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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 09.06.2011 - V ZB 16/11 - asyl.net: M18818
https://www.asyl.net/rsdb/M18818
Leitsatz:

Rechtswidrige Abschiebungshaft, da der Betroffene von der Ausländerbehörde nicht über die Folgen einer fehlenden Mitteilung eines Aufenthaltswechsels hingewiesen worden ist (kein Haftgrund gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit können Ausnahmefälle vorkommen, in denen die Vermutung einer Vereitelung oder Erschwerung der Abschiebung ohne Inhaftierung widerlegt wird.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Haftgründe, Ausreisefrist, Verhältnismäßigkeit, Anzeigepflicht, Anhörung, Belehrung,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 50 Abs. 5, FamFG § 68 Abs. 3 S. 1, FamFG § 420 Abs. 1 S. 1, GG Art. 104 Abs. 1 S. 1, GG Art. 104 Abs. 3 S. 1, FamFG § 68 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Die Haftanordnung durch das Amtsgericht, die neben der Beschwerdeentscheidung Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens sein kann (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152 Rn. 14), hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Dabei kann offen bleiben, ob der Haftantrag in Amtshilfe gestellt werden durfte. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob - wie es das Beschwerdegericht angenommen hat - der Haftantrag zunächst mangels zureichender Begründung unzulässig war. Denn die Feststellungen tragen nicht den angenommenen Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Der nicht angezeigte Aufenthaltswechsel begründet in diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird. Wegen dieser einschneidenden Folge muss die Ausländerbehörde in der Regel auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 5 AufenthG und die mit einem Unterlassen der Anzeige des Aufenthaltswechsels verbundenen Folgen hinweisen. Bei der Anwendung der Vorschrift ist zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der in Ausnahmefällen dazu führen kann, dass die Vermutung widerlegt werden kann (näher Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11 mwN).

b) Der Betroffene hat dem Beteiligten zu 2 seinen Aufenthaltsort im Bundesgebiet zwar nicht mitgeteilt. Dass er auf seine Pflicht zur Mitteilung seines Aufenthalts an die Ausländerbehörde hingewiesen worden ist, lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts aber nicht entnehmen. Sein Aufenthaltswechsel, die Gründe hierfür und die Anzeigepflicht sind nicht Gegenstand der persönlichen Anhörung gewesen. [...]