VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.07.2011 - 11 S 1413/10 - asyl.net: M18815
https://www.asyl.net/rsdb/M18815
Leitsatz:

Die vor dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 auf der Grundlage des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 in entsprechender Anwendung von § 1 Abs. 1 des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommenen jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion haben durch Verwaltungsakt eine Rechtsstellung sui generis erworben, die durch das Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes nicht beseitigt wurde.

Diese Rechtsstellung sui generis geht nicht dadurch verloren, dass die einem jüdischen Emigranten nach § 101 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 23 Abs. 2 AufenthG erteilte Niderlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Kontingentflüchtlinge, jüdische Emigranten, Juden, Sowjetunion, Abschiebungsandrohung, Verzicht, Rechtsstellung sui generis, Erlöschen, Aufenthaltserlaubnis, Rechtsstellung, Änderung der Rechtslage, Zuwanderungsgesetz, Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltsgesetz,
Normen: AufenthG § 101 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 23 Abs. 2, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7, HumHAG § 1 Abs. 1,
Auszüge:

[…]

1 .) Die Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion im Bundesgebiet auf der Grundlage des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 hatte ihren politischen und gesellschaftlichen Ausgang in Beschlüssen der Regierung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1990. Anfang des Jahres 1990 hatte die damalige Regierung der DDR unter dem Eindruck der "Wende" damit begonnen, jüdische Personen aus der Sowjetunion in einem erleichterten Verfahren einreisen zu lassen (Mertens, Alija - Die Emigration der Juden aus der UdSSR/GUS, 2. Aufl., 1993, S. 213 ff.; Weizsäcker, Jüdische Migranten im geltenden deutschen Staatsangehörigkeits- und Ausländerrecht, ZAR 2004, 93, 97; Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Dezember 2003 <Migrationsbericht 2003>, S. 34). Im Rahmen eines Beschlusses vom 11.07.1990 zu vorläufigen Regelungen des Aufenthalts und des Asyls für Ausländer sah der Ministerrat der DDR vor, "zunächst in zu begrenzendem Umfang ausländischen jüdischen Bürgern, denen Verfolgung oder Diskriminierung droht, aus humanitären Gründen Aufenthalt zu gewähren"; für diesen Personenkreis wurden Hilfen in finanzieller Hinsicht und bei der Integration zugesichert (näher 16. Sitzung des Ministerrates vom 11.07.1990 zu Top 17 <Bundesarchiv DC 20/1-3-3021>; Kessler, Jüdische Migration aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990 - unter 2.2 <abrufbar unter www.berlin-judentum.de>; siehe auch BT-Drs. 11/8439 vom 14.11.1990 - Einwanderungsoption für sowjetische Jüdinnen und Juden). Dem vorausgegangen war ein Appell des "Runden Tisches", an dem auch jüdische Vertreter beteiligt waren, an die Regierung, "unabhängig von den geltenden Bestimmungen, den Aufenthalt für jene zu ermöglichen, die sich in der Sowjetunion als Juden diskriminiert und verfolgt sehen" (näher Becker, Ankommen in Deutschland - Einwanderungspolitik als biographische Erfahrung im Migrationsprozess russischer Juden - 2001, S. 44). Während die DDR den jüdischen Immigranten aus der UdSSR ein Bleiberecht zubilligte und die Flüchtlinge formal DDR-Bürgern gleichgestellt waren, erhielten diese Personen in der Bundesrepublik lediglich Duldungen (näher Mertens, a.a.O., S. 215 f.; Weizsäcker, a.a.O., S. 97). Darüber hinaus hatte die westdeutsche Regierung durch entsprechende Anweisung an ihre Auslandsvertretungen bei sowjetisch-jüdischen Zuwanderungswilligen eine Art "Aufnahmestopp" verhängt (im Einzelnen Becker, S. 45; Mertens, S. 219). Trotz entsprechender Bemühungen der DDR-Delegationen fand die im Osten praktizierte Aufnahmeregelung keinen Eingang in den Einigungsvertrag (Mertens S. 218 f.). Der faktische Aufnahmestopp für die "Einwanderung" sowjetischer Juden nach dem 03.10.1990 wurde zu einer nationalen und internationalen Belastungsprobe für das wiedervereinigte Deutschland (siehe ausführlich Aktuelle Stunde - Einreise für Juden aus Osteuropa - in der 231. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 25.10.1990, Plenarprotokoll S. 18359 ff.; Debatte in der 234. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 31.10.1990 zur Einwanderung sowjetischer Juden in die Bundesrepublik Deutschland, Plenarprotokoll S. 18740 ff. sowie der zugrunde liegende Antrag der Fraktion Die Grünen vom 24.10.1990 <BT-Drs. 11/8212>; vgl. auch Mertens, S. 219 ff., Becker, S. 45 ff. sowie S. 50 ff.). Ende des Jahres 1990 einigten sich die Bundesregierung, der Zentralrat der Juden und die Regierungen der Länder schließlich auf eine Fortführung einer Aufnahme (Weizäcker, a.a.O., S. 97; Migrationsbericht 2003, S. 34 und Migrationsbericht 2008, 112; Kessler, a.a.O.).

