Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für Roma aus Serbien (Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Thromboseneigung). Die Lebenssituation der Roma in Serbien wird trotz aller Bemühungen durchweg immer noch als äußerst schwierig beschrieben, namentlich setzt der Zugang zur Gesundheitsversorgung die Registrierung und diese wiederum die Vorlage verschiedener Dokumente voraus. Die medizinische Versorgung ist aber auch im Falle der Registrierung und Teilhabe am Krankenversicherungsschutz nicht durchweg kostenfrei, insbesondere werden nicht sämtliche Medikamente kostenfrei abgegeben.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - ist für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift erforderlich, aber auch ausreichend, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, die diesem alsbald nach seiner Rückkehr in die Heimat droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, Beschluss vom 23. Juli 2007 - 10 B 85.07 -, juris). [...]
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien und unter zusammenfassender Betrachtung aller relevanten Umstände und Aspekte ist nach Überzeugung der Kammer zu Gunsten des Klägers derzeit ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Es besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich sein Gesundheitszustand im Falle seiner Rückkehr nach Serbien auf Grund der dort vorhandenen Verhältnisse wesentlich verschlechtern wird.
In tatsächlicher Hinsicht legt die Kammer legt Folgendes zugrunde:
Ausweislich des vom Gericht eingeholten Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. leidet der Kläger neben einer psychischen Erkrankung/Störung unter einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, Bluthochdruck, einer Thromboseneigung und einem HWS-LWS-Syndrom. Der Gutachter hält die medikamentöse Behandlung insbesondere des Diabetes mellitus, des Bluthochdrucks und - präventiv - der Thromboseneigung für notwendig. Die weitere medikamentöse psychiatrische Behandlung sei dagegen nicht erforderlich; eher sei ein Verhaltenstraining angezeigt.
Diesen tatsächlichen Feststellungen folgt die Kammer; die Parteien haben dem auch nichts entgegengesetzt.
Legt man die danach notwendige termingerechte Versorgung mit Medikamenten insbesondere zur Beherrschung der Diabetes-Erkrankung, des Bluthochdrucks und der Thromboseneigung zugrunde, so gelangt die Kammer unter Anlegung des vorangestellten strengen Maßstabes und nach Auswertung aller vorliegenden Erkenntnisse zu der Überzeugung, dass die Rückführung des Klägers in seine Heimat zu einer ernsthaften Verschlechterung seines Gesundheitszustandes i.S.d. dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Gutachter betont, der Wegfall einzelner Medikamente führe nicht zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität. Die vom Gutachter aufgezählten Medikamente umfassen nämlich auch solche, die nicht die chronischen und zwingend behandlungsbedürftigen Grunderkrankungen betreffen, wie etwa Beruhigungs- und Schmerzmittel (s. Gutachten Bl. 30).
Die Kammer ist der Überzeugung, dass die notwendige medikamentöse Behandlung für den Kläger zu 1. auf unabsehbare Zeit in seiner Heimat nicht durchgehend erreichbar ist.
Dabei geht die Kammer zunächst von Folgendem aus:
Nach Auskünften des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaft in C. sind die beim Kläger zu 1. vorhandenen chronischen Grunderkrankungen grundsätzlich in Serbien behandelbar (vgl. Auswärtiges Amt, - AA -, Lagebericht vom 4. Juni 2010 (Stand: Mai 2010), zu 1.6; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in C. , Auskunft vom 24. Februar 2010 an das VG Düsseldorf zur medizinischen Versorgung in Serbien und im Kosovo; vgl. zu allem auch: OVG NRW, Beschluss vom 20. September 2006 - 13 A 1740/05.A -, juris, m.w.N.). Die Versorgung mit Medikamenten zur Behandlung dieser chronischen Erkrankungen (Diabetes mellitus, insulinpflichtig u.a.), die eingangs dargestellt wurden, ist in Serbien auch grundsätzlich möglich. Das reicht aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht aus. Vielmehr müssen die notwendigen Medikamente auch für den Betroffenen in jeder Hinsicht zugänglich sein; hier sind namentlich auch finanzielle Gründe einzubeziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002, - 1 C 102 -; Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18/05 -, Rdnr. 20, beides juris).
