VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 07.04.2011 - 8 K 3345/08 - asyl.net: M18756
https://www.asyl.net/rsdb/M18756
Leitsatz:

Einem zu Studienzwecken eingereisten türkischen Staatsangehörigen kann bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zukommen. Überschreitet seine "Nebentätigkeit" allerdings die zeitlichen Grenzen des § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, fehlt es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltsrecht, Assoziationsberechtigte, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, türkische Staatsangehörige, Studium, Erwerbstätigkeit, ordnungsgemäße Beschäftigung, Arbeitnehmerbegriff, Aufenthaltserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Aufenthaltszweck
Normen: AufenthG § 16 Abs. 3 S. 1, ARB 1/80 Art. 6 Abs. 1, ArbZG § 3
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers, ihm einem Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu erteilen, jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Nach Art. 6 Abs. 1 ARB hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung einen Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Abgesehen von der Verlängerung der Arbeitserlaubnis kann sich ein türkischer Arbeitnehmer auch zur Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unmittelbar auf diese Vorschrift berufen, da das Aufenthaltsrecht für den Zugang zur Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unbedingt erforderlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 - C 237/91 -, EuGHE I 1992, 6781).

Zwar dürfte die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu bejahen sein. Insoweit geht die Kammer zunächst nunmehr, abweichend von der noch in ihrem Beschluss vom 7. Mai 2007 - 8 L 2494/06 - geäußerten Auffassung, unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 24. Januar 2008 - C-294/06 -, InfAuslR 2008, 149) davon aus, dass dem Begriff des Arbeitnehmers nach der genannten Vorschrift nicht der Umstand entgegensteht, dass der Kläger zum Zwecke des Studiums in das Bundesgebiet eingereist ist und eine Erwerbstätigkeit nur im Rahmen des § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gestattet war bzw. ist (vgl. in diesem Sinne auch Hess. VGH, Urteil vom 8. April 2009 - 11 A 2264/08 -, InfAuslR 2009, 325).

Als Arbeitnehmer ist letztlich jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Auch die Höhe der für die geleistete Tätigkeit gezahlten Vergütung hat keinen Einfluss auf die Arbeitnehmereigenschaft (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - C-14/09 -, InfAuslR 2010, 225).

Danach ist es im Falle des Klägers auch unschädlich, dass er lediglich zu einem Bruttogehalt von 500,- bzw. 400,- Euro beschäftigt war bzw. noch ist, zumal - schon mit Blick auf den zeitlichen Umfang (dazu noch sogleich) - jedenfalls nicht von einer völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeit ausgegangen werden kann.

Im Falle des Klägers fehlt es jedoch an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Eine solche setzt neben einer gesicherten und nicht nur vorläufigen Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates voraus, dass der türkische Arbeitnehmer im Besitz der erforderlichen Erlaubnis für die von ihm ausgeübte Erwerbstätigkeit ist (vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - C-1-188/00 -, InfAuslR 2003, 41, und vom 10. Februar 2000 - C-340/97 -, InfAuslR 2000, 161).

Zwar verfügte der Kläger bis zum Ablauf der zum Zwecke des Studiums erteilten Aufenthaltserlaubnis am 2. Mai 2009 über eine gesicherte Aufenthaltsposition. Die bis zum Ablauf der Aufenthaltserlaubnis bereits seit mehr als einem Jahr ausgeübte Beschäftigung in der Trinkhalle seiner Schwester, Frau U, war aber nicht von der gesetzlichen Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung nach § 16 Abs. 3 AufenthG gedeckt. Nach dieser Vorschrift berechtigt die zum Zwecke des Studiums erteilte Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in den dort vorgesehenen engen Grenzen von höchstens 90 Tagen im Jahr oder alternativ höchstens 180 halben Tagen im Jahr. Dabei sind als halber Arbeitstag Beschäftigungen bis zu einer Höchstdauer von vier Stunden anzusehen, wenn die regelmäßige Arbeitszeit der weiteren Beschäftigten acht Stunden (vgl. § 3 ArbZG) beträgt. Eine über vier Stunden hinausgehende Beschäftigung ist demgemäß als ganztägig zu (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Juni 2009 - 18 B 979/08 -, juris, und vom 16. Juli 2010 - 18 E 1527/09 -; Walther, in: GK-AufenthG, Stand November 2006, § 16 Rn. 25).

