VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.06.2011 - 11 S 1305/11 - asyl.net: M18697
https://www.asyl.net/rsdb/M18697
Leitsatz:

1. Zur Möglichkeit des Sofortvollzugs bei einer nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis und zum entsprechenden Rechtsschutz.

2. Es spricht einiges dafür, dass dem Eingriff in ein bestehendes Aufenthaltsrecht durch eine nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis (mit Beschäftigungserlaubnis) das Diskriminierungsverbot des Art. 67 Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Algerien vom 22.4.2002 entgegen steht. Ein unmittelbarer Anspruch auf Neuerteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis folgt aus dem Abkommen insoweit jedoch nicht.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, nachträgliche Befristung, Sofortvollzug, Suspensiveffekt, einstweilige Anordnung, Fortgeltungsfiktion, besonderes öffentliches Interesse, Europa-Mittelmeer-Abkommen, Algerien, Arbeitserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Diskriminierungsverbot, Umdeutung, Inländerdiskriminierung, Zambrano, McCarthy, deutscher Ehegatte, Streitwert
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, VwGO § 81 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, VwGO § 123 Abs. 5, AufenthG § 7 Abs. 2, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 58 Abs. 2, AufenthG § 84, VwGO § 80 Abs. 1, Europa-Mittelmeer-Abkommen Art. 67, AufenthG § 28 Abs. 5
Auszüge:

[...]

1. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es, abweichend vom Beschluss des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. Februar 2011 in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang wiederherzustellen bzw. anzuordnen. [...]

Jedenfalls vermag der Senat ein besonderes, über den Erlass des Verwaltungsakts hinausgehendes besonderes Vollzugsinteresse nicht zu erkennen. Voraussetzung für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes im Einzelfall und deren Aufrechterhaltung im gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.07.1973 - 1 BvR 23/73 - BVerfGE 35, 382, 401 f.; vom 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 - BVerfGE 69, 220, 227 f.; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25.01.1996 - 2 BvR 2718/95 - AuAS 1996, 62; vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275). Das besondere Vollzugsinteresse einer nachträglichen Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann daher nicht tragend damit begründet werden, dass ein besonderes öffentliches Interesse daran bestehe, Ausländer, die offensichtlich die Voraussetzungen eines Aufenthaltstitels nicht mehr erfüllen, alsbald zur Ausreise zu verpflichten. Denn dieses zweifellos bestehende öffentliche Interesse ist allein der maßgebliche Grund für die Entscheidung, die vorhandenen Aufenthaltserlaubnis zu befristen, ohne das die Entscheidung schon gar nicht ergehen dürfte. Vielmehr ist im Einzelfall und nach gegenwärtiger Sachlage einen dringender unverzüglicher Handlungsbedarf notwendig. Das Bestehen eines solchen besonderen Handlungsbedarfs bereits vor Eintritt der Unanfechtbarkeit kann im gerichtlichen Verfahren auch nicht durch die Feststellung ersetzt werden, die angefochtene Entscheidung sei (offensichtlich) rechtmäßig ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 - NVwZ 1996, 58; vom 25.01.1996 - 2 BvR 2718/95 - AuAS 1996, 62; Senatsbeschlüsse vom 11.02.2005 - 11 S 1170/04 - VBlBW 2005, 360 und vom 29.11.2007 - 11 S 1702/07 - VBlBW 2008, 193).

In Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist ein solches besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug der nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis nicht gegeben. Weder in der Person des Antragstellers noch in seinem Verhalten liegende Gründe erfordern gegenwärtig ein unverzügliches Handeln. Vielmehr lebt er ein geordnetes Leben in der Bundesrepublik. Er ging bis zuletzt einer regelmäßigen Beschäftigung nach und erzielte ein Einkommen in Höhe von 965, 63 Euro netto pro Monat. Zwar wurde ihm wohl aufgrund der behördlichen Verfügung das Arbeitsverhältnis gekündigt, allerdings hat er mittlerweile Kündigungsschutzklage erhoben; jedenfalls bezieht er, soweit ersichtlich, gegenwärtig keine Sozialleistungen. Seit seiner erneuten Einreise am 21. November 2008 ist er strafrechtlich auch nicht wieder in Erscheinung getreten. Die während des früheren Aufenthalts verübten Straftaten können daher für die Beurteilung des Sofortvollzugsinteresses zum nunmehr maßgeblichen heutigen Zeitpunkt nicht mehr von Bedeutung sein.

