Ablehnung eines Antrags auf Abschiebungshaft während eines Dublin-Verfahrens. Dem Betroffenen wird per se unterstellt, er wolle sich der Abschiebung entziehen; hierfür müsste er denknotwendig zumindest Kenntnis von seinem Abschiebetermin haben. Die Grundrechte des Betroffenen stehen stets im Vordergrund, es geht gerade nicht darum, der Ausländerbehörde eventuell die Arbeit zu erleichtern. Es kann nicht vorsorglich jemand in Haft genommen werden. Die Abschiebungshaft ist auch kein Beugemittel. Die anvisierte Vorgehensweise des Landratsamts kommt einer Überrumpelungsaktion gleich, den Betroffenen nicht in Kenntnis setzen zu wollen, das Gericht aufzufordern, ohne Wahrung jeglichen rechtsstaatlichen Verfahrens mit Anhörung und Inkenntnissetzung des bevollmächtigten Rechtsanwalts, eine Haft quasi vom Schreibtisch aus anzuordnen, nur um zu gewährleisten, dass der Ausländer sich nicht eventuell potentiell und möglicherweise einer Abschiebung entziehen könnte.
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Der zulässige Antrag ist völlig unbegründet.
1.) Das Amtsgericht Kronach ist gemäß den §§ 23a Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 6 GVG und § 416 S. 1 FamFG sachlich und örtlich zuständig. Auch liegt ein Antrag der zuständigen Behörde im Sinne von § 417 Abs. 1 FamFG vor.
2.) Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die sachlichen materiellen Abschiebehaftgründe liegen nicht vor. Auch liegen die Voraussetzungen der einstweiligen dringlichen Anordnung gemäß § 427 FamFG offensichtlich nicht vor.
Darüber hinaus kann dahinstehen, dass das Landratsamt Kronach hier einen offensichtlich evident rechtswidrigen Haftbefehl erreichen will, da die Anhörung das Kernstück des Haftverfahrens gemäß § 420 FamFG ist. Das pflichtwidrige Unterbleiben einer Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensmangel dar, der dazu führt, dass eine etwaige Haftanordnung rechtswidrig ist und bereits keine Haft im Sinne des Gesetzes, sondern eine Freiheitsberaubung darstellt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 12.03.2008, Az.: 2 BvR 2042/05, OLG Düsseldorf v. 28.03.2008, Az.: I-3Wx 55/08). Die beabsichtigte Vorgehensweise des Landratsamtes, nämlich den Betroffenen in Unkenntnis von etwaigen Abschiebeterminen zu lassen und auch diesen vor etwaigen Haftanhörungen nicht mal anhören zu wollen, lässt jegliches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit missen.
Dem betroffenen Ausländer, der nicht einmal Kenntnis von der beabsichtigten Abschiebung und dem entsprechenden Termin durch das Landratsamt erhalten hat, wird per se unterstellt, er wolle sich der Abschiebung entziehen. Die Abschiebehaft stellt einen Freiheitsentzug im Sinne des Artikel 104 Grundgesetz dar. Die Grundrechte des Betroffenen haben daher stets im Vordergrund zu stehen, es geht gerade nicht darum, der Ausländerbehörde eventuell die Arbeit zu erleichtern.
a.) Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 S. 1 AufenthG der Vorbereitungshaft bzw. § 62 Abs. 2 Ziffer 1 a AufenthG liegen, wie das Landratsamt zutreffend erkennt, nicht vor.
b.) Die Voraussetzungen der Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG liegen nicht vor.
aa.) Zwar liegt hier ein Verwaltungsakt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit der abschlägigen Verbescheidung des Asylantrages vom 24.06.2011 und der Abschiebungsanordnung nach Norwegen vor. Dieser Bescheid ist dem Betroffenen nach Auskunft des Landratsamtes (und nach deren Auffassung unverständlicherweise) wohl zugestellt worden, zumindest hat dieser Kenntnis von dem Bescheid.
bb.) Die weiteren Grundvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 AufenthG, nämlich, dass der Ausländer der Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen will, also das sog. "Abschiebungserfordernis" (vgl. Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn 12) ist bereits nicht zureichend dargelegt. In Anbetracht dessen, dass der betroffene Ausländer hier nicht mal Kenntnis davon erlangt, wann er abgeschoben werden soll, kann ihm nicht per se unterstellt werden, dass er sich dieser Abschiebung entziehen werde. Der Ausländer konnte gar nicht zu erkennen geben, ob er sich der Ausreiseverpflichtung nicht stellen wird, wenn er nicht mal Kenntnis von der Tatsache hat, dass er am 19.07.2011 abgeschoben werden soll.
cc.) Auch muss berücksichtigt werden, dass dem Landratsamt Kronach bekannt ist, dass gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beim Verwaltungsgericht Bayreuth ein Verwaltungsverfahren anhängig ist.
dd.) Auch ist kein Haftgrund gegeben, mal abgesehen von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der der Anordnung entgegensteht.
