VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 21.06.2011 - 1 K 457/11.TR - asyl.net: M18805
https://www.asyl.net/rsdb/M18805
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung im Asylfolgeverfahren wegen Exilpolitik. Kein Ausschluss wegen subjektiver Nachfluchtgründe (§ 28 Abs. 2 AsylVfG).

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Syrien, Kurden, Asylfolgeantrag, Griechenland, Exilpolitik, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Verfolgungsgefahr, Änderung der Sachlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 28 Abs. 2, AsylVfG § 71 Abs. 1, VwVfG § 51 Abs. 2
Auszüge:

[...]

In dem hier zu entscheidenden Fall steht dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Dieser gründet auf den vielfältigen politischen Aktivitäten, die der Kläger in Deutschland ausgeübt hat.

Der syrische Geheimdienst sammelt Informationen über in der Bundesrepublik Deutschland tätige syrische oppositionelle Gruppierungen und hier lebende Regimegegner und bedient sich dabei eines ausgedehnten Netzes von Spitzeln und Informationsträgern. Das Auswärtige Amt hält gleichwohl in seinen neueren Lageberichten daran fest, dass nur eine herausgehobene exilpolitische Tätigkeit zu Repressalien führen könne, wenn es ausführt, dass diejenigen Rückkehrer, die erst im Ausland die "oppositionelle Tätigkeit" aufgenommen haben, nur dann mit Repressalien rechnen müssen, wenn ihre Aktivitäten in erheblichem Umfang öffentlich wirksam bekannt geworden sind (vgl. Lageberichte vom 9. Juli 2009, 28. Dezember 2009 und 27. September 2010). Damit bejaht das Auswärtige Amt weiterhin eine Gefährdung nur für den Fall, dass der Rückkehrer den syrischen Behörden wegen aktiver, an herausragender Stelle gegen Syrien gerichteter Tätigkeiten bekannt ist. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt das deutsche Orient-Institut, demzufolge der syrische Geheimdienst Interesse an im Ausland vorgenommenen Aktivitäten hat, die einen konkreten Bezug zu Syrien haben und irgendwie auch nach Syrien hineinwirken können. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ins Visier der syrischen Geheimdienste allein wegen der Teilnahme an einer Demonstration gelange, bei der er nicht offensiv-öffentlich in Erscheinung trete, sei ganz gering. Politische Betätigungen, wie etwa das in der Bundesrepublik Deutschland unproblematische Stehen an Büchertischen oder das Verteilen von Flugblättern seien für sich genommen nicht ausreichend, um die Gefahr einer Verfolgung befürchten zu lassen. Bei Aktivitäten im westlichen Ausland setze eine Verfolgungsgefahr voraus, dass eine wirklich leitende und/oder mit einer gewissen Dauerhaftigkeit nach außen hervortretende öffentliche Beteiligung an der kurdischen Exilszene stattfinde, oder dass die Aktivitäten nach Syrien hineinwirken, also Verbindungen nach Syrien gepflegt werden, die dort aus der Sicht der syrischen Staatsorgane problematisch werden können (vgl. Gutachten vom 31. Januar 2005 an das VG Schleswig-Holstein). Es ist daher davon auszugehen, dass nur solche Aktivitäten gefahrbegründend sind, die sich gegen das politische System in Syrien richten. Um eine Gefährdung auszulösen, müssen diese Aktivitäten allerdings grundsätzlich eine gewisse Grenze überschreiten. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn es sich um regimefeindliche Aktivitäten handelt, durch die sich der syrische Staat in seinem Bestand bedroht fühlt und diese Aktivitäten sich deutlich von den exilpolitischen Betätigungen zahlreicher anderer syrischer Staatsangehöriger in Deutschland abheben. Daher sind grundsätzlich die bloße Teilnahme an regimekritischen Veranstaltungen und Demonstrationen und ähnliche, dem üblichen Erscheinungsbild entsprechende Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland unbeachtlich (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Oktober 2010 - A 5 A 479/08 -).

Anderes kann sich freilich aus der Art und Öffentlichkeitswirksamkeit der Aktionen im Bundesgebiet ergeben sowie den näheren Umständen der Teilnahme. Vorliegend hat der Kläger zunächst an einer Vielzahl von exilpolitischen Veranstaltungen im Bundesgebiet teilgenommen, die wegen exponierter Veranstaltungsorte auch das Interesse des syrischen Geheimdienstes geweckt haben dürften. Er ist dabei von Rosch-TV gefilmt worden und Fotografien von ihm waren im Internet zu sehen. Auch hat der Kläger eine Versammlung der. PYD auf dem Bahnhofsvorplatz in Koblenz organisiert und angemeldet, wobei er auf den Anmeldeunterlagen als Veranstalter angegeben ist. Dies alles führt dazu, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Syrien jedenfalls kurzfristige Verhaftung und Befragung unter Folter droht. Demzufolge liegen in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vor.

Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht in dem hier zu entscheidenden Fall auch nicht die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegen. Es handelt sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren i.S. des § 71 AsylVfG. Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG ist dann, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - vorliegen. Die von dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten exilpolitischen Aktivitäten bekunden eine nachträgliche Änderung der Sachlage i.S. des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, die sich mit Blick auf die Flüchtlingsanerkennung zu seinen Gunsten auswirkt. Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann jedoch in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages selbst geschaffen hat. Mit § 28 Abs. 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die risikolose Verfolgungsprovokation durch Nachfluchtgründe, die der Betreffende nach Abschluss des ersten Asylverfahrens selbst geschaffen hat, regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt. Diese ergibt sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfes, die darauf abzielt, den bislang bestehenden Anreiz zu nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren auf Grund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein weiteres Asylverfahren zu betreiben. Dem gegenüber greift kein Filter für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des ersten Verfahrens verwirklicht worden sind. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. In dem rechtskräftig erfolgten Abschluss des Erstverfahrens liegt daher die für das Verständnis der Vorschrift entscheidende zeitliche Zäsur. Nur für nach diesem Zeitpunkt selbstgeschaffenen Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet.

Rechtskräftig abgeschlossen war das Erstverfahren des Klägers am 07. Januar 2011. Der Kläger hat aber nach der mündlichen Verhandlung und vor Rechtskraft des Urteils am ... Dezember 2010 eine Versammlung der PYD auf dem Bahnhofsvorplatz in Koblenz organisiert und angemeldet. Da er aus dem Anmeldeformular als Veranstalter hervorgeht, befand er sich insoweit durchaus in einer exponierten Position. Auch hat der Kläger am 28. November 2010 an einer Veranstaltung der PYD in Köln teilgenommen. Im Hinblick auf dieses Engagement hält die Kammer die späteren internetwirksamen Aktivitäten des Klägers nicht für wesentlich gesteigert, sondern sieht sein Betätigungsprofil als unverändert gegenüber den eben genannten Aktivitäten an. Da diese aber eben vor der zeitlichen Zäsur des § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeübt worden sind, steht dieser der Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen.

Dem Kläger kann auch nicht § 51 Abs. 2 VwVfG entgegengehalten werden. Zum einen fanden lediglich die Veranstaltungen am 28. November und ... Dezember 2010 vor Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung im Asylverfahren des Klägers statt und zum anderen ergibt sich seine Gefährdungslage auf Grund der von ihm entwickelten exilpolitischen Aktivitäten aus deren Vielzahl und den jeweiligen Umständen seiner Teilnahme und kann nicht auf eine bestimmte Veranstaltung fokussiert werden. [...]