Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Minderjährige, deren Vater verstorben und Mutter unbekannten Aufenthalts ist, da sie im Kosovo nicht alleine ihre Existenz sichern könnten.
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Die Klage ist zulässig und begründet. Den Klägern steht gegenüber der Beklagten in dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) jedenfalls im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens im weiteren Sinne (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 -, NVwZ 2000, 907, mit weiteren Nachweisen) ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Republik Kosovo zu. Deshalb ist die Ablehnung dieser Feststellung durch den angefochtenen Bescheid rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Voraussetzungen sind im Fall der Kläger hinsichtlich des Kosovo erfüllt. Eine Gefahr im Sinne der genannten Vorschrift kann auch darin bestehen, dass das lebensnotwendige Existenzminimum für den betreffenden Ausländer im Abschiebezielstaat nicht gesichert ist, wobei die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr voraussetzt, dass sich die Situation für den Betreffenden alsbald nach der Ankunft im Zielstaat derart wesentlich verschlechtern wird, dass sie zu einer Gefahr für Leib und Leben führen wird (vgl. auch VG Augsburg, Urteil vom 8. September 2010 - 6 K 08.30084 - , zitiert nach juris).
Hiervon geht das Gericht aufgrund ihrer persönlichen und familiären Situation im Falle der Kläger aus.
Die individuelle konkrete Gefahrenlage für die Kläger ergibt sich daraus, dass sie noch minderjährig und nicht in der Lage sind, ihre Existenz alleine zu sichern, ihr Vater verstorben und ihre Mutter unbekannten Aufenthalts ist und sich bei einer Rückführung in den Kosovo dort auch sonst niemand in der erforderlichen Weise um sie kümmern und ihnen bei der Sicherung ihrer notwendigen Existenzgrundlage helfen würde, weil sie im Kosovo nicht über einen entsprechenden familiären Zusammenhalt verfügen.
Die Kläger können alleine auf sich gestellt ihr Existenzminimum im Kosovo nicht sichern.
Keiner der Kläger hat eine Berufsausbildung oder auch nur eine abgeschlossene Schulausbildung, auf deren Grundlage sie sich selbst eine Existenz aufbauen könnten. Angesichts dessen sowie der allgemeinen Situation im Kosovo, die noch immer dadurch gekennzeichnet ist, dass die meisten Lohnempfänger mit einem extrem niedrigen Gehalt auskommen müssen und die Sozialhilfe sich auf sehr niedrigem Niveau bewegt, ist nicht erkennbar, wie es den Klägern gelingen könnte, ihre Existenz ohne Hilfe Dritter zu sichern. Das gilt umso mehr, als die Kläger in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind und hier ihr ganzes Leben verbracht haben mit der Folge, dass ihnen auch die Verhältnisse im Kosovo vollkommen fremd sind.
Enge Familienangehörige, durch die den Klägern bei einer Rückkehr in den Kosovo Hilfe zuteil werden könnte, haben sie dort allerdings nicht. Das Gericht geht - unter Hintanstellung letzter Zweifel - davon aus, dass der Vortrag der Kläger zutreffend ist, wonach sie den Kontakt zu ihrer Mutter verloren haben und nicht wissen, ob diese sich in der Bundesrepublik Deutschland oder doch wieder im Kosovo oder ggf. in einem ganz anderen Land aufhält. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens spricht, dass nach Auffassung des Gerichts minderjährige Jugendliche alles daran setzen dürften, ihre Mutter wiederzufinden, wie auch, dass die herzkranke Mutter der Kläger in großem Maße daran interessiert sein dürfte, den Aufenthaltsort ihrer Kinder zu wissen und den Kontakt mit ihnen wieder herzustellen, zumal sie bei der Bewältigung der Dinge des täglichen Lebens auch deren Hilfe benötigt, die sie auch in der Vergangenheit bereits in Anspruch genommen hat. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sowohl die Kläger selbst als auch ihre Mutter alles unternehmen würden, um wieder zusammen zu kommen. Dass eine solche Zusammenführung bis heute nicht stattgefunden hat, lässt nur den Schluss zu, dass der jeweilige Aufenthaltsort tatsächlich derzeit wechselseitig nicht bekannt ist. Ausgehend hiervon müssten die Kläger ohne ihre Mutter in ihr Heimatland zurückkehren.
Die Kläger können im Kosovo auch nicht auf die Hilfe anderer Familienangehöriger zurückgreifen. Zwar lebt dort die Schwester ihrer Mutter mit ihrer Familie, bei der die Kläger gemeinsam mit ihrer Mutter schon einmal Aufnahme gefunden hatten. Die Kläger haben aber glaubhaft vorgetragen, dass der Ehemann dieser Schwester der Mutter, also ihr Onkel, nicht bereit gewesen war, sie dauerhaft bei sich aufzunehmen. Angesichts der Vielzahl von Personen, die unter äußerst beengten Verhältnissen dort zusammen leben müssen, hat das Gericht keine Zweifel daran, dass dieses Vorbringen zutreffend ist. Auch wenn davon auszugehen ist, dass familiäre Hilfe im Kosovo einen wichtigen Stellenwert hat, ist es ohne Weiteres plausibel, dass angesichts der geschilderten Verhältnisse die familiäre Hilfsbereitschaft auch Grenzen hat. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass der Onkel der Kläger tatsächlich nicht bereit ist, diese für einen längeren Zeitraum bei sich aufzunehmen.
Weitere Familienangehörige, die noch im Kosovo leben, kennen die Kläger nicht und können sie auch nicht kennen, weil sie - wie bereits ausgeführt - in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind und bislang stets hier gelebt haben. Es ist auch nachvollziehbar, dass in der Vergangenheit keine Kontakte zu etwa noch im Kosovo lebenden entfernteren Familienangehörigen bestanden haben, da die Eltern und Geschwister des Klägers seit 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben und auch ein großer Teil der weiteren Familienangehörigen, u. a. der Cousin, der nunmehr zu ihrem Vormund bestellt ist, sich in verschiedenen Städten in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Die Kläger können schließlich auch nicht auf eine staatliche Fürsorge verwiesen werden. Wie sich aus dem Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom Dezember 2010 ergibt, gibt es im Kosovo keine klassischen Kinderheime für Kinder ohne elterliche Fürsorge. Verlassene oder misshandelte Kinder können zwar befristet in einem SOS-Kinderdorf in Pristina untergebracht werden, darüber hinaus existieren zwei weitere Häuser des Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge, die den Schutz von Kindern, welche Minderheiten angehören, und Kindern mit Behinderungen dienen. Die Aufnahmekapazität liegt allerdings bei nur 10 Personen pro Haus. Abgesehen davon, dass bereits zweifelhaft ist, ob die Kläger überhaupt zu dem Personenkreis gezählt werden würden, der Aufnahme in einem dieser Häuser finden könnte, ist völlig ungewiss, ob und zu welchem Zeitpunkt eventuell ein Platz in einem der Häuser für die beiden Kläger gefunden werden könnte. Vor allem aber könnten die Kläger dort auch keine dauerhafte Aufnahme finden.
Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo in eine vollkommen ungewisse Situation geraten würden, in der weder ihre Unterbringung noch ihre Gesundheitsfürsorge und erst recht nicht ihr Existenzminimum als gesichert angesehen werden kann. [...]