VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 17.06.2011 - 10 K 2451/10 - asyl.net: M18752
https://www.asyl.net/rsdb/M18752
Leitsatz:

Kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (Wirbelsäulenerkrankung, Herzmuskelerkrankung, Hypertonie, Magengeschwür), da hinreichende Behandlungsmöglichkeit im Kosovo. Auch wenn die verordneten Medikamente nicht in der Essential Drug List aufgenommen sind, können sie auf eigene Kosten auf dem freien Arzneimittelmarkt beschafft werden; hierauf kommt es aber nicht an, da der Kläger auf andere Medikamente verwiesen werden kann. Dass der Zugang zu der medizinischen Versorgung wegen der Roma-Zugehörigkeit erhebliche Probleme aufwerfen würde, ist nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen nicht zutreffend. Der Kläger ist arbeitsfähig und kann daher auch im Kosovo Arbeit finden, wenn auch aller Voraussicht nach nur im informellen Bereich. Nach der Rechtsprechung der Kammer entspricht zudem eine finanzielle Unterstützung der Angehörigen dem traditionellen Familienzusammenhalt der Bevölkerungsgruppe seines Herkunftslandes, zu der der Kläger gehört.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Roma, Maxhup, Herzerkrankung, Wirbelsäulenveränderung, Magengeschwür, Hypertonie, medizinische Versorgung, Medikamente, Mitgabe von Medikamenten,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Hiervon ausgehend lässt sich nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Kläger aus den von ihm geltend gemachten Erkrankungen und fehlenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo nicht herleiten.

Nach dem im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren zur Begründung des Folgeantrags vorgelegten Ärztlichen Gutachten des Internisten Dr. med. ..., Saarbrücken, vom 16.04.2010 liegen bei dem Kläger mehrere Gesundheitsstörungen vor - und zwar eine intermittierende absolute Arrhythmie bei VHF (Vorhofflimmern) bei hypertensiver CMP (Cardiomyopatie = Herzmuskelerkrankung), arterielle Hypertonie, Ulcus ventriculi (Magengeschwür), Zustand nach Hirnstammischämie (Durchblutungsstörung bzw. Schlaganfall) im Jahre 2003, Zustand nach Herniotomie beidseits (Leistenbruchoperation), Nikotinabusus und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule. Die zu den attestierten Gesundheitsstörungen gegebenen Erläuterungen in dem ärztlichen Gutachten werden durch das neuere im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Ärztliche Gutachten des Dr. med. ... vom 14.02.2011, das inhaltlich wortwörtlich dem Gutachten vom 16.04.2010 entspricht und deren in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Ärztliche Bescheinigung vom 14.06.2011, wonach der Kläger dort in regelmäßiger internistischer Dauerbehandlung steht, bestätigt. Nach Aufzählung der festgestellten Diagnosen in den beiden Ärztlichen Gutachten unter der Überschrift "Aktuell" wird der derzeitige Gesundheitszustand näher erläutert. [...]

Spricht mithin die im Kosovo vorfindliche Medikation für die gegebene Möglichkeit der medikamentellen Behandlung der Erkrankungen des Klägers, so muss dieser sich auf diese Medikation zumutbar verweisen lassen. Dies erst Recht, nachdem den vorgelegten Attesten zu entnehmen ist, dass hinsichtlich der Erkrankung des Klägers eine gewisse Stabilität eingetreten ist und die Medikamente im Wesentlichen vorbeugend gegeben werden. Keine Zweifel hat die Kammer auch daran, dass der Kläger im Kosovo die erforderlichen regelmäßigen Blutdruckmessungen und übrigen auf seine Krankheit bezogenen Routineuntersuchungen durchführen lassen kann. Durch diese Behandlung kann ersichtlich der erreichte stabile Zustand der Erkrankungen des Klägers erhalten und eine wesentliche Verschlimmerung verhindert werden mit der Folge, dass von daher nicht von vorliegenden Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auszugehen ist.

Wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat, sind auch die dem Kläger verabreichten Medikamente im Kosovo erhältlich, aber nicht in die Essential Drug List aufgenommen mit der Folge, dass sie auf dem freien Arzneimittelmarkt auf eigene Kosten zu beschaffen sind. Hierauf kommt es hier aber nicht an, da der Kläger, wie dargelegt, auf andere Medikamente innerhalb der o.a. Listung verwiesen werden kann. Von daher stellt sich die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Kläger auf die von der Ausländerbehörde gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 18.11.2010 (Bl. 51 GA) erklärte Bereitschaft, dem Kläger einen Vorrat der ihm verabreichten Medikamente zur Abdeckung des Bedarfs über zwei Jahre mitzugeben, verwiesen werden kann und ob es sich dabei um eine Zusicherung im Sinne von §§ 38, 41 Abs. 1 VwVfG handelt (vgl. dazu etwa Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage 2008, § 38 Rdnr. 69) nicht als entscheidungserheblich dar.

Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass der Kläger bei Rückkehr in den Kosovo auch nicht aus finanziellen Gründen von der erforderlichen Krankheitsbehandlung, auch wenn hierzu Eigenbeiträge entrichtet werden müssen, ausgeschlossen sein wird und er auch seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann. [...]

Dass der Zugang zu der medizinischen Versorgung für die Klägerin wegen ihrer Roma-Volkszugehörigkeit erhebliche Probleme aufwerfen würde, wie die Klägerin meint, ist nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen nicht zutreffend. Zwar weist der UNHCR darauf hin, dass der Zugang zur medizinischen Grundversorgung für (Kosovo-Serben und) Kosovo-Roma über die Paralleleinrichtungen im Kosovo erfolgte, deren Erstarken die ethnische Trennung der Kosovo-Serben und Kosovo-Roma von der mehrheitlich kosovo-albanischen Bevölkerung fortgesetzt habe und an die sich die in der Minderheit befindlichen Kosovo-Serben und Kosovo-Roma für soziale und administrative Dienstleistungen vorrangig wendeten Ausweislich der Stellungnahmen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ist der Zugang zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten des öffentlichen Gesundheitssystems für die Bevölkerung im Kosovo jedoch unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft gewährleistet; Fälle, in denen Personen der Zugang verwehrt worden sei, weil sie Angehörige einer der im Kosovo lebenden Minderheitengemeinschaften seien, seien nicht bekannt. Auch der European Return Fund sieht für Minderheiten insoweit - sogar ausdrücklich für Peje - kein Zugangs-, sondern ein Finanzierungsproblem. [...]

Im Übrigen ist der Kläger, der hier arbeitet, mithin also arbeitsfähig ist, und daher auch im Kosovo, wenn aller Voraussicht nach nur im informellen Bereich, Arbeiten finden kann, auch auf die Unterstützung zumindest seiner dort lebenden Verwandten, seiner Mutter und zweier im Kosovo lebender Brüder sowie auf Transferleistungen weiterer im Bundesgebiet lebender Verwandter - nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zwei Brüder und zwei Schwestern - zumutbar zu verweisen. [...]

Nach der Rechtsprechung der Kammer entspricht eine derartige finanzielle Unterstützung dem traditionellen Familienzusammenhalt der Bevölkerungsgruppe seines Herkunftslandes, zu der der Kläger gehört. [...]