Mit der Aufnahme jüdischer Zuwanderer sollte die Verantwortung Deutschlands für das gegenüber Juden begangene Unrecht dokumentiert und ein Beitrag zur "Wiedergutmachung" geleistet werden. Vor allem aber verfolgte sie den Zweck, die wenigen, überalterten jüdischen Gemeinden in Deutschland zu erhalten und zu stärken. Eine weitere Überlegung war, dass es infolgedessen zu einer Revitalisierung des jüdischen Elements im deutschen Kultur- und Geistesleben kommen würde. Keine entscheidende Rolle spielte hingegen der Umstand, dass es damals - letztlich ebenfalls begünstigt durch den Einfluss der Reformpolitik - vermehrt zu antisemitischen Handlungen gegenüber Juden in der ehemaligen UdSSR gekommen war. Zwar wurde in der politischen Debatte die Lage der Juden in der Sowjetunion als "bedrückend" beschrieben, und es wurden Beispiele für "Benachteiligungen" und "Schmähungen" genannt (vgl. etwa die Redebeiträge in der o.g. Debatte der 234. Sitzung; auch Kessler, a.a.O. unter 2.1). Die Bundesregierung betonte 1990/91 aber ausdrücklich, dass die sowjetische Führung inzwischen aktiv gegen antisemitische Übergriffe vorgehe und es bei einer Aufnahme nicht um den Schutz vor - politischer - Verfolgung gehe (siehe im Einzelnen zur damaligen politischen Motivation vor allem BT-Drs. 11/8439 vom 14.11.1990, S. 2 ff.; Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium Waffenschmidt in der Aktuellen Stunden der 231. Sitzung des Deutschen Bundestags, a.a.O., S. 18363 f., Weizäcker, a.a.O., S. 97; Hochreuter, Zuwanderung als Wiedergutmachung?, NVwZ 2000, 1376; Rüßler, Berufliche Integrationsprobleme hochqualifizierter Zuwanderer, ZAR 2000, 268, 269.). [...]

3.) Die Aufnahme jüdischer Emigranten auf dieser Grundlage führte nicht dazu, dass diese eine Rechtsstellung als Kontingentflüchtlinge in unmittelbarer Anwendung des § 1 Abs. 1 HumHAG erwarben, weil es jedenfalls an einer Aufnahme von Verfolgten bzw. Flüchtlingen im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion fehlte; diese war zweifelsfrei nicht gewollt.

