VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 16.05.2011 - 4 K 1139/10.A - asyl.net: M18666
https://www.asyl.net/rsdb/M18666
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten einer Nierenerkrankung im Irak.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Irak, Flüchtlingsanerkennung, Gruppenverfolgung, religiöse Verfolgung, Verfolgungsdichte, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Gefährdungsdichte, Sicherheitslage, medizinische Versorgung, Bagdad, Diyala, Krankheit, Nierenerkrankung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat allerdings aufgrund seiner Krankheit einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, kann ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2006 - 1 C 16.05 -, juris, und vom 9. September 1997 - 9 C 48/96 -, InfAuslR 1998, 125; Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 - 13a ZB 10.30283 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2010 - 9 A 3642/06.A -, a.a.O.).

Erforderlich sind aber schwere Gesundheitsgefahren durch ein unterentwickeltes Gesundheitssystem (vgl. VG München, Urteil vom 22. Januar 2010 - M 16 K 09.50084 -, juris, zur medizinischen Versorgungslage im Irak).

Im Irak bleibt die medizinische Versorgung angespannt. In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Ärzte und Krankenhauspersonal gelten als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Repressionen das Land verlassen. Grundsätzlich sind in den Apotheken Bagdads viele Medikamente erhältlich. Sie sind aber häufig für ärmere Bevölkerungsschichten kaum erschwinglich (vgl. AA, Lagebericht, Seite 35 f.).

Gemessen daran hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass er bei einer Rückkehr in den Irak mit massiven Verschlechterungen seines Gesundheitszustandes zu rechnen hätte. Nach dem operativen Eingriff bei dem Kläger im Jahre 2009, mit dem die Harnleiterabgangsenge rechts beseitigt wurde, wurde festgestellt, dass dem Kläger eine entsprechende Verengung auf der linken Seite ebenfalls droht. Die medizinische Erforderlichkeit regelmäßiger Kontrolle und die Gefahr einer kurzfristig notwendigen weiteren Operation hat der Kläger durch das Attest vom 5. Mai 2011 und die bereits während des Anhörungsverfahrens vor dem Bundesamt eingereichten Arztberichte nachvollziehbar bekundet. Vor diesem Hintergrund lässt sich angesichts des oben beschriebenen Zustandes des irakischen Gesundheitssystems - vgl. hierzu auch VG Ansbach, Urteile vom 2. Dezember 2009 - AN 9 K 09.30113 -, juris, und vom 15. Oktober 2010 - AN 9 K 10.30175 -, juris - nur feststellen, dass dem Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr im Falle einer Rückkehr in den Irak droht. Nach den vorliegenden Erkenntnissen erscheint es ausgeschlossen, dass die angespannte medizinische Versorgungssituation im Irak eine engmaschige nephrologische und urologische Kontrolle und ggf. eine kurzfristig durchzuführende Operation zur Erweiterung einer linksseitigen Harnleiterabgangsenge bei dem Kläger gewährleisten kann. Ohne die entsprechende Kontrolle mit den operativen Möglichkeiten drohen dem Kläger aber - so das nachvollziehbare Attest vom 5. Mai 2011 - ernsthafte gesundheitliche und möglicherweise sogar tödliche Folgen. [...]