Die von der Antragsgenerin angeführte Gefahr der weiteren Verfestigung im Bundesgebiet und daraus resultierende Erschwerungen für die Rückkehr nach Algerien tragen den Sofortvollzug allein nicht. Das ergibt sich schon aus der in den §§ 58 Abs. 2 und 84 AufenthG zum Ausdruck kommenden Grundentscheidung des Gesetzgebers, die sofortige Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet generell nur in den in diesen Vorschriften bezeichneten, hier jedoch nicht einschlägigen Fallgestaltungen zu verlangen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass in allen anderen Fällen die bloße (mögliche) Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts ohne Hinzutreten weiterer Umstände ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts herbeiführenden Verwaltungsaktes im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO regelmäßig noch nicht begründet (vgl. zu etwaigen - hier ersichtlich nicht gegebenen - Ausnahmen, in denen das Erlass- und das besondere Vollzugsinteresse zusammenfallen können Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 80 Rdn. 44). Eine während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens trotz bestehender, jedoch nicht vollziehbarer Ausreisepflicht möglicherweise eintretende weitere (lediglich) faktische Integration im Bundesgebiet beeinträchtigt oder gefährdet kein Interesse der Bundesrepublik Deutschland, das eine sofortige Beendigung seines Aufenthalts geböte. Denn diese Folge ist zwangsläufig und regelhaft bei jedem Fall einer nachträglichen Befristung eines Aufenthaltstitels gegeben, wenn die kraft Gesetzes als Regelfall angeordnete aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO eintritt. Der Antragsteller muss im Übrigen selbst entscheiden, ob er die Nachteile in Kauf nehmen will, die sich aus einer Beendigung seines möglicherweise unrechtmäßigen Aufenthalts erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens für ihn aufgrund einer bis dahin zusätzlich eingetretenen faktischen Integration im Bundesgebiet ergeben könnten (vgl. Beschluss vom 13.03.1997 - 13 S 1132/96 -; VBlBW 1997, 390). Jedenfalls vermag der Antragsteller bereits infolge der nachträglichen Befristung kein weiter gehendes schutzwürdiges Vertrauen zu begründen.