Nach § 1 Abs. 1 HumHAG (in der damals geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09.07.1990, BGBl. I, S. 1354, 1384) war Kontingentflüchtling, wer im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in Form des Sichtvermerks oder aufgrund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 des Ausländergesetzes in den Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen wurde; er genoss im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (Genfer Flüchtlingskonvention). Unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung entstand mit der Aufnahme kraft Gesetzes die Rechtsstellung nach § 1 Abs. 1 HumHAG; insoweit gab es kein Anerkennungs- oder Feststellungsverfahren (OVG MV, Urteil vom 15.09.2004 - 1 L 107/02 - juris Rn. 77; OVG RhPf, Beschluss vom 26.11.1999 - 11 A 11523/99 - juris Rn. 6). Wie sich aus der Bezeichnung des Gesetzes sowie dessen Entstehungsgeschichte und Begründung (vgl. insb. BT-Drs. 8/3752 vom 05.05.1980 zum Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge ) ergab, galt das Kontingentflüchtlingsgesetz nicht allgemein für Ausländer, sondern nur für Flüchtlinge, also für Ausländer, die sich in einer Verfolgungssituation befunden haben - was nicht notwendig die Gefahr politischer Verfolgung (in eigener Person) voraussetzte - oder deren Lage durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnet war (BVerwG, Urteil vom 17.02.1992 - 9 C 77.89 -juris Rn. 12; vgl. auch OVG MV, Urteil vom 15.09.2004 - 1 L 107/02 - juris Rn. 77 und BayVGH Beschluss vom 22.12.2010 - 19 B 09.824 -juris Rn. 33; Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl., Stand 1990, B 1.9, § 1 Anm. 1).

Die Aufnahme der jüdischen Emigranten aus der Sowjetunion hatte jedoch - wie oben dargelegt - gerade nicht den Zweck, einer Verfolgungssituation oder einem Flüchtlingsschicksal durch eine politische Lösung Rechnung zu tragen. Der Aspekt einer Verfolgungs- oder Flüchtlingssituation wurde im Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 überhaupt nicht erwähnt. Auch bei der letztlich auf Anweisungen des Bundesministeriums des Innern zurückgehenden konkreten Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens spielte dieser Gesichtspunkt - wie auch die Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge unter dem 16.06.2011 mit Blick auf die damalige Praxis bestätigt hat - keine Rolle (vgl. auch das nicht veröffentlichte Schreiben des Bundesministers des Innern vom 05.02.1991 - Az.: V II 2 -125 341 - ISR/1 - an das Auswärtige Amt unter Beifügung des Protokolls der Besprechung der Ausländerreferenten vom 28.-30.01.1991). Vielmehr betonte der Bundesminister des Inneren sogar ausdrücklich, dass die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes hinsichtlich einer Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nicht vorlagen (siehe das nicht veröffentlichte Schreiben vom 21.04.1992 - Az.: V II 4 - 936 138 SOW/1 - an die Innenminister und -senatoren der Länder). Aus dem dem Senat bekannten Grundsatzerlass des Auswärtigen Amtes vom 25.03.1997 - Az.: 514-516.20/7 - (nicht veröffentlicht, in BayVGH, Urteil vom 22.12.2010 - 19 B 09.824 - juris Rn. 45 ff. nur auszugsweise abgedruckt) folgt nichts Gegenteiliges. Zwar heißt es dort, "Motiv für eine Aufnahme sei auch gewesen, Juden aus der früheren Sowjetunion vor antisemitischen Pressionen zu schützen und ihnen eine Heimat zu bieten." Hieraus lässt sich jedoch nicht entnehmen, entgegen den damaligen politischen Bekundungen nach außen wären für die Aufnahmeentscheidung im Jahre 1991 tatsächlich andere Beweggründe maßgebend gewesen. Die sehr allgemein gehaltene Formulierung "antisemitische Pressionen" umschrieb nichts anderes als die schon im Jahre 1990/91 bekannt gewesene Tatsache, dass gesellschaftliche Ausgrenzungen von Juden in der Sowjetunion vorkamen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch nach diesem Erlass der Nachweis einer konkreten Verfolgung oder Diskriminierung nicht Voraussetzung der Zugehörigkeit zum berechtigten Personenkreis für die "Aufnahme im geregelten Verfahren analog zum Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommen Flüchtlinge" war.

4.) Die jüdischen Emigranten, die nach dem unter 1. 2. beschriebenen Verfahren in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 1 HumHA aufgenommen wurden, erwarben hierdurch eine Rechtsstellung sui generis.