Davon kann nach Überzeugung der Kammer für die Person des Klägers zu 1. nicht ausgegangen werden.
Es spricht Einiges für eine weitere Verbesserung der Teilhabe der Roma am sozialen Netz, namentlich der Gesundheitsfürsorge in Serbien. Dies gilt insbesondere für den Bereich der medikamentösen Therapie. Das derzeit erreichte Niveau schließt aber die Annahme einer zu einem Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führenden Gefahr für erheblich erkrankte Personen, insbesondere dann, wenn sie Dauermedikamente benötigen, nicht aus. Die Lebenssituation der Roma in Serbien wird trotz aller Bemühungen durchweg immer noch als äußerst schwierig beschrieben, namentlich setzt der Zugang zur Gesundheitsversorgung die Registrierung und diese wiederum die Vorlage verschiedener Dokumente voraus (vgl. allgemein zur Situation der Roma in Serbien: UNHCR, Anmerkung zur geplanten Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als "sichere" Herkunftsstaaten festgelegt werden, Mai 2009, S. 6 f.; vgl. auch AI, Serbia - Briefing tot he UN committee ton the elimination of Racial Discrimination, February 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 7. April 2011, S. 2 und 8).
Die Situation der Roma in Serbien ist aber nach wie vor dadurch geprägt, dass diese häufig in illegalen Siedlungen unregistriert leben, was ihnen den Zugang zur Grundversorgung (z.B. Trinkwasserversorgung, Schulen, Gesundheit etc.) versperrt (vgl. z.B. US-Department of State, Country Report on Human Rights Practises 2010 vom 8. April 2011, unter "National/Racial/Ethnic Minorities, ecoi.net-Document; AI, a.a.O., S. 7).
Die medizinische Versorgung in Serbien ist nur für Personen zugänglich, die registriert und pflichtversichert sind, was nach den besonderen Voraussetzungen hierfür (vgl. AA, Lagebericht vom 4. Juni 2010, a.a.O., 1.6) beim Kläger zu 1. als Rückkehrer ohne Wohnraum nicht möglich sein dürfte. Bei seiner Anhörung hat er hierzu angegeben, nicht registriert zu sein, weil er keine Wohnung gehabt habe. Dies lässt erkennen, dass der Kläger und seine Familie gerade zu den Personen gehören, denen der Zugang zur Grundversorgung trotz entsprechender rechtlicher Voraussetzungen in Serbien nicht möglich ist. So hat der Kläger zu 1. auch gegenüber dem Bundesamt bei seiner Anhörung ausgeführt, nicht ausreichend medikamentös versorgt worden zu sein, wenn er auch die Gabe eines bestimmten Medikamentes (Marcumar-Ersatz) eingeräumt hat.
Die medizinische Versorgung ist aber auch im Falle der Registrierung und Teilhabe am Krankenversicherungsschutz nicht durchweg kostenfrei, insbesondere werden nicht sämtliche Medikamente kostenfrei abgegeben (vgl. AA, Lagebericht vom 4. Juni 2010, a.a.O., 1.6; SFH, a.a.O., S. 8).
Selbst wenn dem Kläger zu 1. seitens der Ausländerbehörde ein Übergangsvorrat an Medikamenten mitgegeben wird, damit die Versorgung für den ersten Zeitraum nach Rückkehr sichergestellt ist, so wird er nach Überzeugung der Kammer nicht in der Lage sein, die notwendigen Dauermedikamente im erforderlichen Umfang auf absehbare Zeit aus eigenen Mitteln erwerben zu können.
Der Kläger zu 1. war während seines Erstaufenthaltes in der Bundesrepublik über lange Jahre (1990-2005) nicht erwerbstätig (s. Ausländerpersonalakte und Angaben gegenüber dem Gutachter) und hat auch nach seiner Rückkehr nach Serbien eigenen Angaben zufolge keine geregelte Berufstätigkeit ausgeübt. Er war nicht in der Lage, seine Familie aus eigenen Mitteln zu ernähren. Der Kläger wird auch auf absehbare Zeit hierzu in Serbien nicht in der Lage sein, so dass die kontinuierliche Medikamentenversorgung nicht sichergestellt ist. [...]