b) Ungeachtet dessen ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auch deshalb geboten, weil die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zumindest offen sind und es dem Antragsteller schon daher nicht zuzumuten ist, seinen Aufenthalt vor der endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit aufzugeben. Es spricht immerhin einiges dafür, dass dem Eingriff in ein bestehendes Aufenthaltsrecht das Diskriminierungsverbot des Art. 67 Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Algerien vom 22.04.2002 (ABl 2005 Nr. L 265, 2) entgegen steht, auch wenn seit dem 01.01.2005 infolge des Inkrafttretens des Zuwanderungsgesetzes das Arbeitserlaubnisrecht verfahrens- und materiell-rechtlich in das Aufenthaltsgesetz integriert wurde mit der Folge, dass es nach innerstaatlichem Recht keine die Aufenthaltserlaubnis überschießende Arbeitserlaubnis mehr gibt. Gleichwohl stellt eine Aufenthaltserlaubnis, die unmittelbar zur Erwerbstätigkeit berechtigt, aller Voraussicht nach eine relevante Rechtsposition dar, auf die die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu vergleichbaren Bestimmungen anzuwenden sein dürfte (vgl. Urteil vom 14.12.2006 - Rs C-97/05, Gattoussi - Slg. 2006, I-1191) mit der Folge, dass ein Eingriff in diese nur zulässig wäre, wenn er durch den Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit im Sinne der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt ist, Voraussetzungen, die hier ersichtlich nicht gegeben sind. Aus der Sicht des Senats lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Arbeitsmarktzugang auf einer spezifischen Arbeitserlaubnis beruht haben muss oder nur die Fallkonstellation der "überschießenden Arbeitserlaubnis" betreffen soll. Ebenso fehlen Anhaltspunkte dafür, dass, wie das Verwaltungsgericht meint, der Arbeitsmarktzugang nicht die gesetzliche Folge der Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Zweck als dem der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gewesen sein darf. Derartige nationale Feinheiten der Ausgestaltung des Verfahrensrechts dürften aus unionsrechtlicher Sicht für den Europäischen Gerichtshof nach Sinn und Zweck des Art. 67 nicht entscheidend sein, sofern der Arbeitsmarkt rechtlich und tatsächlich eröffnet wurde, was aber im Falle des § 28 Abs. 5 AufenthG anzunehmen ist. Vielmehr dürften der Argumentationsgang und die innere Logik der Entscheidung gerade auch den hier vorliegenden Fall betreffen. Jedenfalls ist die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.12.2009 (1 C 14.08 - BVerwGE 135, 325) wurde diese Frage nicht geklärt, da es dort um den Problemkreis der Verlängerung bzw. Neuerteilung einer abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis ging. Hier geht es jedoch um die Frage, ob und ggf. welche Schutzwirkung das Diskriminierungsverbot hinsichtlich der nachträglichen Verkürzung eines bereits erlaubten Aufenthalts entfaltet. Nichts anderes gilt für ein weiteres am gleichen Tag ergangene Urteil (1 C 16.08 - BVerwGE 135, 334; vgl. dort immerhin auch Rdn. 16). Auch in der ausländerrechtlichen Fachliteratur wird die Frage kontrovers diskutiert. Für einen Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die in ein bestehendes Recht eingreifen, durch die genannten Diskriminierungsverbote auch seit Geltung des Zuwanderungsgesetzes spricht sich Dienelt aus (in: Renner/Dienelt, Ausländerrecht, 9. Auflage, 2011, § 7 AufenthG Rn. 39). Dagegen vertreten Epe (in: GK-AufenthG, IX - 2 § 1 Rn. 50) und Hailbronner (Ausländerrecht, D 5.5 Rn. 9) die Auffassung, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Gattoussi komme ausnahmslos keine aufenthaltsrechtliche Bedeutung mehr zu, da es keine überschießende Arbeitserlaubnis nach innerstaatlichem Recht gebe, ohne allerdings eine vertiefte Differenzierung zwischen der Fallkonstellation der Erteilung oder Verlängerung eine Aufenthaltstitels einerseits und der nachträglichen Befristung eines bereits wirksam erteilten Titels andererseits vorzunehmen. [...]

a) Der Antrag ist jedoch nur als solcher entsprechend § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG statthaft. Der Antrag war dementsprechend umzudeuten.

Allerdings konnte die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG bei formaler Betrachtungsweise infolge der (konkludenten) Antragstellung vom 20.09.2010, die vor Erlass der Verfügung vom 22.02.2011 erfolgt war, in der auch die Anträge auf Neuerteilung der Sache nach in den Gründen abgelehnt wurden, gar nicht zur Entstehung gelangen, weil erst mit der Ablehnung der Ersterteilung eines anderen Aufenthaltstitels die Wirksamkeit des ohnehin bestehenden Titels entfallen war. Die Fortgeltungsfiktion tritt aber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 81 Abs. 4 AufenthG erst mit Ablauf der Geltungsdauer ein. Insofern ist die Situation keine andere als in der Fallkonstellation, in der die Ausländerbehörde über die Erteilung oder Verlängerung bereits vor Ablauf der Geltungsdauer des bereits besessenen Aufenthaltstitels entschieden hat (vgl. GK-AufenthG § 81 Rdn. 47, 61), denn auch hier kommt die verfahrenssichernde Fortgeltungsfiktion nicht zum Tragen, weil es dieser Sicherung überhaupt erst vom Zeitpunkt der Beendigung der Geltungsdauer bedarf, mit der ablehnenden Behördenentscheidung dieses sichernde Verfahrensrecht aber ohnehin erlöschen würde und durch eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr wieder aufleben könnte (vgl. GK-AufenthG § 81 Rdn. 62 m.w.N.). Gleichwohl wäre es nicht gerechtfertigt, wegen dieser Besonderheit, den statthaften Antrag des vorläufigen Rechtsschutzes hier nicht den Regeln des § 80 Abs. 5 VwGO zu unterwerfen und den Antragsteller insoweit nur infolge der besonderen Entscheidungsmodalitäten der Ausländerbehörde schlechter zu stellen, weshalb auch hier der förmlich gesellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO nicht statthaft ist.

