OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 30.05.2011 - 2 B 241/11 - asyl.net: M18648
https://www.asyl.net/rsdb/M18648
Leitsatz:

Zur ehelichen Lebensgemeinschaft bei räumlicher Trennung wegen beruflich bedingten längeren Auslandsaufenthalts.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Ehegattennachzug, deutscher Ehegatte, vorläufiger Rechtsschutz, Suspensiveffekt, Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, Erlaubnisfiktion, Erlöschen, gewöhnlicher Aufenthalt, Sachaufklärungspflicht, eheliche Lebensgemeinschaft,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 84 Abs. 4, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7, GG Art. 6 Abs. 1, AufenthG § 27 Abs. 1, AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung des Antragsgegners vom 17.2.2011 und damit auch der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis im Hauptsacheverfahren (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) wirft vor allem in tatsächlicher, aber auch in rechtlicher Hinsicht mit den Erkenntnismöglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens(vgl. hierzu etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 27.8.2010 – 2 B 235/10 –, SKZ 2011, 37, Leitsatz Nr. 1, und vom 15.1.2009 – 2 B 376/08 –, SKZ 2009, 240, Leitsatz Nr. 31, wonach für eine Beweisaufnahme im Rahmen des Aussetzungsverfahrens auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Effektivitätsgebot (Art. 19 Abs. 4 GG) in aller Regel kein Raum ist) nicht abschließend zu beantwortende Fragen auf. Im Rahmen der vor dem Hintergrund gebotenen "hauptsacheoffenen" Abwägung ist den Interessen der Antragstellerin an einer zumindest vorläufigen Hinnahme ihres weiteren Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland der Vorrang einzuräumen gegenüber auf eine sofortige Beendigung desselben vor Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens in der Hauptsache gerichteten öffentlichen Belangen.

Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand spricht einiges dafür, dass der Antragstellerin – weiterhin – ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter dem Gesichtspunkt des "Familiennachzugs" zu Deutschen zusteht. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist dem ausländischen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Das Verwaltungsgericht hat dahinstehen lassen, ob der "gewöhnliche Aufenthalt" des Ehemanns der Antragstellerin im Inland aufgrund seines beruflich bedingten Auslandsaufenthalts aufgehoben worden ist oder nicht. Insofern ist einerseits eine bloße Wohnadresse im Inland nicht ausreichend. Andererseits ist der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" aber nicht gleichbedeutend mit dem "Wohnsitz" im Verständnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).(vgl. etwa Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, § 28 Rn 15) Er erfordert in Fällen eines sich über längere Zeiträume erstreckenden beruflich bedingten Aufenthalts im Ausland eine einzelfallbezogene Bewertung, ob der deutsche Ehegatte (noch) einen faktischen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet hat. Auch wenn es im vorliegenden Fall durchaus objektive Anhaltspunkte für eine dauerhafte Verlegung des "gewöhnlichen Aufenthalts" des Ehemanns nach Ostasien gibt, erfordert eine abschließende Klärung dieser Frage eine weitere, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht mögliche Sachverhaltsaufklärung. Nach dem Vortrag der Antragstellerin ist der Ehemann nach der Rückkehr nach Deutschland aus der Schweiz und der Anmeldung seines Wohnsitzes im Februar 2008 unter der Adresse "A-Straße" in A-Stadt, wo sie abgesehen von kurzen Unterbrechungen zusammen gelebt hätten, ab dem Jahresende 2008 längere Zeit zwischen dem ostasiatischen Raum, wo er sich ab dann beruflich bedingt zeitlich überwiegend aufhielt und dem gemeinsamen Wohnsitz unter der zuvor genannten Adresse hin- und hergereist, ist also zwischendurch mehrfach nach Deutschland zurückgekehrt, bis er letztmals im November vergangen Jahres (2010) nach Asien gereist ist, wo er allerdings nicht "für immer" zu bleiben beabsichtigt. Die Antragstellerin trägt vor, es sei gegenwärtig "in seiner beruflichen Perspektive völlig unklar", ob er längerfristig im Ausland bleibe oder ob er nach Deutschland zurückkehre. Dieser Sachvortrag rechtfertigte im Falle seiner Richtigkeit nicht die Annahme, der Ehemann der Antragstellerin habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr in Deutschland. Die Ausführungen des Antragsgegners in dem Ablehnungsbescheid vom 17.2.2011 lassen es nicht zu, einen fortbestehenden "gewöhnlichen Aufenthalt" des Ehemanns in Deutschland (§ 28 Abs. 1 Satz Nr. 1 AufenthG) bereits jetzt mit Gewissheit zu verneinen. Soweit sich der Antragsgegner in dem Zusammenhang auf die in dem Protokoll über die im Rahmen eines auf seine Strafanzeige zurückgehenden Strafverfahrens wegen "Scheinehe" am 27.1.2011 im Wohnteil des Guts J durchgeführte polizeiliche Durchsuchung angetroffene und dabei "informatorisch" befragte Lebensgefährtin des früheren Eigentümers des Anwesens, Frau S, bezieht und daraus herleitet, dass sich der Ehemann der Antragstellerin "bereits seit etwa zwei Jahren", rückgerechnet also seit Anfang 2009 in Asien aufhalte, ist zum einen festzuhalten, dass die "Zeugin" bereits nach dem schriftlichen Durchsuchungsbericht von (mehreren) "kurzen Unterbrechungen" und nicht von einer dauerhaften Abwesenheit gesprochen hatte.(vgl. Seite 2 oben des Durchsuchungsberichts vom 27.1.2011, Blatt 485 der Ausländerakte) Das bestätigt im Grund den Vortrag der Antragstellerin, dass ihr Ehemann erst ab Ende 2008 die überwiegende Zeit, allerdings mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen, im Ausland verbracht hat. Zum anderen hat bereits das Verwaltungsgericht, ohne dass der Antragsgegner dem widersprochen hätte, darauf hingewiesen, dass Frau S Anfang Februar 2011 im Rahmen ihrer förmlichen Vernehmung als Zeugin durch die Kriminalpolizei erklärt hat, dass die Antragstellerin bisher in dem Anwesen gewohnt habe, und auch der Ehemann zwischen mehreren längeren Aufenthalten in Asien wiederholt ("etwa fünfmal") dort gewesen sei. Dass der Ehemann auch im Jahr 2009 zwischenzeitlich in Deutschland war, belegt allein schon die Vorsprache beim Antragsgegner im September dieses Jahres, in deren Rahmen er schriftlich erklärt hat, die bestehende eheliche Gemeinschaft mit der Antragstellerin fortführen zu wollen. Von einer endgültigen und dauerhaften Aufgabe des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Inland durch den Ehemann, kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zwingend ausgegangen werden. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.

