VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.07.2011 - 11 S 1658/11 - asyl.net: M18779
https://www.asyl.net/rsdb/M18779
Leitsatz:

Der Streitwert in aufenthaltsrechtlichen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entspricht dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000 EUR, wenn dem Ausländer bereits durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels ein auf längere Dauer angelegter legaler Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht worden war (ständige Senatsrechtsprechung). Dieser Streitwert ist in der Regel nicht zu erhöhen, wenn sich der Ausländer gegen die sofortige Vollziehbarkeit mehrerer, rechtlich selbständig zu beurteilender ausländerrechtlicher Maßnahmen wendet (wie Ausweisung, Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Gegenstandswert, Gesamtstreitwert, Streitwert, Streitwertfestsetzung, vorläufiger Rechtsschutz, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Ausweisung, Abschiebungsandrohung, Beschwerde, Ermessen,
Normen: GKG § 68 Abs. 1 S. 5, GKG § 66 Abs. 6 S. 1, VwGO § 143 Abs. 3, VwGO § 80 Abs. 5, GKG § 52 Abs. 2, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Über die Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts für den ersten Rechtszug durch einen Einzelrichter bzw. Berichterstatter des Verwaltungsgerichts entscheidet im zweiten Rechtszug der Berichterstatter als Einzelrichter (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG; vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.06.2006 - 9 S 1148/06 - NVwZ-RR 2006, 648).

Die nach § 146 Abs. 3 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. In dem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat der Antragsteller der Sache nach die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner am 26.10.2010 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobenen Klage - 4 K 2955/10 - gegen die Ausweisung, die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 05.10.2010 beantragt. Für dieses Verfahren ist ein Streitwert von insgesamt 5.000,-- EUR – und nicht nur, wie im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19.05.2011, in Höhe von 2.500,-- EUR – festzusetzen. Er beträgt aber, entgegen der Auffassung des Antragstellers, nicht sogar 10.000,-- EUR.

Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000,-- EUR anzunehmen. Diese Regelungen gelten gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG auch für Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wie das vorliegende.

Allgemeiner gerichtlicher Spruchpraxis entspricht es dabei, in Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den in der Hauptsache anzunehmenden Streitwert regelmäßig zu halbieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 17.11.2005 - 11 S 611/05 - juris und vom 20.02.2004 - 4 S 2381/03 - NVwZ-RR 2004, 619; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, Anh. § 164 Rn. 11, m.w.N.). Dies erscheint typischerweise im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Eilverfahrens und die damit regelmäßig verbundene - im Vergleich zum Hauptsacheverfahren - geringere Relevanz des Eilrechtsschutzes für den Betreffenden gerechtfertigt (vgl. auch Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 07./08.07.2004, NVwZ 2004, 1327). Andererseits ist bei einer gesteigerten Bedeutung der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz, etwa wenn die Entscheidung in der Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen wird, der Streitwert entsprechend höher anzusetzen (ebenso Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs, a.a.O.; vgl. Senatsbeschluss vom 17.11.2005 - 11 S 611/05 - juris, m.w.N.). Von einer solchen gesteigerten Bedeutung geht der Senat in ständiger Rechtsprechung regelmäßig dann aus, wenn der Ausländer sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen eine seine Ausreisepflicht begründende ausländerrechtliche Maßnahme - wie z.B. die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung, die Rücknahme oder die Befristung einer Aufenthaltserlaubnis oder aber eine Ausweisung - wendet und ihm zuvor bereits durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels ein auf längere Dauer angelegter legaler Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht worden war. In einem solchen Fall ist in der Regel auch im Eilverfahren von dem für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden (Auffang-) Streitwert in Höhe von 5.000,-- EUR (§ 52 Abs. 2 GKG, vgl. Ziff. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, a.a.O.) auszugehen (vgl. Senatsbeschlüsse 31.01.2011 - 11 S 2517/10 - juris, vom 29.11.2007 - 11 S 1702/07 - VBlBW 2008, 193 und vom 17.11.2005, a.a.O., jeweils m.w.N.). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es dem Ausländer durch die Erteilung des Aufenthaltstitels ermöglicht worden ist, eine Lebensgrundlage im Bundesgebiet aufzubauen oder jedenfalls hiermit zu beginnen. Der Senat schließt aus den mit der - freiwilligen oder erzwungenen - Ausreise verbundenen besonderen faktischen Folgen (Verlust von Arbeitsstelle, Wohnung und sozialem Umfeld), denen insbesondere eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukommt, dass der Ausländer bereits im Eilverfahren ein Interesse an der erstrebten Entscheidung hat, das demjenigen im Hauptsacheverfahren gleichkommt; denn selbst wenn er im Hauptsacheverfahren obsiegen würde, wären die mit der Ausreise verbundenen Folgen nicht mehr ohne weiteres und in der Regel auch nicht in vollem Umfang wieder zu beseitigen (vgl. näher Senatsbeschlüsse vom 31.01.2011 und vom 17.11.2005, jeweils a.a.O.). Der Streitwert ist hingegen zu halbieren, wenn dem in der Vergangenheit erteilten Titel aus seinem Zweck heraus von Vornherein die Eignung fehlt, hierauf einen längerfristigen Aufenthalt zu stützen. Dies ist etwa der Fall bei einer Au-Pair Beschäftigung (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 31.01.2011, a.a.O.) oder wenn ein Ausländer, welcher nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels war oder ist, unter Berufung auf Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die Abschiebung vorläufig (weiterhin) auszusetzen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 11.11.2010 - 11 S 2475/10 - AuAS 2011, 20, m.w.N.).

