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SG Hannover

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Zitieren als:
SG Hannover, Beschluss vom 30.06.2011 - S 53 AY 49/11 ER - asyl.net: M18704
https://www.asyl.net/rsdb/M18704
Leitsatz:

Anspruch auf Analogleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG für minderjähriges Kind mit Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, deren Mutter eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt und SGB II-Leistungen bezieht. Das Kind hat die Vorbezugszeit von 48 Monaten erfüllt und seinen Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich verlängert. Die Einschränkung des § 2 Abs. 3 AsylbLG ist im Wege der Auslegung teleologisch zu reduzieren, da eine Regelungslücke vorliegt und der Wortlaut ansonsten gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würde (vgl. LSG NRW, Urteil vom 22.11.2010 - L 20 AY 49/08 - ASYLMAGAZIN 2011, S. 56 ff.).

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Analogleistungen, minderjährig, Haushaltsgemeinschaft, Auslegung, allgemeiner Gleichheitssatz
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 3, AsylbLG § 2 Abs. 1, SGG § 86b Abs. 2 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 5, AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 3, GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und gehört somit zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG).

Ein Anspruch auf Analogleistungen nach dem AsylbLG haben minderjährige Leistungsberechtigte, wenn sie in ihrer Person die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllen und der Leistungsanspruch nicht nach § 2 Abs. 3 AsylbLG eingeschränkt ist (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, AZ.: B 8/9b AY 1/07 R).

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG besteht ein Anspruch auf privilegierte Leistungen, wenn Leistungsberechtigte über eine Dauer von 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Diese Voraussetzungen liegen bei der Antragstellerin vor. Sie hat die Vorbezugszeit von 48 Monaten bereits erfüllt. Von einer rechtsmissbräuchlichen Verlängerung der Aufenthaltsdauer in Deutschland ist nicht auszugehen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Insoweit kommt es maßgeblich darauf an, ob die Antragstellerin nach § 2 Abs. 3 AsylbLG von dem Bezug von Analogleistungen ausgeschlossen ist. Entsprechend dem eindeutigen und klaren Wortlaut der Norm liegen die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes vor. Die Antragstellerin ist noch minderjährig und lebt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern, welche selbst keine Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, sondern Leistungen nach dem SGB II beziehen, in Haushaltsgemeinschaft.

Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 AsylbLG ist jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers und zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) im Wege der Auslegung teleologisch zu reduzieren. Die zusätzliche Leistungsvoraussetzung für minderjährige Kinder gilt nur in denjenigen Fällen, in denen die im gleichen Haushalt lebenden Eltern bzw. der Elternteil selbst leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sind.

Auch wenn eine Rechtsnorm ihrem Wortlaut her klar gefasst ist, kann sie lückenhaft gefasst und deshalb bei der Rechtsanwendung auszufüllen sein. Eine verfassungskonforme Auslegung findet allerdings dort ihre Grenzen, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde (BVerfG, Beschluss vom 07. April 1997, Az.: 1 BvL 11/96).

Sinn und Zweck der Regelung ist nach der Gesetzesbegründung zum 1. Änderungsgesetz zum AsylbLG (BT-Drucksache 13/2746, Seite 16) die Vereinheitlichung der Leistungsansprüche innerhalb einer zusammenlebenden Familie. Ausgangspunkt der Gesetzesänderung war, dass ohne die Neureglung in den Fällen, in denen allein die Eltern einen Asylantrag gestellt hatten und die Kinder eine Duldung besaßen, diese Anspruch auf höhere Leistungen gehabt hätten, da nach der nicht Gesetz gewordenen Entwurfsfassung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG (BT-Drucksache 13/2746) ursprünglich Analogleistungen ohne Wartefrist nur für geduldete Ausländer vorgesehen waren. Die Gesetzesbegründung stellt damit ausschließlich auf den Fall ab, in dem alle Familienmitglieder gleichzeitig zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem AsylbLG gehören. Nur dieser Situation sollte mit der Gesetzesänderung begegnet werden (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R), da eine leistungsrechtliche Besserstellung der minderjährigen Kinder bei gleicher Motivationslage aller Familienmitglieder sachlich nicht gerechtfertigt erschien. Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Intention ist eine Schlechterstellung von im Haushalt der Eltern lebenden minderjährigen Kindern, deren Eltern bereits ("höherwertige") Sozialleistungen nach anderen Gesetzen erhalten, nicht gewollt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Leistungsberechtigung der Eltern dem Grunde nach gemäß § 1 Abs. 1 AsyIbLG vorausgesetzt hat, so dass in der Folge § 2 Abs. 3 AsylbLG so auszulegen ist, dass die Leistungsberechtigung der Eltern bzw. des Elternteils nach dem AsylbLG weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 2 Abs. 3 AsylbLG ist.