Nach seinen eigenen Angaben arbeitet der Kläger in der Trinkhalle seit Aufnahme der dortigen Tätigkeit ab dem 1. Juni 2005 (mit kurzer Unterbrechung vom 1. Oktober 2008 bis zum 1. Januar 2009) wöchentlich fünf Tage pro Woche für jeweils zwei Stunden. Da es sich mithin um eine zeitliche Beschäftigung von bis zu vier Stunden täglich handelt, ist der Kläger nach den vorgenannten Maßgaben rechtlich so zu behandeln, als übe er eine Erwerbstätigkeit von durchschnittlich 20 halben Tagen im Monat aus. Damit werden die nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zulässigen 180 halben Tage im Jahr bei weitem überschritten. Der im Schriftsatz des Klägers vom 1. Juli 2008 vertretene Ansatz, es müsse eine Gesamtberechnung dergestalt vorgenommen werden, dass sich bei zulässiger Beschäftigung an 90 Tagen zu je acht Stunden bzw. an 180 Tagen zu je vier Stunden ein Gesamtstundenkontingent für das Jahr von 720 Stunden ergebe, geht fehl.

Es ist nämlich entgegen der daraus ersichtlichen Auffassung nicht irrelevant, wann und an wie vielen Tagen die zeitlichen Arbeitsleistungen erbracht werden. Die rechnerische Verteilung der Stunden auf einzelne Tage im Monat sieht der eindeutige und einen zeitlichen Rahmen vorgebende Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht vor. Zwar bezweckte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine an die Bedürfnisse der Praxis angepasste Arbeitsmarktzulassung ausländischer Studenten während des Studiums. Eine in das Belieben der Studenten gestellte flexible Ausgestaltung der täglichen Arbeitszeit bei Einhaltung der nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG rechnerisch ermittelten Höchststundenzahl sollte aber nicht ermöglicht werden. In einem solchen Fall hätte sich der Gesetzgeber darauf beschränken können, die zulässige Gesamtdauer der Beschäftigung durch die Angabe einer jährlichen Höchststundenzahl anzugeben. Hiervon hat er indes abgesehen und gerade durch die Verteilung der Arbeitszeit auf Tage bzw. halbe Tage zu erkennen gegeben, dass jedenfalls bei der von ihm vorgegebenen Ausgestaltung der Erwerbstätigkeit regelmäßig nicht die Gefahr einer Beeinträchtigung des Studienerfolgs gesehen wird, die der in § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfolgten generellen Zulassung der Erwerbstätigkeit entgegensteht. Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führen zu demselben Ergebnis. Der mit § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verfolgte Regelungszweck setzt voraus, dass die zulässige Beschäftigungsdauer insbesondere für den Ausländer ohne Weiteres erkennbar ist. Dieses Ziel wird mit einer eindeutigen gesetzlichen Regelung erreicht, wie sie § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG enthält (so OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2009 - 18 B 979/08 -, a.a.O., unter Hinweis auf die Gesetzgebungsmaterialien).

Eine Beschäftigung, die nicht bereits nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG genehmigungsfrei erlaubt ist, mag zwar im Einzelfall zugelassen werden, wenn dadurch der auf das Studium beschränkte Aufenthaltszweck nicht gefährdet wird (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2009 - 18 B 979/08 -, a.a.O.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand April 2008, § 16 Rn. 66 f.).

Im Besitz einer entsprechenden Genehmigung ist der Kläger indes nicht. Der am 17. Oktober 2008 gestellte Antrag auf Genehmigung einer Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter in dem Trinkhallenbetrieb seiner Schwester wurde mit (bestandskräftiger) Ordnungsverfügung der Beklagten vom 5. Dezember 2008 abgelehnt. [...]