Da sich aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht ablesen lässt, dass er unter allen Umständen vorläufigen Rechtsschutz ausschließlich im Wege der einstweiligen Anordnung erhalten wollte, stand trotz anwaltlicher Vertretung einer Umdeutung in den sachdienlichen Antrag nichts entgegen (vgl. Bader u.a., a.a.O., § 80 Rdn. 71).

Dem Antrag fehlt auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist er gegenwärtig im Hinblick auf die Entscheidung des Senats unter Ziffer 1 nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Allerdings wird er dies nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens am 13.01.2012 sein. Zur Vermeidung eines dann ohnehin erforderlichen weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist es sachgerecht, bereits jetzt eine Sachentscheidung herbeizuführen. [...]

Auch aus Art. 67 des Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Algerien folgt kein unmittelbarer Anspruch auf Neuerteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Der Europäische Gerichtshof hat, trotz des Hauptzwecks der Regelung, die Schlechterstellung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in einem Beschäftigungsverhältnis zu verhindern, zwar ausgesprochen, dass den Diskriminierungsverboten in den Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Tunesien und Marokko, die inhaltlich identisch mit dem hier in Rede stehenden Abkommen mit Algerien sind, ausnahmsweise aufenthaltsrechtliche Wirkung zukommt. Dieses Verbot untersagt einem Mitgliedstaat allerdings grundsätzlich nicht, Maßnahmen in Bezug auf das Aufenthaltsrecht eines unter das Diskriminierungsverbot fallenden Staatsangehörigen zu ergreifen, der zunächst die Erlaubnis zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat und zur Aufnahme einer Berufstätigkeit erhalten hat. Dass ein solches Vorgehen den Betroffenen zwingt, sein Arbeitsverhältnis im Aufnahmemitgliedstaat vor dem mit dem Arbeitgeber vertraglich vereinbarten Termin zu beenden, ändert daran grundsätzlich nichts. Dennoch bejaht der Gerichtshof in Ausnahmefällen eine aufenthaltsrechtliche Wirkung dieser Diskriminierungsverbote und begründet dies damit, es könne nicht angenommen werden, dass die Mitgliedstaaten in der Weise über das Diskriminierungsverbot verfügen dürften, indem sie dessen praktische Wirksamkeit durch Bestimmungen des nationalen Rechts beschränken und aushöhlen. Hierdurch könnten die Bestimmungen eines von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten geschlossenen Abkommens beeinträchtigt und die einheitliche Anwendung des Verbots infrage gestellt werden. Demzufolge könne der Aufnahmemitgliedstaat dann, wenn er dem Wanderarbeitnehmer ursprünglich in Bezug auf die Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen habe, die Situation dieses Arbeitnehmers nicht aus Gründen infrage stellen, die nicht dem Schutz eines berechtigten Interesses des Staates, wie der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit dienten (vgl. EuGH, Urteil vom 14.12.2006 - Rs. C-97/05, Gattoussi - Slg. 2006, I-11917 Rn. 39 f. unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 02.03.1999 - Rs. C-416/96, EI-Yassini - Slg. 1999, I-1209).

Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetz am 01.01.2005 gibt es nach innerstaatlichem Recht eine überschießende selbstständige Arbeitserlaubnis jedenfalls für Aufenthaltserlaubnisse, die nach dem genannten Datum erteilt wurden, nicht, so dass das Diskriminierungsverbot unter diesem Gesichtspunkt nicht eingreifen kann. Entweder der Aufenthaltstitel legt den Umfang der Arbeitserlaubnis nach einer behördenintern Zustimmung gem. § 39 AufenthG fest oder aber er umfasst - wie im vorliegenden Fall (vgl. § 28 Abs. 5 AufenthG) - kraft Gesetzes die Befugnis zur Ausübung einer Beschäftigung. In beiden Fällen ist die Berechtigung, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, untrennbar mit dem Aufenthaltstitel verbunden und verschafft von vornherein keine von diesem unabhängige Rechtsposition. Insoweit kommt auch ein schutzwürdiges berechtigtes Vertrauen in eine die Aufenthaltserlaubnis überschießende Arbeitserlaubnis für Aufenthaltstitel die nach dem 01.01.2005 erteilt wurden nicht in Betracht. (vgl. BVerwG Urteile vom 08.12.2009 - 1 C 14.08 - und - 1 C 16.08 -).

Ausgehend von dieser nationalen Rechtslage hat das Bundesverwaltungsgericht am 08.12.2009 entschieden, dass aus dem Diskriminierungsverbot bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Gattoussi kein Anspruch auf Neuerteilung oder Verlängerung einer befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis folgt. Denn die vom Europäischen Gerichtshofs als Voraussetzung für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels zugrunde gelegte Prämisse, dass der Mitgliedsstaat eine vom Aufenthaltsrecht unabhängige, gefestigte arbeitsgenehmigungsrechtliche Rechtsposition verliehen hat, ist nach dem innerstaatlichem Recht nicht erfüllt. Dies steht auch mit Unionsrecht in Einklang, da es zu einem dem Gesetzgeber durch das Unionsrecht nicht verwehrt ist, die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Ausländer eine Beschäftigung aufnehmen und fortsetzen darf, mit Wirkung für die Zukunft neu zu ordnen (vgl. BVerwG - 1 C 14.08 - a.a.O., Rn. 17). Zum anderen hat der Europäischen Gerichtshofs gerade nicht ausgesprochen, zur Herstellung der praktischen Wirksamkeit des Diskriminierungsverbotes sei nach nationalen Vorschriften eine überschießende Arbeitserlaubnis vorzusehen, vielmehr wird eine solche nach innerstaatlichem Recht gewährte Rechtsposition als Anknüpfungspunkt für eine Verlängerung gerade vorausgesetzt. [...]

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung und -änderung finden ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 und 2, § 39 Abs. 1 GKG. Der Streitwert im Hauptsacheverfahren wäre für beide Streitgegenstände jeweils mit dem Auffangwert in Ansatz zu bringen und daher auf insgesamt 10.000,- EUR festzusetzen. Da im Falle einer sofortigen Abschiebung in Bezug auf die Befristungsentscheidung die Hauptsache vorweggenommen würde, ist eine Reduzierung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht vorzunehmen. Da der Antragsteller über ein längerfristiges Aufenthaltsrecht verfügt, wäre es im Grundsatz auch in Bezug auf die Ablehnung einer Verlängerung bzw. der Neuerteilung nicht gerechtfertigt, den für das Hauptsacheverfahren maßgeblichen Auffangwert bezüglich der nachträgliche Befristung und Abschiebungsandrohung zu reduzieren (vgl. Senatsbeschluss vom 31.01.2011 - 11 S 2517/10 - NVwZ-RR 2011, 341). Da der Antragsteller aber insoweit nur eine weitere zeitliche Erstreckung der Aussetzung erreichen kann, erachtet es der Senat als angemessen, insofern nur den halben Auffangwert in Ansatz zu bringen. [...]