(1) Beim Tatbestand des § 62 Abs. 2 S. 1 Ziffer 1 AufenthG, worauf nunmehr der Antrag des Landratsamtes Kronach gestützt wird, ist neben der illegalen Einreise weiterhin erforderlich gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 AufenthG, dass der Ausländer nicht glaubhaft macht, dass ein Entziehen der Abschiebung nicht erfolgen wird. Eine dahingehende Glaubhaftmachung kann indes denknotwendig auch nur erfolgen, wenn der Ausländer zumindest mal Kenntnis von der beabsichtigten Abschiebung hat. Vorliegend soll aber rein vorsorglich für die eventuelle Möglichkeit, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen möchte, ein Haftbefehl erlassen werden. Die Tatsache, dass der Betroffene sich in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in der ... in Kronach nun aufhält und dort auch regelmäßig zurückkehrt, lässt gerade nicht darauf schließen, dass er sich dauerhaft den Maßnahmen von Behörden entzieht oder entziehen wird bzw. ständig am Untertauchen ist.
Auch verkennt das Landratsamt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit völlig, wenn es umgekehrt argumentiert, dieser sei gewahrt, da ja nicht offensichtlich sei, dass der Ausländer sich der Abschiebung nicht entziehen wolle. Im Gegenteil, die Tatsache, dass der Betroffene sowohl in Norwegen als auch in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, zeigt ja gerade, dass er sich um ein legales Bleiberecht bemüht.
(2) Auch die anderen Haftrgründe liegen nicht vor. Der Tatbestand des § 62 Abs. 2 S. 1 Ziffer 2 AufenthG setzt voraus, dass die Behörde, nämlich das Landratsamt Kronach, dem Ausländer eine abgelaufene Ausreisefrist gesetzt hat und dieser sich dann ohne Mitteilung an die Behörde dem Verfahren durch Untertauchen, nämlich durch unbekannten Aufenthaltsort entzieht. Insbesondere muss die Behörde aber auch hier den Ausländer zuvor über die Folgen eines nicht mitgeteilten Aufenthaltswechsels aufklären, Dies alles setzt auch wiederum Kenntnis des Betroffenen und ein rechtsstaatliches Verfahren voraus (vgl. Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn 16).
(3) Auch § 62 Abs. 2 S. 1 Ziffer 3 AufenthG ist nicht erfüllt. Hier müsste der Ausländer am Abreisetermin verschuldet nicht angetroffen worden sein. Dies ist aber auch dann nicht erfüllt, wenn der Betroffene lediglich kurzfristig abwesend war, auch beim erstmaligen Verpassen des entsprechenden Termins dürfte noch keine Haft angeordnet werden. Stets erforderlich ist die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Termins durch die entsprechende Ausländerbehörde (vgl. Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn 17).
(4) Auch § 62 Abs. 2 S. 1 Ziffer 4 AufenthG das Entziehen der Abschiebung in sonstiger Weise setzt voraus, dass bereits eine Abschiebungsvereitelung vorgelegen hat. Dies ist hier nicht ansatzweise der Fall.
(5) Die Generalklausel des § 62 Abs. 2 S. 1 Ziffer 5 AufenthG, der begründete Verdacht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen wolle, ist nach der Rechtsprechung restriktiv zu handhaben (vgl. Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn 19). Die bloße Möglichkeit einer solchen Absicht genügt ebenso wenig, wie eine lediglich dahingehende allgemeine Vermutung (vgl. Bayerisches Oberlandesgericht NVwZ, Beilage 1998, Seite 124 ff.).
ee.) Auch die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG sind nicht gegeben.
Es sei bereits darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine Ermessensvorschrift handelt, diese ist auch im Lichte der anderen Tatbestände des § 62 Abs. 2 S. 1 Ziffer 1-5 auszulegen. Der hohe organisatorische Aufwand der Behörde ist sicherlich ein Indiz, kann allein jedoch nicht ausreichen. Auf jeden Fall muss die Absicht einer Vereitelung der Abschiebung von Seiten des Betroffenen vorliegen (OLG München vom 17.11.2009, FG Prax 2010, Seite 51 ff., Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn 21.). Die Absicht der Vereitelung der Abschiebung von Seiten des Betroffenen kann indes nur dann begründet werden, wenn der Betroffene denknotwendig zumindest einmal Kenntnis von seinem Termin der Abschiebung hat und durch sein Verhalten gezeigt hat, dass er diesen nicht wahrnehmen wird.