Ausgehend von den politischen Zielen der Öffnung des Bundesgebiets für diesen Personenkreis war die Aufnahme der jüdischen Emigranten aus der früheren UdSSR von vornherein auf Dauer angelegt. Mit der ganz bewusst gewählten entsprechenden Anwendung des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge wurde nicht nur der Zweck verfolgt, die finanziellen Lasten der Aufnahme zwischen Bund und Ländern zu verteilen, sondern auch die Intention, den jüdischen Emigranten und ihren Familienangehörigen unmittelbar nach der Einreise durch die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (nach § 1 Abs. 3 HumHAG) einen gesicherten auf Dauer angelegten aufenthaltsrechtlichen Status zu vermitteln und diese in den Genuss staatlicher Eingliederungshilfen kommen zu lassen (hierzu auch Schreiben des Bundesministers des Innern vom 21.04.1992 - Az.: V II 4 - 936 138 SOW/1 - an die Innenminister und -senatoren - nicht veröffentlicht; hingegen wurden sowjetische Juden, die nach dem 15.02.1991 nur auf der Grundlage eines Touristenvisums einreisten oder in sonstiger Weise das vorgesehene Aufnahmeverfahren umgingen, „allein nach dem Ausländergesetz 1990 behandelt' <vgl. Protokoll der Besprechung der Ausländerreferenten Bundes und der Länder vom 28.bis 30.01.1991, S. 5>). Die Emigranten konnten daher zahlreiche staatliche Leistungen wie beispielsweise Sozialhilfe, Kindergeld, Erziehungsgeld, Pflegegeld, aber auch berufliche Ausbildungs- und Eingliederungshilfen einschließlich Sprachkurse sofort in Anspruch nehmen (vgl. hierzu die entsprechenden Informationen im "Leitfaden für jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion", 1. Aufl., insb. S. 24 ff., hrsg. von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V.; siehe auch Rüßler, a.a.O., S. 269). Allein die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hätte nach damaligem Recht nicht ausgereicht, um die seinerzeit politisch gewünschten Folgen, insbesondere die umfangreichen finanziellen Hilfeleistungen, für die jüdischen Emigranten herbeizuführen. Nach der maßgeblichen Verwaltungspraxis erhielt ein jüdischer Emigrant, der nach Durchführung des sog. geregelten Aufnahmeverfahrens in das Bundesgebiet einreiste, vielmehr eine besondere Rechtsstellung in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 1 HumHAG. Diese trug dem Umstand Rechnung, dass jüdische Emigranten nicht um eines Verfolgungs- oder Flüchtlingsschicksals willen aufgenommen worden waren und man auch ein Fortbestehen ihrer Verbindung zum Herkunftsstaat nicht in Frage stellen wollte. Dieser Personenkreis behielt seine Reisepässe, konnte sie im Herkunftsstaat erneuern und auch weiterhin dorthin reisen. Wie die Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Senat ausdrücklich mitteilte, galt für die damalige Verwaltungspraxis der Grundsatz, dass die günstigen Bestimmungen des Kontingentflüchtlingsgesetzes analoge Anwendung fanden, nicht aber die belastenden Vorschriften, insbesondere nicht diejenigen über das Erlöschen der Rechtsstellung. So führte auch der Bundesminister des Innern mit Schreiben vom 21.04.1992 an die Innenminister und -senatoren der Länder aus, die Frage des Verlusts einer Rechtsstellung nach § 2a HumHAG stelle sich mangels unmittelbarer Anwendbarkeit des Kontingentflüchtlingsgesetzes nicht und es liege im Übrigen auch nicht im Interesse der Bundesrepublik, jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion die in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes gewährten Vergünstigungen zu entziehen, wenn sie zu Besuchszwecken in ihre frühere Heimat reisten (vgl. ebenso die spätere Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg über die Aufnahme und die ausländerrechtliche Behandlung jüdischer Emigrantinnen und Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion <VwV-jüdEmigr> vom 20.11.1996 - Az.: 4-13-GUS/6 -, nach der für diesen Personenkreis § 2a des Kontingentflüchtlingsgesetzes nicht anwendbar ist). Unter dem 10.08.1993 verfasste das Bundesministeriums des Innern an die Innenminister/-senatoren der Länder folgendes Schreiben (Az.: A 2 - 125 341 – ISR/1): [...]