Hiervon nicht zu trennen ist die vom Verwaltungsgericht ins Zentrum seiner Ausführungen gestellte und im Ergebnis verneinte Frage, ob trotz der räumlichen Trennung im Falle der Antragstellerin und ihres Ehemanns vom Fortbestand der durch die Nachzugsregelung geschützten ehelichen Lebensgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 GG, § 27 Abs. 1 AufenthG) ausgegangen werden kann. Die insoweit allgemein geltenden Grundsätze für die Beurteilung hat das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt. Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass insbesondere beruflich bedingte, im Einzelfall auch längere räumliche Trennungen von Ehepartnern nicht automatisch die Annahme einer Aufgabe der familiären Lebensgemeinschaft rechtfertigen. Eine solche Lebensgemeinschaft fordert nicht unbedingt das Vorliegen einer ständigen häuslichen Gemeinschaft der Ehepartner, allerdings im Falle einer längeren räumlichen Trennung die Feststellung zusätzlicher Anhaltspunkte, um das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts weitgehend auszugleichen. Bei einer berufs- und ausbildungsbedingten Trennung setzt die Anerkennung einer familiären Lebensgemeinschaft daher voraus, dass die Ehepartner einen regelmäßigen Kontakt zueinander pflegen, der über bloße Besuche hinausgeht und in dem die persönliche und emotionale Verbundenheit im Sinne einer Beistandsgemeinschaft zum Ausdruck kommt.(vgl. auch dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.8.2010 – 2 B 235/10 –, SKZ 2011, 67, Leitsatz Nr. 52, dazu auch BVerwG, Urteil vom 27.1.1998 – 1 C 28.96 –, NVwZ 1998, 279, und allgemein beispielsweise Göbel-Zimmermann in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Auflage 2010, § 27 Rn 6 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; zur Eltern-Kind-Beziehung bei einem wegen Besuchs eines Internats dauerhaft im Heimatland lebenden Sohn OVG des Saarlandes, Beschluss vom 9.11.2009 – 2 B 449/09 –, SKZ 2010, 72, Leitsatz Nr. 65) Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall nicht mehr gegeben sind und gegebenenfalls ab wann die zuvor offenbar über Jahre bestehende Lebensgemeinschaft wegen einer Verlegung des Lebensmittelpunktes des Ehemanns ins Ausland als aufgehoben betrachtet werden muss, wird ebenfalls im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