Eine allein am Wortlaut orientierte Anwendung des § 2 Abs. 3 AsylbLG würde zudem auch gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Denn leistungsberechtigte minderjährige Kinder, die in einem Haushalt mit Eiter bzw. Elternteilen leben, die nach dem SGB II oder SGB XII leistungsberechtigt sind, würden gegenüber leistungsberechtigten minderjährigen Kindern, die in einem Haushalt mit Eltern (-teilen), die Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten, schlechter gestellt und damit ungleich behandelt. Der sachliche Grund der Leistungseinschränkung durch § 2 Abs. 3 AsylbLG besteht, wie oben ausgeführt darin, eine leistungsrechtliche Besserstellung von minderjährigen Kindern gegenüber den im gleichen Haushalt lebenden Eltern - bei aufenthaltsrechtlich gleicher Interessenslage - zu vermeiden, wenn die Eltern nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beziehen. Soweit ein Elternteil nach § 2 Abs. 1 AsylbLG leistungsrechtlich privilegiert ist, ist es nicht mehr gerechtfertigt, die im gleichen Haushalt lebenden Kinder, die selbst die. Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllen, auf den Bezug von Grundleistungen zu verweisen. Noch immer leistungsberechtigt nach dem AsylbLG, verfügen diese Eltern unverändert über kein verfestigtes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Verglichen mit der Gruppe der minderjährigen Kinder, deren Eltern eine dauerhafte Bleibeperspektive mit entsprechendem Aufenthaltsstatus haben, ist eine Ungleichbehandlung durch die Einschränkung nach § 2 Abs. 3 AsylbLG sachlich nicht zu begründen. Der Leistungsanspruch der Eltern dieser Vergleichsgruppe richtet sich bei Bedürftigkeit nach dem SGB II oder SGB XII. Eine leistungsrechtliche Besserstellung der (noch) nach dem AsylbLG leistungsberechtigten Kinder im gleichen Haushalt ist insoweit ausgeschlossen (SG Hildesheim, Urteil vom 28. Januar 2010, Az.: S 40 AY 158/08), Dies gilt umso mehr, als dass diese Benachteiligung unabweislich bis zum Eintritt der Volljährigkeit, und damit ggf. über Jahre hinweg, die Betroffenen belastet.

Die von der Antragsgegnerin herangezogene Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 17. Juni 2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R ist insoweit nicht weiterführend, als dass es dort allein um die klärungsbedürftige Frage ging, ob der Bezug von Analogleistungen durch die Eltern einen entsprechenden Anspruch der Kinder zu begründen vermag, wenn diese die Vorbezugszeit von 48 Monaten selbst noch nicht erfüllt haben. Eine Fallkonstellation wie die vorliegende lag dieser Entscheidung nicht zu Grunde, da dort auch die Elternteile Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG waren.

Das Argument, der Gesetzgeber habe ausreichend Gelegenheit gehabt den Wortlaut der Norm entsprechend zu ändern und die vorliegende Fallkonstellation aus der Regelung des § 2 Asb. 3 AsylbLG herauszunehmen, führt zu keiner anderen Betrachtung, da insoweit gerade eine Regelungslücke im Gesetz vorliegt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. November 2010, Az.: L 20 AY 49/08).

Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf die ausführliche Argumentation in der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22. November 2010, Az.: L 20 AY 49/08 sowie der Entscheidung des SG Hildesheim vom 28. Januar 2010, Az.: S 40 AY 158/08.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht, da es sich um existenzsichernde Leistungen handelt. [...]