Die Gewährung einer Rechtsstellung sui generis an jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion infolge des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 unterliegt keinen (verfassungs-) rechtlichen Bedenken. Die mit der dauerhaften Aufnahme dieses Personenkreises einhergehenden (politischen) Ziele, insbesondere die sofortige unbefristete Legalisierung des Aufenthalts, wären auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Ausländergesetzes von 1990 nicht zu realisieren gewesen (was wohl Raabe, Rechtswidrige Verwaltungspraxis bei der Zuwanderung jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion?, ZAR 2004, 410, 411 f. nicht hinreichend berücksichtigt). Die in §§ 30 Abs. 1, 32, 33 AuslG vorgesehenen Möglichkeiten hätten lediglich zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und damit zu einem - an einem grundsätzlich vorübergehenden Aufenthaltszweck orientierten - befristeten humanitären Titel geführt. Auch nach anderen Rechtsgrundlagen des Ausländergesetzes hätte keine von Anfang an unbefristete Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig ausgestellt werden können. Hinzu kam, dass die besonderen Eingliederungshilfen einen bestimmten, sicheren aufenthaltsrechtlichen Status voraussetzen. Die gewählte Vorgehensweise stellte auch keinen Verstoß gegen das "Kodifikationsprinzip" dar (siehe näher BayVGH, Urteil vom 22.12.2010 - 19 B 09.824 - juris Rn. 32). Die Aufnahme jüdischer Emigranten vollzog sich allein im Bereich der gewährenden Verwaltung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Sachverhalt unter dem Aspekt der "Wesentlichkeitstheorie" (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 11. Aufl., 2008, Art. 20 Rn. 70 m.w.N. und Vorb v. Art. 70 Rn. 9) eine ausdrückliche eigenständige gesetzliche Grundlage erfordert hätte. Unter Berücksichtigung der mit der Aufnahme verfolgten Ziele und des weiten Spielraums der gewährenden Verwaltung unterlag die konkrete Art und Weise der Gestaltung der Zuwanderung jüdischer Emigranten aus der ehemaligen UdSSR auch mit Blick auf Art. 3 und 4 GG keinen durchgreifenden Einwendungen (vgl. im Einzelnen hierzu Hochreuter, a.a.O., S. 1376 ff.; Weizäcker, a.a.O., S. 99 f.). Im Übrigen darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass die damals vereinbarte Praxis zur Aufnahme der jüdischen Einwanderer aus der Situation der politischen "Wende" in Osteuropa und der Wiedervereinigung heraus erfolgte. Auch bestand vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Handhabung von Einreise und Aufenthalt jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in den vormals beiden deutschen Staaten ein dringender Handlungsbedarf, bei dem auch der Umgang mit "Altfällen" nicht ausgeblendet werden konnte. So waren mehr als 8.000 jüdische Emigranten aus der ehemaligen UdSSR vor dem "geregelten Verfahren" nach Deutschland gekommen (vgl. zur entsprechenden Statistik Migrationsbericht 2003, 35). Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz wurden auch diese Personen, soweit sie bis zum 10.11.1991 eingereist waren, ebenfalls entsprechend den Vorschriften des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommen (vgl. das nicht veröffentlichte Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 04.12.1991 - Az.: 3-663 UDSSR/22 - an die nachgeordneten Behörden).

Der Senat lässt offen, ob Inhalt dieser Rechtsstellung sui generis auch ist, dass deren Inhaber nur nach den für anerkannte Flüchtlinge geltenden Grundsätzen (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG 1990) ausgewiesen werden können. Gleichfalls bleibt offen, ob im äußersten Fall nur nach Maßgabe des § 51 Abs. 3 AuslG 1990 eine Abschiebung in das Heimatland zulässig wäre, [...]