Somit ist im vorliegenden Fall bezüglich der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der volle Streitwert anzusetzen. Der Antragsteller war bereits im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, deren Verlängerung er beantragt hat. Dass diese auf ein Jahr – bis zum 03.09.2009 – befristet war, ändert nichts daran, dass es sich um eine auf einen längerfristigen Aufenthalt ausgerichtete Aufenthaltserlaubnis gehandelt hat. Dies rechtfertigt es, sein Interesse an der erstrebten Entscheidung im Eilverfahren ebenso hoch zu bemessen wie in einem Hauptsacheverfahren.

Der sich danach ergebende Streitwert von 5.000,-- EUR ist entgegen der Auffassung des Antragstellers hier jedoch nicht weiter zu erhöhen. Zwar ist Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO auch die im Bescheid vom 05.10.2010 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung. Während im Klageverfahren der Abschiebungsandrohung keine streitwerterhöhende Bedeutung beizumessen wäre, wenn diese - wie hier - mit dem die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt verbunden ist (vgl. Ziff. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs, a.a.O.), wäre der für die Ausweisung als selbständiger Streitgegenstand anzusetzende Streitwert von 5.000,-- EUR (vgl. Ziff. 8.2 des Streitwertkatalogs, a.a.O.) hinzuzurechnen (vgl. § 39 GKG). Im Klageverfahren würde sich danach ein Streitwert von insgesamt 10.000,-- EUR ergeben. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist jedoch eine Erhöhung des sich bereits hinsichtlich einer die Ausreisepflicht begründenden ausländerrechtlichen Maßnahme – wie hier die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis – ergebenden Streitwerts in der Regel in den Fällen nicht angezeigt, in denen sich der Ausländer gegen die sofortige Vollziehbarkeit mehrerer, rechtlich selbständig zu beurteilender ausländerrechtlicher Maßnahmen wendet, wie Ausweisung, Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung (vgl. Senatsbeschluss vom 04.11.1992 - 11 S 2216/92 - juris). Denn maßgeblich für die Höhe des Streitwerts ist die Bedeutung der Sache für den betreffenden Ausländer. Diesem geht es im Eilverfahren ganz wesentlich darum, vorläufig weiter im Bundesgebiet bleiben zu können. Dem Umstand, dass die Behörde mehrere sofort vollziehbare Maßnahmen ergriffen hat, kommt deshalb in diesen Fällen keine für die Streitwertfestsetzung maßgebliche Bedeutung zu. [...]