Es setzt, um auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, daher wohl immer voraus, dass zumindest ein Versuch gescheitert ist. Es kann nicht vorsorglich jemand in Haft genommen werden. Die bloße pauschale Behauptung, er habe sich bereits in Norwegen einmal der Aufenthaltsbeendigung entzogen, kann hier nicht durchgreifen. Unabhängig davon, dass dieser eine Satz unsubstantiiert ist, zeigt gerade der Antrag auf Asyl sowohl in Norwegen als auch in Deutschland und auch, dass die bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei das Verwaltungsverfahren mit Rechtsmitteln wählt, dass der Betroffene um eine rechtsstaatliche legitime Bleibegenehmigung bemüht ist.
Auch ist dem Landratsamt Kronach bekannt, dass vor dem Vewalungsgericht Bayreuth noch ein Verfahren läuft. Dessen Ausgang ist abzuklären und abzuwarten. Die Abschiebehaft ist gerade kein Beugemittel (vgl. auch Bundesverfassungsgericht vom 27.02.2009, Az.: 2 BvR 538/07 in NJW 2009, Seite 2659 ff.). Die Tatsache, dass vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth ein Verfahren noch anhängig ist, ist nämlich relevant für das Tatbestandsmerkmal in § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG, nämlich der Möglichkeit der Abschiebung in drei Monaten. Solange das Verfahren dort nicht abgeschlossen ist und nicht absehbar ist, ob dieses innerhalb der Dreimonatsfrist erledigt ist, kann die Abschiebung durch Haft nicht vorweg genommen werden.
ff.) Unabhängig davon sieht das Gericht auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nämlich auch nochmals die Frage nach der freiwilligen Erfüllung der Ausreisepflicht zu hinterfragen. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf (vgl. Beschluss v. 13.06.2006, Az.: I-3 Wx 140/06) soll selbst bei Mittellosigkeit dem Ausländer zunächst die Möglichkeit gegeben werden, sich Geld für die Fahrt oder den Flug zu besorgen. Auch soll die Ausländerbehörde nach weitergehender Auffassung verpflichtet sein, die Kosten vorzufinanzieren.
Auf jeden Fall steht die Unkenntnis vom beabsichtigten Abschiebetermin jeglichem Tatbestandsmerkmal entgegen. Die anvisierte Vorgehensweise des Landratsamts Kronach - Ausländerbehörde - kommt einer Überrumpelungsaktion gleich, den Betroffenen nicht in Kenntnis setzen zu wollen, das Gericht aufzufordern, ohne Wahrung jeglichen rechtsstaatlichen Verfahrens mit Anhörung und Inkenntnissetzen des bevollmächtigten Rechtsanwaltes, eine Haft quasi vom Schreibtisch aus anzuordnen, nur um zu gewährleisten, dass der Ausländer sich nicht eventuell potentiell und möglicherweise einer Abschiebung entziehen könnte.
c.) Auch die Argumentation des Landratsamtes, die Bundespolizei übernehme den Betroffenen nur, wenn ein Haftbefehl vorliege, weil der Freiheitsentzug durch den Transportweg zum Flughafen die Grenze der bloß freiheitsbeschränkenden Maßnahme überschreite, geht fehl. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in dem für die rechtmäßige Abschiebung erforderlichen Maß ist keine Freiheitsentziehung, solange reiseübliche Unterbrechungen (Wartezeit vor Abflug) etc. zu überbrücken sind, vgl. auch Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn 4, BVerfG vom 15.05.2002, Az: 2 BvR 2292/00.
d.) Die Anordnung nach § 427 FamFG stellt darüber hinaus einen erheblichen Grundrechtseingriff dar und ist nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. So ist vorliegend, da es sich um eine geplante Maßnahme handelt, bereits nicht ersichtlich, weshalb kein Hauptsacheverfahren durchgeführt werden sollte. Ein dringendes Bedürfnis im Sinne des § 427 Abs. 1 FamFG ist ebenso wenig, wie eine gesteigerte Dringlichkeit im Sinne des § 427 Abs. 2 FamFG ersichtlich. Nur am Rande sei angemerkt, dass es eines medizinischen Sachverständigengutachtens bedürfte, um ein Absehen von einer Anhörung begründen zu können, vgl. auch Bumiller/Harders, § 427 FamFG, Rn 7, 9, 11, 12. [...]