen einer Gefahrenlage nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, einen eigenen aufenthaltsrechtlich relevanten Sachverhalt dar. Ob dem Kläger danach ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK zusteht, mag an dieser Stelle dahinstehen (vgl. dazu BVerfG, B. v. 21.02.2011 - 2 BvR 1392/10 - juris; BVerwG, B. v. 19.01.2010 - 1 B 25/09 - NVwZ 2010, 707; U. v. 26.10.2010 - 1 C 18/09 - juris). In jedem Fall begründet die Entwurzelung eine Sondersituation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Widerrufsverfahren nicht ohne Weiteres als Vorbereitung für eine Aufenthaltsbeendigung betrachtet werden kann. Die maßgebliche Überlegung, die die Herabstufung zu einer Ermessensentscheidung rechtfertigt, entfällt damit. Es besteht kein Grund, von der Regel-Rechtsfolge des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG ausnahmsweise abzuweichen.

Selbst im Falle einer Herabstufung zur Ermessensentscheidung spräche im Übrigen einiges dafür, dass die Beklagte ihr Ermessen aus den vorstehenden Gesichtspunkten rechtmäßig nur durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG ausüben könnte. Die Kettenduldungen, die der Kläger seit April 2007 erhält, werden jedenfalls kaum dem Zweck von § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG sowie den besonderen Umständen, die in seinem Fall gegeben sind, gerecht.

2. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG entgegen.

Gemäß § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist, der Ausländer wiederholt und gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt oder schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,

b) eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,

c) sich Handlungen zu Schulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinigten Nationen, wie sie in der Präambel und den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwider laufen, oder

d) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

Dass dem Kläger die Ausreise in einen anderen Staat möglich oder zumutbar wäre, ist nicht erkennbar. Die Beklagte hat hierfür jedenfalls nichts vorgetragen.

Es kann ebenfalls nicht angenommen werden, dass einer der unter Buchstabe a) bis d) genannten Ausschlussgründe erfüllt ist.

Der Kläger hat keine Straftat von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 25 Abs. 3 S. 2 Buchst. b) AufenthG begangen. Für die Auslegung des Begriffs der Straftat von erheblicher Bedeutung ist zu berücksichtigen,dass mit § 25 Abs. 3 S. 2 Buchst. a) bis d) AufenthG die Ausschlusstatbestände des Art. 17 Abs. 1 QualifikationsRL (Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004) in das deutsche Recht umgesetzt werden sollten. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministers des Inneren vom 26.10.2009 (GMBl 2009, S. 878) - VV-AufenthG - weist ausdrücklich darauf hin (vgl. Ziff. 25.3.7.1; 25.3.8). Ob die gewählte Umsetzung systematisch zwingend war, mag fraglich sein. Bei Art. 17 QualifikationsRL geht es um den Ausschluss vom subsidiären Schutzstatus - und das bedeutet den Ausschluss vom Abschiebungsschutz. § 25 Abs. 3 AufenthG regelt demgegenüber den Aufenthaltstitel nach Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus - hat also mit Abschiebungsschutz direkt nichts zu tun, sondern betrifft die Frage der Verfestigung des Aufenthalts. Das nationale Recht sieht damit vor, dass die unionsrechtlichen Kriterien für einen Ausschluss vom Schutzstatus auf der Ebene des Aufenthaltstitels rechtlich relevant werden. Das ändert aber nichts daran, dass mit dieser Regelung, die auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden ist (vgl. BT-Drs. 15/3479, S. 5), auf Art. 17 Abs. 1 QualifikationsRL inhaltlich Bezug genommen werden soll.

§ 25 Abs. 3 S. 2 Buchst. a), c) und d) AufenthG sind praktisch mit Art. 17 Abs. 1 Buchst. a), c) und d) der Richtlinie wortgleich. Unter Buchst. b) heißt es im Aufenthaltsgesetz "Straftaten von erheblicher Bedeutung", während die QualifikationsRL von "schweren Straftaten" spricht ("serious crimes", vgl. dazu Hailbronner (Editor), EU Immigration and Asylum Law - Commentary -, 2010, S. 1157). Dass damit - im Unterschied zu den Buchstaben a), c) und d) - die rechtlichen Anforderungen gegenüber der unionsrechtlichen Vorgabe abgesenkt werden sollten, ist nicht erkennbar (Dienelt in: Renner, Ausländerrecht, 2011, § 25 Rn. 50). Die Absicht des Gesetzgebers, mit § 25 Abs. 3 S. 2 Buchstabe a) bis d) AufenthG die Ausschlussgründe des Art. 17 Abs. 1 QualifikationsRL umzusetzen, spricht gegen eine solche Unterscheidung. Das Aufenthaltsgesetz weicht insofern lediglich redaktionell von der Richtlinie ab (Hailbronner, Ausländerrecht, § 25 Rn. 69 - Stand Februar 2008). Eine Straftat ist deshalb von erheblicher Bedeutung, wenn sie schwer i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Buchstabe b) QualifikationsRL ist, wobei die Einstufung als Verbrechen für sich allein noch nicht ausreicht, um diese Voraussetzung zu erfüllen (Hailbronner (Editor), a.a.O., S. 1158). Sie muss im Ergebnis den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit berühren (vgl. VGH Mannheim, U. v. 22.07.2009 - 11 S 1622/07 - juris). Der VV-AufenthG ist darin zu folgen, dass Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag, daneben aber auch Raub und Kindesmissbrauch, Entführung, schwere Körperverletzung und Drogenhandel unter den Ausschlusstatbestand fallen. Allerdings kann dabei der in den Strafvorschriften jeweils enthaltene Strafrahmen nicht unberücksichtigt bleiben. Ist dieser weit und schöpft der Strafrichter ihn aufgrund der konkreten Umstände des Falles nur in geringem Umfang aus, kann nicht von einer schweren Straftat ausgegangen werden.

Nach diesem Maßstab kann die Straftat, die zur Verurteilung durch das Landgericht Bielefeld vom 23.09.2004 geführt hat, nicht als erhebliche Straftat i.S.v. § 25 Abs. 3 S. 2 Buchst. b) AufenthG betrachtet werden. Das Strafgericht hat seinerzeit den Strafrahmen (1 Jahr bis 15 Jahre) bei weitem nicht ausgeschöpft. Es hat für die Ende 2000/Anfang 2001 begangene Straftat eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten angesetzt, das Strafmaß von insgesamt 2 Jahren und 9 Monaten ist durch Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe zustande gekommen. Das Gericht hat seinerzeit die Art des Delikts - Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge Kokain - als belastenden Gesichtspunkt gewürdigt, hat andererseits aber auch aufgrund der konkreten Tatumstände sowie des nachfolgenden Verhaltens verschiedene Faktoren zugunsten des Klägers berücksichtigt. Nach der strafrichterlichen Würdigung, von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, kann die Straftat nicht als schwer im Sinne der Qualifikationsrichtlinie betrachtet werden.

Weiterhin kann auch nicht angenommen werden, dass gemäß § 25 Abs. 3 S. 2 Buchst. d) AufenthG schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Dass vom Kläger derzeit die ernsthafte Gefahr einer erneuten Verstrickung in den Rauschgifthandel ausgeht, kann nicht angenommen werden. Auf die Ausführungen unter I. 3. wird Bezug genommen. [...]