Nach der Darstellung der Antragstellerin hat sie mit dem Ehemann – und für die Richtigkeit dieser Darstellung spricht sehr viel – nach der Heirat im Juli 2003 beziehungsweise der im selben Monat erfolgten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, bis Anfang Mai 2005 zusammen in Deutschland gelebt. Ab diesem Zeitpunkt hat sie – durchgreifende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Darstellung sind nicht ersichtlich – den beruflich zunächst in Luxemburg und anschließend in der Schweiz tätigen Ehemann dorthin begleitet und dort mit diesem zusammengelebt. Nach der Rückkehr nach Deutschland Ende 2007 (Antragstellerin) beziehungsweise Anfang 2008 (Ehemann) habe man – wie erwähnt – bis Ende 2008 erneut in Deutschland zusammengelebt. Erst anschließend habe sich der Ehemann aus beruflichen beziehungsweise geschäftlichen Gründen überwiegend im ostasiatischen Raum aufgehalten, sei aber immer wieder zwischenzeitlich nach Deutschland zurückgekehrt. Weder dem Vortrag der Beteiligten noch dem Akteninhalt lassen sich belastbare Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass diese räumliche Trennung nach fast sechs Jahren des Zusammenlebens andere als die angegebenen beruflichen Gründe hatte oder dem gar ein Entschluss der Eheleute zur Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft zugrunde gelegen hätte. Zu dem im Ablehnungsbescheid und auch im angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts angesprochenen Befund, dass die Wohnung unter der Meldeadresse im A-Straße im Zeitpunkt der Durchsuchung frei von "persönlichen Gegenständen" gewesen sei und einen unbewohnten Eindruck ("leeres Hotelzimmer") gemacht haben soll, hat die Antragstellerin nachvollziehbar ausgeführt, dass sie – das dürfte unstreitig sein und ist dem Ehemann bekannt – als "Hostess" arbeitet, daher viel und manchmal über Wochen an anderen Orten in Deutschland engagiert ist und deswegen gegebenenfalls ihre "persönlichen Sachen" jeweils mit "auf Reisen" nimmt. Das ist ohne weiteres nachvollziehbar. Dem Antragsgegner ist zuzugestehen, dass es zumindest aus seiner Sicht durchaus objektive Anhaltspunkte für ein zwischenzeitliches dauerndes "Getrenntleben" ohne die notwendigen über bloße Besuche hinausgehenden Kontakte geben mag. Abschließend bejahen lässt sich das im vorliegenden Verfahren sicher ebenso wenig wie das Gegenteil.

Einer vertieften Auseinandersetzung mit der als weitere Anspruchsgrundlage für die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis vom Verwaltungsgericht angesprochenen Bestimmung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bedarf es vorliegend nicht. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle einer allerdings von der Antragstellerin vehement in Abrede gestellten "Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft", also letztlich vom Anwendungsbereich her alternativ zu den Nachzugsregelungen, als eigenständiges Aufenthaltsrecht verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet "rechtmäßig" bestanden hat.(vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 28.10.2009 – 2 D 441/09 –, SKZ 2010, 71, Leitsatz Nr. 63, insbesondere auch zur Bedeutung der Fiktionsregelungen in § 81 AufenthG in dem Zusammenhang) Insoweit würde sich die von der Antragstellerin mit einiger Berechtigung aufgeworfene Frage stellen, inwieweit die – nach ihrem Vortrag gemeinsame – zeitweilige Verlagerung des Wohnsitzes der Ehepartner nach Luxemburg, also in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach einem Zusammenleben zwischen Juli 2003 und Mai 2005 in Deutschland mit Aufenthaltserlaubnis rechtlich als eine "Unterbrechung" angesehen werden kann, zumal der Antragsgegner der Antragstellerin, der seit Mai 2008 jedenfalls so genannte Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgestellt worden waren, im Oktober 2009 im Anschluss an eine gemeinsame Vorsprache mit dem Ehemann erneut eine Aufenthaltserlaubnis für ein weiteres Jahr bis November 2010 unter ausdrücklichem Hinweis auf einen "durchgängigen Fortbestand" der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilt hat. Die sich in dem Zusammenhang stellenden schwierigen Rechts- und Tatsachenfragen, welche Zeiträume mit gegebenenfalls welchen Unterbrechungen für die Beurteilung im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG Relevanz erlangen, sind ebenfalls nicht losgelöst von der Frage des Fortbestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu beantworten. Das ist hier nicht möglich.

Im Rahmen der vor dem Hintergrund für die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden hauptsacheoffenen Interessenabwägung ist nach aktueller Lage den Belangen der Antragstellerin an einem vorläufigen Verbleib in der Bundesrepublik bis zu einer Klärung in der Hauptsache eindeutig der Vorrang einzuräumen. Die Antragstellerin lebt unstreitig seit Jahren in Deutschland, ist mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet, der wiederholt ausdrücklich erklärt hat, an der Ehe festhalten zu wollen, ist – abgesehen von dem durch eine Anzeige des Antragsgegners angestoßenen Ermittlungsverfahren wegen einer "Scheinehe" – über diesen längeren Zeitraum nie strafrechtlich in Erscheinung getreten, hat zu keinem Zeitpunkt öffentliche Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen, hat ihren Hostessenbetrieb ordnungsgemäß als Gewerbe angemeldet und zahlt nach unwidersprochenem eigenem Vortrag insoweit auch die anfallenden Steuern. Welche gegenläufigen gewichtigeren "einwanderungspolitischen" öffentlichen Belange in ihrem Fall vor der Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens ihres Anspruchs auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis in dem von ihr eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahren in der Hauptsache dennoch eine sofortige Beendigung ihres Aufenthalts in Deutschland gebieten könnten, ist – vorbehaltlich weiter gehender Erkenntnisse – nicht ersichtlich. Daher war der Beschwerde zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung des am 1.3.2011 fristgerecht erhobenen Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Ablehnungsbescheid bis zur abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren anzuordnen. [...]